Herbst und Frühling.

[163] Zur Zeit der Regierung des japanischen Kaisers Ojin, desselben, der sich nach seinem Tode als Gott Hatschiman offenbarte, ereignete sich in Korea folgende wunderbare Begebenheit.

Ein armes, aber sehr schönes Mädchen schlief eines Tages, weil es erschöpft und müde war, um die Mittagszeit im Felde ein. Das sah von oben herab ein Himmelsgott, und da ihm das Mädchen ausnehmend gefiel, so kam er eilends herbei und machte es zu seiner Gemahlin. Das Mädchen war sehr glücklich über die hohe Ehre, die ihm zu Theil wurde, und freute sich darauf, dem Himmelsgotte ein schönes Kind zu schenken; doch als die Zeit dazu gekommen war, bekam sie statt eines Kindes einen wundervollen rothen Edelstein. Der Edelstein blieb unbeachtet liegen und wurde lange Zeit nachher von einem armen Manne gefunden, der sich sehr darüber freute und den funkelnden Stein in seine Tasche steckt. Nun geschah es aber, daß der Mann eines Tages den Feldarbeitern, die es sich sauer werden ließen und im Schweiße ihres Angesichtes unter den glühenden Sonnenstrahlen ihr Tagewerk verrichteten, das Essen ins Feld hinauszubringen versprochen hatte. Und um die Eßgeräthe und die mit Reis und allerlei anderen Speisen gefüllten Gefäße rascher und besser fortzubringen, nahm er eine Kuh, die er mit den Kübeln bepackte. So zog er nichts böses ahnend dahin,[163] als ihm plötzlich der Kronprinz Amanohiboko begegnete. Dieser glaubte, als er den Mann mit der Kuh sah, derselbe wolle die Kuh schlachten, und da dies gottlos und streng verboten war, so wurde Amanohiboko zornig und schmähte den armen Mann mit vielen bösen Worten. Der Mann, welcher sich so gut es ging vertheidigte und hoch und theuer versicherte, daß es ihm gar nicht in den Sinn käme, die Kuh zu schlachten, fand kein Gehör, und um den Kronprinzen zu besänftigen und zu erweichen, damit er ungehindert weiter ziehen könne, löste er sich endlich mit dem schönen rothen Edelsteine aus, den er dem Kronprinzen darbot. Amanohiboko, der ganz erstaunt über den Glanz des Steines war, ließ nun den armen Mann seines Weges ziehen und ging voll Freude über seinen Besitz nach Hause. Doch kaum war er dort angelangt und zog den Stein hervor, so verwandelte sich derselbe in eine schöne, junge Göttin. Der Prinz war durchaus nicht böse, als er dies Wunder sah. Er hatte auch alle Ursache, sich zu freuen, denn als er, von Liebe ergriffen, die schöne Göttin geheiratet hatte, was natürlich alsobald geschah, da umgab sie ihn mit so viel zarter Sorgfalt und Liebenswürdigkeit, daß es unmöglich wäre, das alles herzuzählen. Auch pflegte sie ihn mit ganz ungewöhnlichen, auserlesenen Speisen, die nur sie zu bereiten verstand, mit wundervollen Leckerbissen, an denen der Prinz seine Zunge und seinen Gaumen labte. Doch kaum waren einige Monde verstrichen, so wurde der Prinz übermüthig und stolz; er begann auf seine liebenswürdige Gemahlin mit Verachtung hinabzusehen und behandelte sie sehr schlecht. Statt ihr dankbar für alle ihre Liebe und ihre Wohlthaten zu sein, hatte er nur Schmähreden für sie. Natürlich konnte die Göttin sich eine solche Behandlung nicht gefallen lassen; sie sagte, er sei nicht werth, sie zur Gemahlin zu haben, und deshalb wolle sie nicht bei ihm bleiben, sondern zu ihrem Vater ziehen.

Amanohiboko kehrte sich indessen nicht daran und glaubte nicht, daß sie die Drohung jemals ausführen würde. Seine[164] Frau aber, die junge schöne Göttin, machte sie wahr; sie schiffte sich heimlich ein und floh nach Japan, wo sie auch glücklich in Naniwa – demselben Hafen, den man jetzt Osaka nennt – landete und noch heutigen Tages als Akaruhime, die lichte Göttin, verehrt wird.

Der Prinz Amanohiboko ward sehr zornig, als er hörte, daß seine Gemahlin fort sei. Er setzte ihr nach und kam ebenfalls vor Naniwa an, vermochte aber, gehindert durch der Götter Macht, welche seine Reise nicht billigten, durchaus nicht in den Hafen einzulaufen. Und so wie er nun sah, daß seine junge Gemahlin für ihn verloren war, gab er sich vorläufig zufrieden und lenkte sein Schiff nach dem Nordufer Japans, nach Tajima, wo er denn auch freundlich aufgenommen wurde und seine Schätze auspackte, welche ihm großes Ansehen verschafften. Es waren kostbare Zauberdinge, darunter Gürtel und Spiegel, mit deren Hülfe man Wetter und Wellen regieren kann. Auch köstliche Perlenstränge waren darunter, welche von den Einwohnern sehr bewundert wurden. So blieb denn Amanohiboko dort und wurde der Stammvater edler Geschlechter.

Unter seinen Kindeskindern befand sich auch eine so schöne Prinzessin, daß nach und nach achtzig Götter, die von ihrer Schönheit Kunde erhielten, kamen und um ihre Hand warben. Doch der Prinzessin gefiel kein einziger von ihnen, und so mußten sie alle unverrichteter Sache heimziehen. Endlich nahten sich zwei Brüder der Prinzessin und baten um ihren Besitz. Der eine von ihnen war der junge Herbstgott und der andere war der junge Frühlingsgott. Der junge Herbstgott, der ältere von beiden, hatte natürlich den Vorrang und durfte sich zuerst um die schöne Prinzessin bewerben. Diese aber verwarf ihn so gut als alle, die vor ihm dagewesen waren, und so ging er betrübt zu seinem Bruder und klagte ihm sein Leid. »Dir wird es nicht besser ergehen,« sprach er zu diesem, »sie wird auch dich nicht zu Gnaden annehmen!« Allein der Frühlingsgott hatte so guten Muth, daß er mit seinem Bruder eine Wette einging,[165] welche dieser ihm vorschlug. Es handelte sich dabei um ein großes Faß Reiswein, das der Frühlingsgott hergeben sollte, wenn die Prinzessin die Werbung ausschlug; wurde sie aber von ihr angenommen, so mußte der Herbstgott das Faß hergeben.

Nun ging der Frühlingsgott zu seiner Mutter und erzählte ihr alles. »Ich will dir helfen,« sprach sie, »und machen, daß du die Hand der Prinzessin erringst.« Darauf setzte sie sich hin und nähte in einer einzigen Nacht ihrem Sohne ein Gewand nebst Hosen, Strümpfen und Sandalen aus den Zweigen und Ranken der prachtvoll blühenden Fujipflanze, das ist die Glycine oder Wistarie. Auch Bogen und Pfeile stellte sie aus derselben Pflanze her, und so ausgerüstet, nahm der jüngere der beiden Brüder seinen Weg zu der Prinzessin. Als er aber bei ihr eintrat, da war er ganz und gar mit den köstlichen Fujiblüthen übergossen, die allüberall an seinem Gewande, ja selbst an Bogen und Pfeilen knospeten und ihre Pracht entfalteten. Wie staunte die Prinzessin über den herrlichen Anblick! Mit tausend Freuden hieß sie diesen Jüngling willkommen und erkor sich ihn sogleich zum Gemahl.

Der ältere Bruder aber, der Herbstgott, ergrimmte, als er vernahm, wie die Sache verlaufen war, und weigerte sich, seine Wette zu bezahlen; der Frühlingsgott, der dies sehr unanständig fand, beklagte sich darüber bei seiner Mutter. Diese zürnte darüber, daß ein Gott sein Wort ebenso leichtsinnig brechen könne wie ein gemeiner Sterblicher, so gewaltig, daß sie einen schweren Fluch gegen ihren ältesten Sohn aussprach. Sie that Steine und Salz in einen hohlen Bambusstab, umwickelte ihn mit Bambusblättern und hängte ihn mit den Worten in den Rauch: »Wie die Blätter sich verfärben und verdorren, so verdorre auch du; wie das Salz im Meere fluthet und ebbet, so fluthe und ebbe auch du; wie diese Steine untersinken, so geh auch du zu Grunde!« Und wie der schreckliche Spruch gesprochen war, ging alles in Erfüllung; der Herbstgott fing an, zu verdorren, und lag krank und schwach auf seinem Lager acht Jahre lang.[166] Vergebens war all sein Flehen, bis jene Zeit verstrichen. Erst da erweichte er durch seine beständigen Klagen das Herz der Mutter, und als er nun gelobt, sein Unrecht wieder gut zu machen, und als sie sah, daß er dasselbe von Herzen bereuete, da verkehrte sie den bösen Fluch in Segen; ihr Sohn, der Herbstgott, genaß zu neuem Leben und ward gesund und froh wie zuvor.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 163-167.
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