Wie es am Anfang auf den Landstraßen spukte

[104] »Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.« Dies Wort hatte für die ersten Reisen im Motorwagen eine erhöhte Bedeutung. Aus dem Schatzkästlein meiner Erinnerungen will ich nur ein paar Erlebnisse ausplaudern. Man muß sich eben vorstellen, wie fremdartig das ungewohnte Gefährt zur Zeit der ältesten Automobilepoche auf Tiere und Menschen wirken mußte. Die Pferde, die ihrem neuen Konkurrenten wenig Liebe und Verständnis entgegenbrachten,[104] scheuten und wollten auf und davon. Die Kinder sprangen, wenn der Wagen fremde Dörfer passierte, unter Schreien und Rufen: »Der Hexenkarren, der Hexenkarren!« in die Häuser, schlugen, so rasch sie konnten, die Haustüren hinter sich zu und verriegelten sie, wohl aus Angst vor bösen Geistern. Eine Schwarzwälderin machte vor mir in rascher Aufeinanderfolge immer wieder das Kreuz, als wäre ich der leibhaftige »Gottseibeiuns«, und ein anderes Mal schrie eine Frau in hellster Aufregung: »Ein Wagen ist durchgebrannt, ein Wagen ist durchgebrannt.« Daß ein Pferd durchbrennen kann, ist ein alter Erfahrungssatz. Daß aber auch Wagen durchbrennen können, das war selbst mir, der dem Wagen das »Durchbrennen« ermöglichte, neu.

Auch auf manchen biederen Pfälzer Bauern wirkte das unheimliche »Teufelsfuhrwerk« geradezu schreckenerregend. Fuhr ich mit hochgestelltem Halbverdeck durch abgelegene Gegenden des Odenwaldes, so konnte ich mehr als einmal beobachten, daß ein Bauer aus Gespensterfurcht sein Fuhrwerk Fuhrwerk sein ließ, Hals über Kopf ins Feld hineinsprang und sich entweder dort oder im benachbarten Wald versteckte, bis der Teufelsspuk vorüber war.

Später wendete sich das Blättchen. Wieder spukte es auf den Landstraßen; aber bei diesem neueren Spuken mußte ich die aktive Rolle vertauschen mit der passiven. Die »bösen Geister« pflanzten sich an der Dorfstraße auf und gaben ihren furchtlosen Gefühlen durch eine Begrüßung mit fliegenden Schottersteinen greifbaren Ausdruck.

Auch meine ersten Käufer machten ganz ähnliche Erfahrungen wie ich selbst, als sie mit meinen Wagen zuerst in der Öffentlichkeit auftauchten. Herr Robert Vieweg, Dresden,[105] der einen »Patentmotorwagen Benz Viktoria« gekauft hatte, schreibt z.B. darüber im »Motor« (Juli-August 1918):

»Trotzdem bin ich hier im Erzgebirge große Straßensteigungen gefahren und habe die Bewunderung des Publikums erlangt. Natürlich fehlte es nicht an Kritikern, und der Wert des Fahrzeuges wurde meist auf 400 Mark geschätzt.

Das Publikum nannte den Wagen kurzerhand und längere Zeit danach einfach die ›Benzine‹, und das Benzin kam natürlich auch von Benz, denn wozu bestand die Namensverwandtschaft? Wer sich damit beschäftigte, wurde allgemein als Herr Ingenieur bewundert, und wenn er auf der Landstraße, trotz seiner Kunst, das Gefährt nicht wieder flottbringen konnte oder sogar Ochsenvorspann nehmen mußte, belächelt oder schadenfroh belacht, und keiner der immer zahlreichen Umstehenden reichte die hilfreiche Hand.

Immer war es besser als in der folgenden Zeit, wo man weniger persönlichen Verkehr mit den Straßenpassanten hatte, dafür aber von diesen wegen des ekelhaften Staubes recht liebliche Worte nachgerufen erhielt und sonstwohin gewünscht wurde. Trotz dieser Liebe ist der Wagen im Tempo weitergelaufen. ...

Nun kam die Mode aus Paris. Der bisherige Motorwagen, in Paris genannt ›Wagen ohne Pferde‹, verschwand, und es erschien dafür der weit schönere Name ›Automobil‹, mit ihm der ›Chauffeur‹ auf der Bildfläche. Wie wäre es mit der alten Volksbezeichnung ›Benzine‹ als neuem Vorschlag?«[106]

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 104-107.
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