[101] 34. Daumerling

Der König fuhr an einer Kate vorbei, wo der Kätner seinen Acker pflügte. Es war noch ein zweites Pferd in der Nähe, aber kein Mann dabei zu sehn. »Wer pflügt denn mit dem andern Pferd?« fragte der König. »Mein ältester Sohn.« – »Willst du mir den Sohn nicht verkaufen?« – »Gott behüte! Wie werd ich wohl meinen Jungen verkaufen«, meinte der andere. »Verkauf mich nur, Vater!« rief der Junge aus den Erdschollen heraus. Der Vater verkaufte ihn, und der König steckte ihn in die Tasche. Aber er steckte ihn in die Tasche, wo sein Geld war. Da rief der Junge aus der Tasche: »Vater, komm und begleite mich!« Der Vater kam, und der Junge warf alles Geld aus der Tasche. Als das Geld alle war, sagte der Junge: »Vater, Vater, geh jetzt zurück!« Der Vater kehrte um und las das Geld auf.

Sie kamen ins Schloß, da sagte der König: »Zieh mir meine[101] Stiefel und Strümpfe aus und bring sie zum Trocknen!« Der Junge schob die Stiefel in die Ofenröhre, und die Strümpfe weichte er im Zuber ein. Am folgenden Morgen sagte der König: »Bring mir die Strümpfe und Stiefel!« Der Junge brachte die Strümpfe. Aus den Strümpfen lief das Wasser noch die Diele entlang. Da sagte der König ärgerlich: »Die sind ja gar nicht trocken. Bring die Stiefel!« Daumerling brachte die Stiefel. Von dem einen Stiefel war nur ein Stück vom Schaft, am andern bloß der Absatz übrig. Der Junge meinte: »Die sind trocken.« – »Jetzt kriegst du aber deine Prügel«, sagte der König. Da entwischte der Junge in sein Bett und verkroch sich im Stroh. Sie suchten und suchten ihn, aber sie fanden ihn nicht. Das Stroh warfen sie dem Ochsen vor, und der Ochs fraß das Stroh mit dem Jungen. Am andern Morgen, als die Mägde in den Viehhof kamen, rief der Junge aus dem Bauche des Ochsen: »Schön guten Morgen!« Das meldeten die Mädchen, und der Ochs wurde geschlachtet. Sie suchten den Jungen, aber sie fanden ihn nicht, wie sehr sie ihn auch suchten.

Die Därme brachten sie auf den Acker, und die Wölfe kamen und fraßen die Därme mit dem Jungen. Als dann der Wolf, der ihn gefressen hatte, zu einem Schafpferch lief, rief der Junge aus dem Bauche des Wolfes: »Schäfer, Schäfer, der Wolf frißt dein Schaf!« Da fing der Schäfer an zu schreien, und der Wolf mußte leer abziehen.

»Hör mal«, sagte der Wolf zum Daumerling, »du kannst da drin nichts anfangen, und ich muß verhungern.« – »Gut, ich gehe weg«, antwortete der Junge, »wenn du mich vor meines Vaters Hausflur bringst.« Der Wolf ging, aber der Junge sagte: »Bis in meines Vaters Hausflur!« Das tat er, und als sie dort waren, schrie der Junge: »Vater, Vater, es ist ein Wolf im Hausflur!« Der Vater kam und schlug den Wolf tot und bekam seinen Jungen wieder. Aus dem Wolfsfell aber machten sie sich eine Geldtasche, wo hinein sie das Geld des Königs steckten.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 101-102.
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