49. Gott erschlägt Batrás

[178] Einst sagte Batrás: »Hier auf Erden kann ich ja doch nichts tun, ich will lieber in meinen Aufenthaltsort zurückkehren! Sprach's und machte sich auf den Weg zum Himmel.« Wie er noch so wanderte, traf er die sieben Uatsilla45. »Euch hab' ich gesucht«, sagte er, schoß und viere davon waren tot; die andern drei gingen zu Gott und beklagten sich bei ihm[178] über Batrás. Gott aber wollte sie nicht hören. Dann verließ Batrás wieder den Himmel, um die Uástyrdji46 zu suchen; er traf sie auf dem Wege, schoß auf sie, tötete ihrer dreie, und die vier andern gingen zu Gott, um ihm ihre Klagen vorzutragen. Aber Gott hörte auch sie nicht an.

Da versammelten sich die Uátsilla und die Uástyrdji und hielten Rat. »Warum sollen wir den Batrás nicht töten, wenn Gott uns nicht hören will?« sagten sie. Und als sie ihn auf der Chasma-Ebene47 erblickten, schössen sie auf ihn. »Na, ist das nicht ein Wunder?« sagte Batrás, »schneit es oder kämpfen meine Feinde mit mir? Wahrscheinlich sind's meine Feinde!« Dann packte er die Kugeln zusammen, schoß auf sie und traf sieben davon, die vier Uástyrdji und drei Tbauátsilla48. Wieder gingen die Überlebenden zu Gott und beklagten sich: »Wie's dir paßt, wähle, entweder wir – oder Batrás.« »Ohne euch kann ich nichts ausrichten,« sagte Gott und schickte Batrás auf die Kabardinische Ebene und hinter ihm drein das Balsäg-Rad49.

Als Batrás dies sah, wußte er, was ihm bevorstand: »Gott will mich also töten, sonst hätte er doch das Balsäg-Rad nicht hinter mir her geschickt!«

Als Batrás sich von Kurdálägon stählen ließ, war ein Darm in seinem Innern roh geblieben. Der fing jetzt an[179] zu brennen, Batrás fiel zu Boden und das Rad rollte auf ihm hin und her. Batrás starb.

»Nun hab' ich meinen Sohn selbst getötet,« sagte Gott, »wer trägt ihn jetzt in die Sopia-Gruft?50 He, ihr Engel, ihr habt euch über Batrás beklagt, geht jetzt und tragt ihn in die Sopiagruft!« Als sie an der Leiche Batrás' standen, ließ er seinen Geist auf sie los und davon starben ihrer sechzig, die andern aber gingen wieder zu Gott, um sich zu beklagen: »Ach, was hat uns sein Leben getan? Sein Tod aber war noch schlimmer für uns!« »Das war mein Beschluß, daß er seinen Geist auf euch losließ«, antwortete Gott, »geht und begrabt ihn, wo ich euch gesagt habe.« »Wir werden seiner nicht Herr«, sagten die Engel. »Laßt das meine Sache sein«, sagte Gott. Als sie ihn zur Gruft getragen hatten, stemmte sich Batrás mit beiden Fußen an und wollte nicht hinein. »Warum willst du denn nicht in die Gruft?« frugen ihn die Engel. »Wie soll ich wollen, wenn ich Gott nicht sehe?« antwortete Batrás. Da kam Gott und sagte zu ihm: »Mein Sohn51, warum gehorchst du nicht?« »Weil ich dich nicht sah«, antwortete Batrás. Da ließ Gott drei Tränen auf ihn fallen und aus der einen wurde Tarandjälos52, aus der andern Mykaly-Gäbyrtä53, aus der dritten Rekom54. Dann legten sie Batrás in die Gruft und dort befindet er sich jetzt.

45

Uatsilla ist der Gott der Gewitter und der Fruchtbarkeit. Das uatsam Anfang bedeutet wahrscheinlich »heilig«. Illa = Elias. Wir haben es hier sicher mit einer uralten mythologischen Person zu tun, die nur durch den Einfluß des Christentums einem christlichen Heiligen angeglichen worden ist, denn ähnliche Gewitter- und Fruchtbarkeitsgötter kennen auch andere kaukasische Völker. In den Nartensagen treten sieben Uatsilla auf. Die alten heidnischen Gottheiten sind bei den Christen und den Mohammedanern unter den Osseten zu Engeln und Boten Gottes geworden.

46

Uástyrdji ist wie das vorige aus uas, uats und tyrdji = Georg zusammengesetzt. (Im Digorischen Ossetisch – Kjergi.) Er ist der Feind der Diebe, Bösewichte, Meineidigen. Er reitet auf einem weißen Pferde.

47

Wo die Chasma-Ebene ist, weiß niemand.

48

Das Tba ist dunkel. Sollte sich das georgische Tba = See dahinter verstecken und es sich um See- oder Wassergeister handeln?

49

Heißt auch Malsädji-, Barsädji-Rad. Es steht im Dienste Gottes und des Fyd Joannä (= Vater Johannes = Johannes der Täufer). Das Rad zerschneidet den, gegen den es ausgesandt wird, in Stücke.

50

Niemand weiß, wo sich diese Gruft befindet. Vielleicht eine alte Kirche zu Ehren der heiligen Sophia?

51

Im ossetischen Text: mä skängä läppu = mein genannter (also nicht leiblicher) Sohn.

52

Drei Heiligtümer. Das erste trägt einen georgischen Namen, mthavarangelozi = der Erzengel, aber niemand weiß, wo es sich befindet. Die beiden andern sind nicht weit vom Zei-Gletscher.

53

Drei Heiligtümer. Das erste trägt einen georgischen Namen, mthavarangelozi = der Erzengel, aber niemand weiß, wo es sich befindet. Die beiden andern sind nicht weit vom Zei-Gletscher.

54

Drei Heiligtümer. Das erste trägt einen georgischen Namen, mthavarangelozi = der Erzengel, aber niemand weiß, wo es sich befindet. Die beiden andern sind nicht weit vom Zei-Gletscher.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 178-180.
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