12. Bukutschichan

[65] Es war einmal ein Müller, der hieß Lause-Hadschi11. Ihm passierte es einmal, daß die Lumpen, die er haufenweise gesammelt hatte, verschwanden. »Das darf nicht sein,« sagte er, »den Dieb muß ich finden«, und versteckte sich hinter der Türe. Er brauchte gar nicht lange zu warten, da sah er einen Fuchs hereinschleichen, und der Fuchs hatte am Bauche keine Haare mehr und am Rücken war er ganz zerzaust. »Ach, du räudiges Luder, du bist's!« sagte Lause-Hadschi und warf sich mit einem Knüppel auf den Fuchs. »Langsam, langsam, Müller!« sagte der Fuchs, »schneller Fluß findet das Meer nicht, heißt das Sprichwort, das du ja kennst. Wegen der paar Lumpen, die ich dir weggefressen habe, willst du mich umbringen? Aber ich will dich dafür reich machen, ich verheirate dich mit der Tochter des Chans, ich mache dich groß und berühmt. Unter einer Bedingung jedoch: du mußt mich bis zu meinem Tod mit Kurdjuk12 füttern und wenn ich sterbe, in einen solchen legen.« Der Müller willigte gerne ein.

Dann lief der Fuchs weg und wühlte im Misthaufen herum, bis er einen Abbas13 fand. Damit lief er dann an den Hof des Chans, der jenseits des Flusses lag. Zum Chan aber sagte er: »Verzeih, wenn ich unbescheiden bin, ich möchte dich um ein Maß bitten, um Bukutschichans Silber zu messen, ich habe schon überall danach gesucht und konnte nirgend eines auftreiben.« »Was ist denn das für ein Bukutschichan, von dem hab' ich nie etwas gehört«, sagte der Chan. »Doch, den gibt's schon, ich bin ja sein Vezier«, sagte der Fuchs, nahm das Maß, das ihm der Chan gab und lief weg.[66]

Abends brachte er das Maß zurück, nachdem er zuvor in eine Spalte desselben den Abbas gesteckt hatte. »Möcht' nur wissen, ob es wahr ist, was der nichtsnutzige Fuchs mir erzählt hat«, sagte der Chan und schüttelte das Maß. Da fiel die Münze heraus. »Muß wohl wahr sein,« sagte er nachdenklich, »aber wer mag wohl dieser Bukutschichan sein?«

Am nächsten Tag kam der Fuchs wieder; diesmal brauche er ein Maß, um seines Herrn Gold zu messen. Als er das Verlangte bekommen hatte, suchte er solange, bis er ein Goldstück fand, steckte es auch in den Spalt und brachte das Maß seinem Eigentümer zurück. »Wir sind nur mit Mühe fertig geworden bis zum Abend«, log er. Kaum war er draußen, schüttelte der Chan das Maß wieder und das Goldstück flog heraus. Wie er sich da wunderte!

Nach einiger Zeit kam der Fuchs wieder. Diesmal aber freite er um die Tochter des Chans für seinen Herrn. Der Chan wäre vor Freude fast gestorben. »Morgen komme ich mit Bukutschichan zu dir«, sagte der Fuchs und lief nach Hause. Am folgenden Tag machte er für Lause-Hadschi zuerst ein Staatskleid aus lauter bunten Bergblumen, dann ein Gewehr aus Lindenholz mit Schnüren aus dem Bast desselben Baumes und noch viele andere ähnliche Sachen. Bukutschi – so hieß er jetzt – sah aus der Ferne wie ein Regenbogen aus. Als alles fertig war, sagte der Fuchs zu ihm: »Der Chan wird dir mit seinem Gefolge entgegenreiten bis zum Fluß. Wenn du durch den Fluß reitest, schrei ›zu Hilfe, zu Hilfe, das Wasser reißt mich mit!‹ und tauche unter. Dann werden die Begleiter des Chans dich herausziehen und unsere Sache ist in Ordnung.«

So geschah's denn auch. Als Bukutschi mitten im Flusse war, tat er, als risse ihn die Strömung mit und rief um Hilfe. Der Fluß trug natürlich alles das Zeug, das er anhatte, mit sich fort und als die Reiter des Chans ihn herauszogen, war er so nackt, wie seine Mutter ihn geboren hatte. Gleich aber boten sie ihm Kleider und Waffen an;[67] Bukutschi zog sich an und sah aus wie ein feiner Kerl. Aber ... da er außer einem lausigen Halbpelz nie etwas anzuziehen gehabt hatte, kamen ihm die neuen Kleider ein bißchen fremd vor und er konnte das nicht verbergen; er zupfte hier und richtete da zurecht, glättete dort und schob hier zur Seite. »Was treibt er denn?« frugen die Begleiter des Chans den Fuchs, »er tut ja, als ob er nie ordentliche Kleider anzuziehen gehabt hätte.« »Ihr täuscht euch,« antwortete der Fuchs, »das Zeug, das er anhat, gefällt ihm nur nicht.« »Aus was waren denn seine Kleider?« frugen die Begleiter wieder, »er sah ja aus wie ein Regenbogen.« »Unbezahlbar waren sie, über und über mit Diamanten und Edelsteinen besetzt. Aber solche hat er viele und an dem einen liegt nichts daran. Worum es mir leid tut, das ist sein Gewehr. Das war ein altes Stambuler Gewehr, das er von seinen Vorvätern ererbt hatte; ein solches gibt es gar nicht mehr«, log der Fuchs. »Ja, ja, es muß ganz aus Silber gewesen sein,« sagten die Begleiter, »wir haben es schon gesehen, wie es glänzte.«

Als sie nun im Palaste des Chans angekommen waren, erstaunte Bukutschi noch viel mehr. Auf die Decke schaute er und auf den Fußboden, die Wände entlang glitten seine Blicke und alles beguckte er sich aufs genaueste. »Was hat er denn, der tut ja, als ob er noch nie ein Haus gesehen hätte«, sagte der Chan zum Fuchs. »Nein, so ist es nicht, bloß ... das deine gefällt ihm nicht recht«, antwortete dieser.

Und Bukutschi heiratete die Tochter des Chans. Eine ganze Woche dauerte die Hochzeit, eine prachtvolle Ausstattung bekam die Braut und als die Neuvermählten abreisten, gab ihnen alles Geleite, was nur gehen konnte: Reiter und Fußgänger, Trommler, Flötenspieler, Sänger, Buben, Mädel, und ein Haufen Volks. »Ich laufe voraus und richte das Haus her,« sagte der Fuchs, »ihr kommt nach.« Sprach's und lief so schnell ihn seine Beine trugen.

Lange Zeit lief er, kurze Zeit lief er, endlich kam er zu einer Steppe, auf der eine große Herde weidete. »Wem[68] gehört das Vieh?« frug er. »Dem Drachen«, antworteten die Hirten.

»Gebt acht, gebt acht!« warnte der Fuchs, »nennt den Namen des Drachen nicht mehr; der ist erledigt. Mit Mörsern und Kanonen, mit Pulver und Blei kommt das Heer der sieben Könige, um ihn zu töten. Wenn ihr sagt, daß ihr die Hirten des Drachen seid, schlagen sie euch auch tot und nehmen euch euer Vieh weg. Es gibt nämlich einen Chan – Bukutschi heißt er – den sogar die Könige fürchten; wenn euch jemand fragt, wem das Vieh gehört, sagt nur, es gehöre dem Bukutschi, dann tut euch niemand etwas zu leide.«

Weiter lief der Fuchs und kam zu der Pferdeherde des Drachen, danach zu der Schafherde, danach zu den Schnittern und überall erzählte er dieselbe Geschichte.

Und immer noch weiter lief der Fuchs, bis er endlich zu des Drachen Palast kam. »Drache!« rief er, »Drache, ich habe deine Gastfreundschaft nicht vergessen und ich komme, um dich zu warnen. Das Heer der sieben Könige kommt hinter mir, mit Kanonen, Mörsern, Geschossen und allem Nötigen; was gedenkst du zu tun?« »Ach, was kann ich da machen?« antwortete der Drache, »gegen ein solches Heer kann ich ja doch nichts ausrichten; weißt du keinen Ort, Fuchs, wo ich mich verstecken könnte?« »Verstecke dich hier«, sagte der Fuchs und zeigte auf einen berghohen Heuhaufen, der mitten im Hofe stand, »nur mach schnell, denn das Heer ist mir auf den Fersen.« Der Drache versteckte sich so schnell er konnte und der Fuchs ... zündete den Heuhaufen an allen vier Ecken an. Wie eine Wurst schmorte der Drache in dem Riesenfeuer.

Und schließlich kam das neuvermählte Paar an, mit Musik und Trommel, mit Vorreitern, Sängern, mit Lärm, Geschrei und Schießen. Als sie die Steppe erreichten, wo das Rindvieh weidete, frugen sie, wem die Herde gehöre. »Dem Bukutschichan«, war die Antwort. Als sie zur Pferdeherde kamen und dieselbe Frage stellten, bekamen[69] sie dieselbe Antwort. Als sie zur Schafherde kamen und frugen, wem sie gehöre, hieß es: dem Bukutschichan. Als sie zu den Schnittern kamen und sich erkundigten, wem diese Felder und Wiesen gehörten, sagte man ihnen: dem Bukutschichan. Nicht wenig wunderte sich da sein Gefolge ob des unerhörten Reichtums ihres Herrn. Der selbst aber wußte gar nicht, wie ihm geschah; er wurde fast verrückt darüber. Schließlich kamen sie zum Drachenschloß. Dort erwartete sie der Fuchs. Die Begleiter des jungen Paares schickte er zurück; Bukutschichan und seine Frau richtete er im oberen Stockwerk ein, er selbst aber ließ sich im unteren häuslich nieder. Schöne Zeiten verlebte Bukutschi da; er hatte wirklich gar nichts zu tun, bloß bei seiner Frau zu schlafen, alle andern Sorgen nahm ihm der Fuchs ab.

Nun wollte dieser aber doch einmal wissen, was Bukutschi von ihm dachte. Zu diesem Zweck legte er sich einmal mitten im Hofe hin und stellte sich tot. »Schau, da liegt unser Fuchs; es scheint, er ist verreckt«, sagte Frau Bukutschi zu ihrem Mann. »Und wenn er siebenmal verreckt ist, ist mir's gleich; hab' den Nichtsnutz schon lange satt.«

Kaum aber hatte er's gesprochen, als der Fuchs aufsprang und ein Liedchen anfing:


Erzähl' ich sie, erzähl' ich's nicht,

Vom Lause-Hadschi die Geschicht',

Und von der Lindenflinte,

Vom Müller in der Tinte?


Wer fiel auf die Knie, wer bat, wer flehte den Fuchs an nichts zu verraten? Der Lause-Hadschi.

Und wer verzieh großmütig? Der Fuchs.

Aber alles nimmt ein Ende ... Eines Tages starb der Fuchs wirklich. Bukutschi aber, der fürchtete, das sei wieder nur eine Finte, wickelte ihn in einen Kurdjuk ein. Und heute noch soll der Fuchs darinstecken.

11

Hadschi ist der Titel der Mekkapilger, die den Hadsch, die Wallfahrt nach Mekka, gemacht haben.

12

Der sehr fette Steiß des Fettschwanzschafes heißt so.

13

Gegenwärtig wird das Zwanzigkopekenstück im Kaukasus so genannt.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 65-70.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon