Tajima Schume und der Priester.

[430] Tajima Schume gehörte zu den adligen Kriegern oder Samurai, welche in alten Zeiten das ausschließliche Recht hatten, Kriegsdienste zu leisten; aber gleich Anderen seines Standes hatte er das Unglück gehabt, daß er flüchtig werden mußte, und streifte nun als heimatloser Krieger oder Ronin im Lande umher. Es erging ihm sehr schlecht, und so war es ganz natürlich, daß er mit einem buddhistischen Priester Freundschaft schloß, von denen viele demüthigen Sinnes sich der Leidtragenden und Bekümmerten annehmen und ihnen Trost zuzusprechen lieben. Dieser Priester war von seinem Oberen beauftragt, eine nicht unbeträchtliche Summe zu einem frommen Zwecke zusammenzubringen, und hatte, wie er dem Tajima Schume vertrauensvoll mittheilte, bereits einen ziemlich großen Theil derselben beisammen. Er wollte nun versuchen, in der Nähe von Kioto die Summe voll zu machen, und Tajima Schume reiste mit ihm.

Indessen verdiente dieser das Vertrauen seines Reisegefährten durchaus nicht. Sie setzten gerade in einem kleinen Schiffe über eine Meeresbucht, um den Weg abzukürzen, als dem Tajima[430] Schume der teuflische Gedanke kam, den Priester aus der Welt zu schaffen und sich seines Geldes zu bemächtigen. Der Priester befand sich des schönen Wetters halber auf dem Verdeck, nachdem er seine Barschaft sorgsam in der kleinen Kajüte des Fahrzeuges verwahrt. Tajima hatte sich eigens dessen vergewissert und trat darauf zu dem Priester, mit dem er ein Gespräch anknüpfte, und während desselben nahm er die Gelegenheit wahr, den nichts ahnenden Gefährten hinterrücks in die See zu stoßen. Der Priester kämpfte verzweifelnd mit den Wellen, Tajima aber wehklagte, um die übrigen Mitfahrenden glauben zu machen, er sei wegen des Unfalles bekümmert, und machte sogar scheinbar einige Anstrengungen, den Priester zu retten. Dieser war bald untergegangen; das Schiff fuhr weiter, und Tajima kam ohne Aufsehen und Verdacht in den Besitz des ersehnten Geldes. Ans Land gestiegen, begann er alsobald damit Geschäfte zu machen, und als ob das Geschick eigens die Grille hätte, ihn nicht zu strafen, ließ es alle seine Unternehmungen glücken. Es dauerte nicht lange, so wurde er einer der reichsten Einwohner von Kioto.

Desto schlimmer aber sah es in seinem Innern aus. Sein ganzes Dasein war vergällt; die Folterqualen seines Gewissens hörten niemals auf, und unablässig erschien ihm das Gesicht des Priesters, zwar von Todesangst entstellt, wie er es in den Wellen verschwinden sah, aber doch mit rachedürstendem Blick und Hohnlachen. Zuletzt ward Tajima völlig gestörten Geistes, und seine Diener klagten, er müsse von bösen Geistern besessen sein. Da hörten sie denn, ein Priester reise schon seit einiger Zeit in der Umgegend umher, der eine ganz besondere Kraft im Bannen solcher Geister habe. Sie meldeten es sofort ihrem Herren, und dieser ergriff mit Begierde dies letzte Mittel der Rettung, entschlossen, dem Priester alles zu gestehen und selbst die Gefahr der Bestrafung durch den Arm der Gerechtigkeit nicht zu scheuen, um nur seiner Gewissensbisse ledig zu werden.

Man führte daher den Priester zu ihm; als Tajima ihm aber ins Antlitz blickte, da fiel er mit lautem Schrei zu Boden[431] und wand sich in den fürchterlichsten Krämpfen. Wiederum war es das Gesicht seines hinterlistig gemordeten Freundes, in das er sah.

Der Priester aber redete ihm gütig zu; es war jener hinterlistig aus dem Weg geschaffte Freund selber, kein Schatten, der vor ihm stand, der ihn sogar, als er die aufrichtige Reue des Verbrechers sah, liebreich tröstete und ihm verzieh. Er hatte, so erzählte er, keine andere Rache üben wollen, als daß er den Tajima Schume den Qualen seines eigenen Gewissens überließ; daher hätte er demselben sorgfältig die Kunde davon verhehlt, daß er nach seinem Untersinken noch einmal in die Höhe getaucht sei, sich schwimmend nach Kräften oben gehalten habe und endlich durch ein anderes Schiff gerettet sei. Nun, da er gehört, Tajima sei in Folge der Beängstigungen seines Gewissens und durch die quälenden Gesichter, welche die göttliche Gerechtigkeit gegen ihn ausgesandt, dem Wahnsinn verfallen, und da er gesehen, wie tief seine Reue sei, wolle er den Lehren seines erhabenen Meisters gemäß volle Verzeihung üben.

Tajima Schume kam allmälig zu sich, war aber aufs tiefste erschüttert und ward erst vollends von seinen Leiden geheilt, als der edelmüthige Priester einwilligte, eine Zeit lang bei ihm zu weilen und zu fernerer Sühne jene ehedem geraubte Summe, von deren Zurücknahme er Anfangs gar nichts wissen wollte, zur Ausführung frommer Werke wieder anzunehmen.

Von nun an lebte Tajima, obwohl sein eigenes Gewissen ihm niemals ganz verzieh, doch in Ruhe, und der gute Priester blieb bis ans Lebensende sein Freund.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 430-432.
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