39. Vom Juden und Petrus. (45)

[485] Es war ein Jude, der wollte gern reich sein. Er hörte einmal, wie der Pfarrer sprach ›Wer einem Armen Geld gibt, dem wird es Gott hundertfältig lohnen.‹ Und da sagte er ›Da geb ich einem doch hundert Rubel, das trägt mir dann hundert mal so viel ein!‹ Und er schenkte unterwegs einem Armen hundert Rubel und wartete darauf, ob er ihm das Geld brächte, aber er wartete umsonst.

Wie er nun wieder heimgehn wollte, begegnete ihm ein alter Mann, das war Petrus, und der Alte sprach zu ihm ›Lass uns selbander gehn, da will ich dir das hundertfache, was du haben wolltest, geben.‹ Sie gingen zusammen und kamen zu einem König,[485] dem war sein Töchterchen gestorben. Da sprach Petrus zum Juden ›Wir wollen ins Schloss gehn und dem König seine Tochter wieder lebendig machen.‹ Der Jude sagte ›Dann sei aber nicht dumm und fordre auch einen gehörigen Lohn dafür!‹ Als sie nun vor den König kamen, sprach Petrus zu ihm ›Wir wollen deine Tochter von den Todten auferwecken.‹ Fragte der König ›Was wollt ihr dafür haben, wenn ihr sie auferweckt?‹ Petrus antwortete ›Zwei Käse und hundert Rubel.‹ Das war dem König recht, und Petrus sagte zum Juden ›Wir müssen das Mädchen zerhacken und in einen Kessel legen und kochen und danach die Stücke wieder zusammensetzen, dann wird sie lebendig.‹ So thaten sie nun auch: sie hackten das Mädchen in Stücke, kochten es und setzten es wieder zusammen, und dann sprach Petrus ›In meinem Namen steh auf!‹ und das Mädchen stand auf. Und es lief zum König und sprach ›Gib ihnen jetzt ihren Lohn dafür, dass sie mich von den Todten auferweckt haben.‹ Der König ging zu Petrus hin und gab ihm die hundert Rubel und die zwei Käse, Petrus aber übergab die beiden Käse dem Juden, und dann wanderten beide von dannen. Nach einer Weile sprach Petrus zum Juden ›Zeig mir jetzt einmal die zwei Käse!‹ Der Jude aber gab ihm nur einen, und Petrus fragte ›Wo ist denn der andre Käse?‹ Der Jude antwortete ›Ich weiss es nicht, du hast mir nur einen gegeben!‹ Da führte Petrus den Juden in ein Wasser hinein, um ihn zu ersäufen; Petrus ging auf der Oberfläche des Wassers, und der Jude musste im Wasser gehn. Wie sie ein Stück vom Land waren, fragte Petrus ›Hast du den Käse gegessen?‹ ›Nein‹, antwortete der Jude. Da führte ihn Petrus noch tiefer hinein und fragte ›Hast du den Käse gegessen?‹ ›Nein.‹ Petrus führte ihn noch tiefer ins Wasser, dass ihm das Wasser schon über den Bart lief, und wieder fragte er ›Hast du den Käse gegessen?‹ und wieder antwortete der Jude ›Nein.‹ Petrus ersäufte den Juden aber doch nicht, er zog ihn jetzt aus dem Wasser heraus und führte ihn weiter. Und sie kamen an eine Wiese, und Petrus sprach ›Jetzt wollen wir das Geld theilen‹, und machte drei Theile, einen sollte der Jude haben, einen er und einen der, der den Käse gegessen hatte. Der Jude fragte ›Für wen ist diess und diess und diess Geld?‹ Spricht Petrus ›Dieses Häuflein ist für dich, dieses für den, der den Käse aufgegessen hat, und diess dritte Häuflein ist für mich, aber ich will[486] auch das Häuflein dem, der den Käse aufgegessen hat, geben.‹ Da sagte der Jude ›Ich hab den Käse gegessen! sieh, hinter meinen Zähnen da steckt noch ein Stückchen von dem Käse!‹ Petrus sprach ›Ei sieh! Zuerst als ich dich ersäufen wollte, da wolltest du es ja nicht eingestehn, dass du den Käse gegessen hättest!‹ Aber er gab ihm das ganze Geld und sprach ›Jetzt hab ich es dir hundertfältig vergolten!‹

Sie wanderten weiter und kamen in ein andres Königreich. Und Petrus sprach ›Weisst du schon? dieser König muss seine Tochter einem Drachen geben, der sie verschlingen will, da wollen wir doch zu dem König hingehn und seine Tochter von dem Drachen befreien.‹ Spricht der Jude ›Das können wir thun, aber fordre nur auch eine gehörige Summe dafür!‹ Wie sie zu dem König kamen, sagte Petrus ›Ich habe gehört, dass deine Tochter von einem Drachen verschlungen werden soll, wir wollen sie befreien.‹ Da fragte der König ›Wie viel wollt ihr haben, wenn ihr meine Tochter befreit?‹ Petrus antwortete ›Für dreihundert Rubel thun wir's‹, und dem König war's recht. Die Königstochter wurde jetzt zu dem Drachen gefahren, und Petrus stellte sich an der Höhle auf. Und wie der zwölfköpfige Drache herauskam, hieb ihm Petrus mit einem Hieb sechs Köpfe und mit noch einem die andern sechs Köpfe ab, und die Königstochter war jetzt befreit. Petrus und der Jude fuhren mit zum König zurück, der liess sie noch Mittagbrot essen, und nachdem Petrus mit dem Juden gegessen hatte, gingen sie weiter. Petrus aber sprach ›Jetzt hab ich dir's hundertfältig vergolten!‹

Danach hörte der Jude, dass eines Königs Tochter gestorben sei. Da ging er allein zu dem König und sagte, er wolle für tausend Rubel seine Tochter wieder lebendig machen. Der König sprach ›Gut! ich will dir das bezahlen, aber wenn du sie nicht zum Leben erweckst, lass ich dich hängen!‹ Der Jude zerschnitt die Königstochter in Stücke, that die Stücke in einen Kessel und kochte sie, dann setzte er die Stücke auf einer Bank wieder zusammen und sprach ›Steh auf, Königstochter!‹, allein, die Königstochter stand nicht auf. Da stellte sich der Jude auf die andre Seite der Bank und sprach ›Steh auf, Königstochter!‹, die Königstochter aber stand nicht auf. Wie der König sah, dass es nicht ging, befahl er, dass man den Juden zum Galgen führe. Und ein[487] paar Männer packten den Juden, und sie schleiften ihn auf einer Egge zum Galgen. Und sie hatten ihn schon an dem Galgen in die Höhe gebracht, da sah er Petrus herankommen und rief ihm zu ›Petrus! Petrus! komm herbei, ich soll eben gewürgt werden!‹ Petrus trat heran und sprach zu den Leuten ›Hängt ihn nicht! wir werden eure Königstochter von den Todten auferwecken!‹ Und sie liessen den Juden ungehängt und fuhren ihn wieder heim. Und Petrus ging mit zu dem König, und wie er zu der Königstochter hintrat und sprach ›Steh auf, Königstochter!‹, da stand sie auf. Dem Juden aber zahlte der König die tausend Rubel und gab den beiden noch zu Mittag zu essen. Darauf wanderte Petrus mit dem Juden weiter, und er sprach zu dem Juden ›Sieh, das alles hast du dafür, dass du dem Armen das Geld geschenkt hast!‹

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 485-488.
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