Der Schutz-Geist.

[52] Auf der Alp Lavetz am Stäzer Horn hütete ein Berg-Butz viele Jahre lang das Vieh und schützte es besonders während des Nebelwetters oder der Nacht vor Schaden. Zur Belohnung mußte der Senne jeden Abend eine kleine, hölzerne Schüssel mit süßem Rahm füllen und diese auf das Dach der Sennhütte setzen; jeden Morgen fand er diese Schüssel am gleichen Platze, leer. – Eines Abends füllte der Senne aber die Schüssel mit saurer Milch, statt mit Rahm, weil derselbe ihn reute und er über der Gewohnheit ungläubig geworden war. In der Nacht war ein furchtbarer Sturm, der ihn nicht schlafen ließ; er hörte eine starke Stimme, die seinen Namen rief, gab aber keine Antwort, worauf der Berggeist, der ihn gerufen, heftig an die Thüre polterte, bis der Senne aufstand. Der Berggeist rief vor der Thüre weiters: »Undankbarer, wisse, eilf deiner schönen Kühe sind am Felsen verunglückt und liegen erschlagen in der Tiefe.« Der Senne konnte durch die Ritze in der Thüre die schreckliche Gestalt des Geistes erblicken und erschrack darüber dermaßen, daß er zu Boden fiel und am Morgen stark verwundet, in der Küche liegend, gefunden wurde. – Die Knechte hatten vom Vorgange nichts vernommen, erst die Erzählung des Sennen ließ sie Schreckliches ahnen. Mit Messern, Beilen und Stricken versehen eilten sie der Felswand zu und fanden richtig elf der schönsten Rinder zerschellt am Fuße derselben. – Seitdem ist auch der Berggeist als Hüter in der Alp Lavetz nicht mehr erschienen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 52.
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