Die Spatzenhochzeit.

[22] In einem Walde, weit ab von der Heerstraße, lebte einst ein wohlhabender Spatz, der von seinen Nachbaren geehrt und von seiner Frau und seinen Kindern sehr geliebt wurde.

Einer seiner Söhne, der stattliche Tschiotaro, war ein sehr vergnügter Bursch; weit in den Wald hinaus zu fliegen, das war seine Luft, und wenn er dann nach Hause kam, so erzählte er seine Erlebnisse in so drolliger Weise, daß sein Vater oft auflachte und ihn ob seines lustigen Wesens höchlich belobte.

Eines Tages flog Tschiotaro wieder fort, und da kam er von ohngefähr in dasselbe Bambusdickicht, in welchem die Spätzin mit der geschlitzten Zunge wohnte. Der glückliche Junge! Die Götter waren ihm gut, die ihn so, ganz ahnungslos, dieses Weges geführt hatten; denn die Spätzin mit der geschlitzten Zunge, welche, wie wir wissen, ein sehr schönes Mädchen war, hatte sich verheiratet und besaß nun ein ebenso schönes Töchterchen; ja vielleicht war dies noch schöner, als sie früher selbst gewesen war. Die kleine Osuzu war wirklich ein reizendes Geschöpf, und Tschiotaro sah sie kaum von weitem, als er sich auch sogleich sterblich in sie verliebte. Ein wenig scheu hüpfte er zu dem schönen Mädchen heran, doch wie er merkte, daß Osuzu seinen Gruß nicht unfreundlich erwiderte, wurde er kühner, setzte sich zu ihr und unterhielt sich mit ihr in der angenehmsten Weise. Als der Abend kam, flog er heim, und erklärte sofort seinem Vater, daß die schöne Osuzu und keine andere seine Frau werden müsse. Der Vater hörte die Wünsche seines Sohnes zwar ruhig an, war aber doch darüber sehr betreten; er, der reiche, angesehene Mann, konnte seinen Sohn doch nicht mit dem ersten, besten Mädchen verheiraten, in das sich derselbe verliebte! Nein, das war unmöglich! Und so saß der Alte da, wiegte den Kopf bedenklich und blickte sinnend in die verglühende Asche des Kohlentopfes. Tschiotaro aber, der wohl merkte, was für Gedanken[23] seinem Vater durch den Kopf gingen, beruhigte ihn und erzählte, daß Osuzu aus sehr guter Familie stamme, berichtete umständlich von dem netten, schönen Hause, in welchem ihre Eltern wohnten und von allem, was er gesehen, in so schönen Farben, daß der alte Spatz sich entschloß, fernere Erkundigungen über Osuzus Familie in dem fernen Bambushaine einholen zu lassen. Und als sich alles bestätigte, was Tschiotaro erzählt hatte, da war der Alte mit der Verheiratung zufrieden, und man bereitete die üblichen Förmlichkeiten vor. Eine Vermittlerin ward nach altem Brauche zu Osuzus Eltern gesandt, und nach einigem Hin- und Herreden wurde der Hochzeitstag anberaumt. Die besten Geschenke, die aufzutreiben waren, wurden vom Bräutigam der Braut geschickt, und als die Eltern derselben alles dazu gelegt hatten, womit sie ihr Töchterchen auszustatten gedachten, da ward alles zusammen in das neue Haus der künftigen jungen Eheleute gebracht, das auf halbem Wege von den Wohnungen beider Elternpaare lag. Dabei versäumte man jedoch nicht, eine gehörige Menge Reiswein in das hübsche neue Häuschen zu schaffen, und als auch dies erledigt war, da konnte man mit Ruhe den Hochzeitstag erwarten. Und als er endlich erschien, da kamen von weit und breit alle Verwandten, Freunde und Bekannten in so großer Zahl daher, daß der Wald wohl noch nie solch einen fröhlichen Lärm gehört und eine so große Menge Spatzen beisammen gesehen hatte.

Der lange Hochzeitszug ging von Osuzus elterlichem Hause geraden Weges zu der neuen Behausung Tschiotaros. Hier tranken Bräutigam und Braut den Wein, der sie zu Mann und Frau weihete, und dann trank und sang die ganze Gesellschaft tapfer darauf los. Es wurde geschmaust bis in den späten Abend; die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden, und noch immer schwatzten und lärmten die Spatzen im Walde, als ob sie heute vergessen hätten, schlafen zu gehen. Doch endlich, als die Nacht hereinbrach, da ward es stille ringsumher, der Hochzeitsjubel verstummte und Tschiotaro und Osuzu waren Mann[24] und Frau. Beide waren sehr glücklich und lebten Tag aus, Tag ein zufrieden in dem frischgrünen Bambusdickicht, in dem ihr Häuschen stand; sie bekamen auch viele schöne Kinder und alles gedieh um sie her, und sie haben es niemals bereut, daß sie einander geheiratet haben.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 22-25.
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