Die Belagerung von Ogaki.

[288] Die Festung Ogaki, in der Provinz Mino auf den Bergen östlich vom Biwa-See, nicht weit von der Wasserscheide zwischen letzterem und der Bucht von Owari belegen, spielte in den Bürgerkriegen, welche Japan verheerten, öfter eine Rolle, zuletzt in den Kämpfen, durch welche Iyeyasu, nachdem seiner Familie ein halbes Jahrhundert die Schogun-Würde entrissen war, sie zurückeroberte und die Reihe der Schogune aus der Linie der Tokugawa – eines Zweiges der Minamoto – eröffnete.

Diese Kämpfe waren sehr hartnäckig, und als die Hauptentscheidung herannahte, stand ein an Zahl weit überlegenes Heer – die Geschichtsbücher reden von 180000 Mann – der kaum halb so starken Streitkraft des Iyeyasu in der Provinz Mino gegenüber. Das Oberhaupt der Gegner Iyeyasu's war ein mächtiger Daimio, Ischida Mitsunari, der seine Truppen in Ogaki sammelte, während Iyeyasu gegen diese Festung anrückte. Als nun Ischida gewahr ward, daß sein Heer dem des Feindes bedeutend überlegen war, verließ er die Festung und zog frohen Muthes dem Feinde entgegen, aber nur, um bald als Flüchtling mit einem Theile seines geschlagenen Heeres wieder in Ogaki einzurücken. Hier schöpfte er sammt den Seinen allerdings neuen Muth, aber nur auf kurze Zeit. Während man noch damit beschäftigt war, alles in guten Vertheidigungsstand zu setzen, und noch kein Feind ringsum zu sehen war, hörten viele der Bewohner des Schlosses und besonders die Frauen allnächtlich einen gräulichen Spuk. Es war, als ob dreißig Mann und mehr sich in den Räumen des Schlosses umhertrieben und mit gräßlichem Geheul die Worte ausstießen: »General Tanaka, General Tanaka, ho, ho!«

Was dies zu bedeuten hatte, ward nur allzubald klar: der siegreiche Feldherr Iyeyasu schickte einen seiner Unterfeldherrn,[289] Tanaka mit Namen, gegen die Feste, die nun eng eingeschlossen und unaufhörlich mit Kanonen beschossen wurde. Die Belagerten verloren den Muth noch nicht und machten viele, oft siegreiche Ausfälle, und wenn die Soldaten dann Häupter der von ihnen erlegten Feinde heim brachten, kamen ihnen Weiber und Mägde entgegen und färbten die Zähne der Feindesköpfe mit Schießpulver schwarz, um den Soldaten höhere Belohnungen zu erwirken; denn damals war es noch Sitte, daß hohe Offiziere sich – wie später die Frauen – die Zähne schwärzten.

Eines Tages hörte die Kanonade, die bereits großen Erfolg erzielt hatte, plötzlich auf, und die Belagerer zogen sich auf kurze Zeit zurück. Schon vermeinten die Soldaten in der Festung, sie seien nun aller Gefahr überhoben, als zu ihrer Bestürzung die Belagerer aufs neue herankamen und es sich zeigte, daß der Rückzug nur dazu hatte dienen sollen, um die Geschütze aus ihrer bisherigen Stellung zu entfernen und sie in größerer Nähe wieder aufzupflanzen.

Zu den Offizieren der Festung gehörte ein Vasall Ischida's, Namen Yamada, der in früheren Tagen, ehe irgend Jemand an die jetzigen Wirren dachte, Schreiblehrer des Schogun Iyeyasu gewesen war. Dieser stand eben auf den Festungsmauern und trauerte um den jähen Tod seines Sohnes, der bei dem vermeinten Abzuge der Feinde zugleich mit seiner Schwester auf die Mauer getreten und von dem ersten Kanonenschusse des wieder vorrückenden Heeres der Belagerer zu Tode getroffen war, als ein stumpfer Pfeil mit einem Briefe daran vor ihm niederfiel. Er steckte den Brief zu sich, und als folgenden Tages seine Frau und seine Tochter sich schon in einem der Thürme bereit hielten, beim voraussichtlichen Gelingen des Sturmes sich selbst zu entleiben, da trat Yamada zu ihnen heran und befahl ihnen, ihm mit ein paar treuen Dienern unverzüglich zu folgen. Der Brief hatte nämlich die Worte enthalten: wenn Yamada mit den Seinen fliehen wolle, so möge er schleunigst auf einer Leiter, oder wie er sonst wolle, die Festung verlassen; die Soldaten[290] hätten strengen Befehl, den ehemaligen Lehrer ihres Kriegsobersten ungefährdet ziehen zu lassen.

So ließ sich Yamada denn sammt den Seinen mittels Leiter und Stricken an der Außenmauer hinab; die Zusage des Briefes erfüllte sich, und er konnte ohne Unfall bis in die Reisfelder der Umgegend entweichen. Allein Schrecken und Trauer hatten die Stunde beschleunigt, in welcher die Gattin Yamada's abermals Mutter werden sollte; das neugeborene Kind ward in dem Wasser eines Reisfeldes nothdürstig gewaschen, von einer Dienerin in ihr eigenes Gewand gewickelt, die Mutter aber von ihrem Gatten auf dem Rücken weiter geschleppt, ohne Rast und Ruhe, bis in unwegsame Sümpfe, wo sich die armen Flüchtlinge verbargen und einigermaßen erholten, um später in einer kleinen ländlichen Besitzung Yamada's Zuflucht zu finden. Hinter ihnen aber hob der Sturm auf Ogaki an, und kein Mann entging dem Schwerte der Sieger. Wer in Gefangenschaft gerieth – und zu diesen gehörte auch Fürst Ischida selber – ward selbigen Tages enthauptet; so lautete der Befehl Iyeyasu's. Die Erzählung aber von den Schicksalen der Belagerten und von dem Spuke, der sie vor dem Beginne der Belagerung vergebens gewarnt hatte, theilte in späteren Jahren die Tochter Yamada's, welche mit ihm geflohen war, ihren Enkeln und Enkelinnen mit, und eine der letzteren hat sie nebst anderen merkwürdigen Dingen aus jenen Tagen sorgsam aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 288-291.
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