Miura Takeschi.

[412] Um das Jahr 1840 zog ein Fechtmeister Namens Miura Takeschi aus der Provinz Oschiu nach der Hauptstadt Tokio und hoffte daselbst als Lehrer der jungen Krieger sich leicht ein reichliches Auskommen zu verschaffen. Er war aber sehr arm, und so fand er anfangs große Schwierigkeiten, ein passendes Lokal für seine Fechtübungen zu miethen; als er dies nun endlich aufgetrieben hatte, ging ihm das Geld aus, auch noch für sich und seine Familie ein genügendes Unterkommen zu finden. Da sagte man ihm, im Stadttheil Honjo auf einer Straße, die überhaupt von bösen Geistern heimgesucht sei, stehe ein Haus gänzlich leer und werde sicher sehr billig zu miethen sein, indem es darin in ganz abscheulicher Weise spuke. Fechtmeister Takeschi war ein tapferer Gesell, und so ging er augenblicklich zu dem Hauswirthe und bat ihn, die Wohnung ihm miethweis zu überlassen; er sei nicht begütert und werde sehr dankbar sein, wenn er mit einem billigen Miethzinse abkäme. Der Hausbesitzer freute sich über Takeschi's Anerbieten sehr und erwiderte, er wolle ihm das Haus, das in der That durch Gespenster in Verruf gebracht sei, ganz umsonst zur Benutzung überlassen; er freue sich sehr, daß ein beherzter Mann hineinziehen wolle, von dem er endlich Auskunft über den Spuk erlangen und vielleicht auch Hülfe erwarten könne. So zog Takeschi mit seiner Familie ein, und ein paar Tage vergingen, ohne daß sich etwas bemerkenswerthes begeben hätte. Eines Abends aber, als der Fechtmeister ungewöhnlich lange seine Unterrichtsstunden hatte ausdehnen müssen und noch nicht heimgekehrt war, hörte seine Frau einen furchtbaren Knall, und darauf folgte Kettenrasseln und Gepolter der unheimlichsten Art. Als der Fechtmeister nach Hause kam, fand er seine Frau sehr erschreckt und[413] stellte sofort Nachforschungen an. Er fand aber nichts, und seine Frau wußte ihm auch keine weitere Auskunft zu geben, als daß der erste Knall aus der Gegend des Brunnens hergekommen sei. Anderen Tages nun verließ Takeschi sein Fechtlokal zu früherer Stunde, und einige seiner Bekannten und Schüler, welche von ihm vernahmen, um was es sich handle, schlossen sich ihm freiwillig an und erklärten sich bereit, bei den Nachforschungen nach dem Spuke zu helfen. So postirten sie sich denn an verschiedenen Stellen im Hause und in dessen Umgebung; Takeschi selber aber ließ es sich nicht nehmen, sich dicht bei dem verdächtigen Brunnen aufzustellen.

Nicht lange dauerte es, so erscholl der nämliche Knall, wie gestern, und nun lief der Fechtmeister eilends an den Brunnen und blickte hinein. Da sah er denn deutlich einen kahlen Kopf über dem Wasser schweben; noch eine Zeit lang polterte es, dann war alles still und der gespenstische Kopf verschwand.

Kaum war der Morgen angebrochen, so eilte der Fechtmeister zu dem Hauseigenthümer und bat ihn um Auskunft, was früher in der Wohnung passirt sein könne. Dieser versprach, Erkundigungen einzuziehen; Takeschi aber veranstaltete sofortige Nachgrabungen in dem Brunnen und fand dort einen Menschenschädel. Er ließ denselben nach Gebühr bestatten, und danach hörte jeder Spuk in dem Hause auf. Der Hausbesitzer aber ermittelte, daß einstmals in demselben ein Blinder, der sich mit dem Kneten und Streichen der Glieder behuf der Heilung des Rheumatismus und anderer Krankheiten seinen Lebensunterhalt verdiente, spurlos verschwunden sei. Der damalige Bewohner des Hauses sei zwar verdächtig gewesen, um das Verschwinden des Blinden zu wissen, allein es habe sich derzeit nichts ermitteln lassen. Jetzt sei es klar, daß jener frühere Hausbewohner den Blinden ums Leben gebracht habe, entweder um ihn zu berauben, oder weil er demselben Geld geschuldet und sich seiner Schuld auf jene verbrecherische Weise habe entledigen wollen. Der Fechtmeister aber ward nun wegen seiner[414] Entschlossenheit höchlich belobt, bekam viel Zuspruch und blieb noch lange umsonst im Genusse der durch ihn von dem Geiste des armen Blinden befreiten Wohnung.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 412-415.
Lizenz:
Kategorien: