[157] 37. Der Vogel Peaged arsai

In Ngariap auf Peliliu lebten einmal zwei Brüder. Die waren beide sehr fleißig; der ältere schnitt Palmwein, und der jüngere sammelte Feuerholz. Eines Tages ging er wieder morgens früh in den Wald, wo die Mangobäume stehen, um Holz zu schlagen; als er aber gegen Mittag nach Hause kam, hatte er kein Feuerholz mitgebracht. Sein Bruder wurde sehr böse, er schalt ihn aus, und wie er ihn ärgerlich anfuhr, antwortete der jüngere: »Ich konnte kein Holz bringen; ich mußte mich mit einem großen Vogel herumschlagen, der saß auf einem Mangroven-Baum und warf nach mir mit Früchten, während ich mich mit Knüppeln gegen ihn wehrte.« »Ach geh,« rief der ältere mürrisch, »mach, daß du fortkommst und bringe endlich Holz, damit wir Feuer machen können.« Der gescholtene Bruder ging denn auch und kam nach kurzer Zeit mit etwas Holz wieder, worauf sie kochten und zu Mittag aßen. Als der jüngere nachmittags wieder in den Wald ging und zum Mangroven-Gebüsch kam, war der Vogel ebenfalls da. Der Junge schnitt [157] sich nun drei ellenlange Stöcke und warf damit nach dem Vogel; der wich jedoch nicht von der Stelle. Da griff er nach der Axt und schleuderte sie auf das Untier; das fing sie aber auf und zog damit ab. Es trollte sich damit nach seinem Haus, das im Süden von Ngariap neben dem Zauberbaum Bars ra kesau stand; dort legte es die Axt oben auf ein Wandbord. Als der Junge nun ohne Axt nach Haus kam, wurde sein Bruder wieder sehr wütend und jagte ihn hinaus, damit er die Axt wiederhole. Oh, er war so böse, daß er dem Jungen nicht einen Bissen gönnte, und nicht einmal duldete, daß er einen Schluck Wasser trank. Weinend begab sich der Arme zum Mangroven-Gebüsch, um den Räuber seiner Axt zu suchen; doch er fand ihn nicht. Er sah nur seine Spuren, und als er denen nachging, kam er richtig an den Zauberbaum und an das Haus, wo der Vogel, der Peaged arsai1, drinnen saß. Weinend setzte er sich vor der Tür hin. Der Vogel fragte ihn: »Warum weinst du denn?« Und nun erzählte der Junge, wie sein Bruder ihn gescholten und fortgejagt hätte, um die Axt zu suchen, ohne die sie ja kein Holz mehr zum Feueranmachen bekommen könnten; wie er ihm nicht einmal einen Bissen oder einen Schluck Wasser gegönnt hätte; und daß er nun so hungrig und durstig sei. Der Vogel hörte ihn an und lud ihn ein ins Haus zu kommen und etwas zu essen. Er holte ein Stückchen Fisch und etwas Taro herbei, legte beides auf einen Holzteller und stellte ihn vor den Jungen hin. Der wurde aber ärgerlich: »Was soll ich mit solchen armseligen Brocken? ich bin doch so hungrig?« – »Iß nur, iß!« rief Peaged. Und sieh da, sobald der Junge ein Stückchen genommen hatte, lag sofort ein neues da. Er aß so lange, bis er keinen Bissen mehr hinunterbekommen konnte; ganz angsterfüllt blickte er den Vogel an, weil er nicht mehr essen mochte. Und es ist doch Palau-Sitte, daß man alles aufißt oder den Rest mitnimmt. Da rief der Vogel nur kurz: »Fertig!« und alsbald hörte der Nachwuchs auf. [158] Dann fragte er den Jungen: »Was willst du mir nun sagen?« Der erwiderte: »Mein Bruder und ich sind unverheiratet; er schneidet Palmwein und ich schlage Feuerholz; damit kochen wir uns Sirup; der ist unsere einzige Nahrung. Jetzt habe ich meine Axt verloren, und wir sind übel daran!« – »Sei unbesorgt und guten Muts,« rief Peaged, »geh dort ins kleine Häuschen. Das ist voll von Beilen und Äxten, eine ist noch schöner als die andere. Geh, such dir eine aus. Unterm Haus und auf den Borten sind auch noch welche.« Der Junge fand auch bald seine eigene Axt wieder, und die dünkte ihm gut genug. Hocherfreut kam er wieder zum Vogel. Der sagte: »Ich wußte, daß du arm bist. Und weil du so fleißig bist, gefielst du mir, deshalb forderte ich dich zum Kampf heraus, damit ich deine Axt bekäme und du dann zu mir ins Haus kämest und sie wiederholtest! Ich will dir nun etwas Gutes erweisen. Geh jetzt zu deinem Bruder zurück und merke dir genau, was ich sage: Wenn du an das Landstück Gataulukes kommst, und du hörst dort Schnalzen und Händeklatschen, dann dreh dich nicht um; aber in Galeulukes schau dich ruhig um, wenn du dort etwas hörst.« Der Junge verabschiedete sich nun vom Vogel und tat genau wie ihm geheißen. Als er nach Gataulukes kam, hörte er Schnalzen und Händeklatschen; da ging er ohne sich umzusehen weiter. Und wie in Galeulukes das gleiche geschah, da wandte er sich um; und siehe da, ein schönes Weib stand auf dem Wege. Das trat auf ihn zu und sagte, sie wolle seine Frau sein. Es waren noch viele andere schöne Mädchen da, die ihn alle zum Mann begehrten; er aber sagte: »Diese ist meine Frau!« So kehrte er mit seiner Axt und einer schönen Frau nach Haus zurück.

Versammlungshaus auf Korror in Palau
Versammlungshaus auf Korror in Palau

Als sein Bruder die Ankömmlinge erblickte, fragte er ganz erstaunt, wie dies nur alles zugegangen wäre. Und der Junge erzählte ihm seine Erlebnisse und wie er die Frau bekommen hatte. Einige Tage später sagte der ältere zum jüngeren Bruder: »Schneide du heute den Palmwein, ich will Feuerholz [159] holen.« Darauf nahm er die Axt und verschwand. Er hatte sich jedoch die Worte seines Bruders nicht genügend eingeprägt, und so sah er sich schon in Gataulukes um; aber oh weh! Da standen keine schönen Mädchen, sondern nur ein Haufen häßlicher, alter, kranker Weiber, die dem nun Fliehenden nach seinem Hause folgten. Der Jüngere war über diesen Zuwachs nicht gerade erfreut; und freiwillig gingen die Weiber auch nicht; doch er schwieg, bis ihn der Ältere fragte: »Was sollen wir bloß tun, um diese Teufel loszuwerden?« Der Jüngere beriet sich mit seiner Frau und sagte dann: »Wir wollen einen Kochtopf holen und da hinein unsere Notdurft verrichten!« So geschah es denn auch; und als der Topf halbvoll war, banden die drei ihn zu und ließen ihn stehen. Kurze Zeit darauf rief der Ältere: »Ich kann es mit diesen Weibern nicht mehr aushalten. Behalte du das Haus und mache deinen Palmwein allein!« Sprach's und rannte davon. »Schön,« sagte der Jüngere und fing an Palmwein zu schneiden und zu kochen. Als er fertig war, speiste er mit seiner Frau und sagte dann, auf den zugebundenen Topf zeigend, zu den alten Weibern: »Hier ist euer Sirup, den könnt ihr aufessen.« Damit gingen er und seine Frau zur Tür hinaus. Alsbald fielen die Weiber gierig über den Topf her; als ihnen aber der fürchterliche Gestank entgegenströmte, da stürzten sie eilends aus dem Hause und verschwanden für immer. Jetzt konnten der Jüngere und seine Frau wieder in das Haus einziehen. Die Frau baute Taro, und er schnitt Palmwein; so hatten sie reichlich zu essen.

Der ältere Bruder kehrte nicht wieder. Er war nach Ngardololok geflohen und wurde dort zum kleinen Dämon a Imok. Seine Frauen verwandelten sich in die bösen häßlichen Waldteufel, die man Tengangoi le galid heißt und denen man in den Büschen stinkende Fische als Opfer bringt, um sie versöhnlich zu stimmen.


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Huhn

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 157-160.
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