Kenzo und Ninken, Itschinobe's Söhne.

[205] Der Tod des Kaiser Nintoku war der Anfang einer langen Reihe von Wirren, welche die Macht Japans und das Ansehen seines Kaiserhauses schwer schädigten und auch den Verlust der Oberherrschaft über Korea zur Folge hatten. Die einzelnen Glieder der Kaiserfamilie erhoben ohne Unterlaß die Waffen gegen einander, oft fiel der Bruder durch Bruderhand, und die Blutrache raffte eines der Häupter des Geschlechtes nach dem anderen dahin. Einer der Enkel Nintoku's, Ingio, stellte zwar eine Zeit lang die Ruhe wieder her, allein unter seinen Söhnen brachen nur noch unheilvollere Zerwürfnisse aus; sein jüngster Sohn, Yuriaku, bahnte sich durch blutige Thaten den Weg zum Throne und behauptete sich im Besitze der Herrschaft, hatte aber dermaßen unter seinen Verwandten gewüthet, daß nach dem frühen Tode seines einzigen Sohnes kein Mitglied des Kaiserhauses mehr am Hofe zu finden war.

Da erinnerten sich die Großen des Reiches, daß der älteste der Enkel Nintoku's, Prinz Itschinobe, welcher hinterlistiger Weise von Yuriaku ums Leben gebracht war, zwei Söhne gehabt hatte, welchen es gelungen war, den Mördern, die Yuriaku auch gegen sie ausgesandt, zu entfliehen. Man vermuthete, daß sie irgendwo im Verborgenen lebten, und so machte sich einer der Edeln am Hofe, Odate, auf den Weg, um diese übrig gebliebenen Sproßen des erlauchten Herrschergeschlechtes zu suchen.

Nach langen Irrfahrten ward sein Unternehmen von Erfolg gekrönt. Tief im wilden Gebirge, fern von allen menschlichen Wohnungen, vernahm er einstmals Stimmen in einer Höhle; er schlich sich näher heran und sah zwei Jünglinge, die gerade ihr karges Mahl hielten, aus dem kümmerlichen Ertrage ihrer Jagd und aus Beeren und Kräutern des Waldes bestehend. Aus ihren Reden erkannte er, daß es zwei Brüder waren, die sich in innigster Liebe zugethan sein mußten, denn keiner der beiden wollte dem[206] anderen in irgend einer Weise den Vorrang streitig machen, weder beim Mahle selber, noch bei dem Gesang und Tanz, mit welchem sie sich nachher die Zeit vertrieben. Alsobald hörte er auch, daß es die beiden Prinzen waren, die er suchte; und als einer von ihnen die Laute ergriffen hatte, um sich und seinen Genossen zu erheitern, aber statt des frohen Liedes, durch die Erinnerung an den erschlagenen Vater und an ihr eigenes Unglück übermannt, ein Klagelied anstimmte und nun beide in rührender Weise ihrem gepreßten Herzen Luft machten, da trat er aus dem Versteck, in dem er sich bis jetzt ruhig gehalten, mit Thränen in den Augen hervor. »Tröstet euch, edle Prinzen,« sagte er, »euer Leid ist zu Ende; ich bin gekommen, euch nach Kioto zu geleiten, wo der Thron euer harrt, denn Yuriaku und sein Sohn sind todt, ihr seid die Einzigen, auf denen die Hoffnung des Landes ruht!«

Mit Staunen vernahmen die Prinzen die Kunde von dem jähen Wechsel von Leid zu Freude; sie zogen mit Odate, der sich huldigend vor ihnen niedergeworfen, der Hauptstadt zu. Das Volk empfing sie überall mit Freude und Jubel, keineswegs aber die Häupter der mächtigsten Familien des Reiches, und manche derselben waren durchaus nicht gewillt, sich ihnen zu unterwerfen. An der Spitze dieser Unzufriedenen stand ein Fürst Namens Schibi, und dieser benutzte namentlich den edlen Wettstreit der Brüder, welche, ganz ihren früheren Gewohnheiten treu, sich gegenseitig den Thron nicht rauben wollten, um seinen Anhang zu stärken. Immer kühner trat er mit seinen ehrgeizigen Absichten hervor und hatte sogar die Frechheit, eine Prinzessin, mit welcher der jüngere der beiden Thronerben sich verloben wollte, für sich selber in Anspruch zu nehmen. Ja, bei dem Feste, mit welchem er seine Vermählung feierte, und dem auch die beiden kaiserlichen Prinzen beiwohnten, reizte er sie aufs Aeußerste, indem er in die Lieder, die er sang, herausfordernde Worte und sogar Drohungen hineinflocht. Die beiden Prinzen sahen nun wohl, daß es an ihr eigenes Leben ginge; sie sammelten daher nach dem Trinkgelage schon in früher Morgenstunde, bevor Schibi's[207] Anhänger sich bei demselben eingefunden, ihre Getreuen und überfielen und tödteten den übermüthigen Gegner.

Hierauf bestand Ninken, der ältere der beiden Prinzen, darauf, daß der jüngere, Kenzo, welcher bei dem Streite gegen Schibi zunächst betheiligt war und daher die Führerschaft übernommen hatte, den Thron besteigen müsse. Nach langem Weigern willigte derselbe endlich ein und regierte anfänglich milde und gut. Man erzählt, eine weise alte Frau habe seine Hochachtung und Liebe dadurch erworben, daß sie ihn seines schmählich gemordeten Vaters Gebeine finden half, und habe nun auf seinen Wunsch in der Nähe seines Palastes gewohnt und ihn mit gutem Rathe unterstützt, so oft er sie durch eine Glocke habe zu sich rufen lassen. Als die Frau endlich altersschwach ward und in ihre Heimat zurückkehrte, trauerte Kenzo tief; zugleich ward er aber sehr rachsüchtig gegen alle diejenigen, welche ehedem seinem Vater und ihm selber feindselig waren. Nur das ernste Zureden seines Bruders vermochte ihn, von der gänzlichen Zerstörung des Grabmales des Kaisers Yuriaku abzulassen, an das er schon frevelnd die Hand gelegt; denn wenn Yuriaku auch schweres Unrecht verschuldet, so war er doch immer gekrönter Herrscher Japans gewesen.

Bald darauf starb Kenzo, ohne Söhne zu hinterlassen, und sein älterer Bruder Ninken übernahm nun die Regierung. Er war ein weiser Herrscher, starb aber schon nach acht Jahren und hinterließ den Thron seinem Sohne Muretsu; allein dieser Sohn war in keiner Weise dem Vater gleich, und machte sich während seiner ebenfalls nur achtjährigen Regierung vieler Grausamkeiten schuldig. Als er einstmals mehrere seiner Unterthanen qualvoll hatte hinrichten lassen, gaben die Götter ihren Zorn zu erkennen und ließen Feuer auf der Hinrichtungsstätte vor dem Palaste regnen; allein der Kaiser blieb verstockt und ließ nur die Höfe seines Palastes mit Steinen pflastern. Als er starb, überlebte ihn weder ein Sohn, noch sonst ein naher Verwandter, und so übertrug man die Herrschaft einem Abkömmlinge des Ojin, der aus seinem Fürstensitze[208] in Omi herbeigeholt wurde und unter dem Namen Keitai zum Kaiser ausgerufen ward.

Unter Keitai und seinen Nachfolgern drang, wie die frommen Legenden besagen, zuerst die Lehre Buddha's nach Japan, obwohl es noch Jahrhunderte dauerte, bis sie feste Wurzel faßte.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 205-209.
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