Gedenke, daß du ein Deutscher bist

[111] Nachdem vom Jahre 1887 an immer mehr Benzwagen in Frankreich eingeführt wurden, nachdem Daimler im Jahre 1889 seine französischen Patente an Panhard & Levassor verkauft hatte, stürzten sich die Franzosen auf den deutschen Gedanken wie die Bienen auf aufblühende Blumen, holten den Nektar heraus, machten Honig daraus und verkauften ihn an die ganze Welt, nicht zuletzt auch an Deutschland.

Die guten Deutschen! Sie halten's gern mit dem Philosophen Emerson, der die Erfinder von Maschinen und Mechanismen kurzweg als »Zuckerbäcker« bezeichnete.

Sind die Erfinder aber gar nur Deutsche, so gelten diese Propheten in ihrem Vaterlande manchmal noch weniger als die Zuckerbäcker. Der Mann mit der rückständigen Zipfelmütze über den Ohren mißachtete von jeher gerne, was deutsch und deutschen Ursprungs ist – selbst wenn es dem Volke zum größten nationalen Schaden wurde. Wie schwärmerisch streckte er dagegen von alters her die Hände aus nach allem, was von außen kam, insbesondere von Paris! Welch ein lächerlicher Indifferentismus nach innen und welch eine traurig groteske Abgötterei nach außen. Ist es für unser Deutschtum nicht ein nationales Brandmal der Schande, wenn von Jahr zu Jahr ungezählte Millionen[111] für Automobile nach Frankreich wanderten, wenn »das Land des Geschmackes« beispielsweise im Jahre 1906 12 Millionen Mark allein für Personenautomobile aus dem Geburtslande des Automobils herausholte und einheimste? Im gleichen Jahre lieferte Belgien für fast 2,5 Millionen, Italien für 2 Millionen, Österreich-Ungarn für über 9, die Schweiz für 3,3 und Amerika für über 4 Millionen Mark.

Wie die Kleidermode, so beherrschte Paris lange Zeit auch die Automobilmode und den Automobilmarkt. Welch reiche Früchte im Laufe der Jahre durch einseitige Fremdtümelei und durch die schwerfällige Zurückhaltung des deutschen Großkapitals unserem Vaterlande verlorengingen, lehrt zahlenmäßig die Statistik. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sei nur kurz hingewiesen auf das Jahr 1906. In diesem Jahre führte Frankreich für 133 Millionen Franken Automobile aus, Deutschland für 21 Millionen. Dabei war die Ausfuhr in Frankreich mehr als siebzehnmal so groß als die Einfuhr, während in Deutschland die Ausfuhr (21 Millionen) und die Einfuhr (etwa 20 Millionen) um die Oberhand rangen.

Woher kommt diese rasche mengenmäßige Überlegenheit Frankreichs gegenüber dem Heimat- und Vaterlande des Automobils? Es war einzig und allein die grundverschiedene Art, wie die neue Idee in Frankreich aufgenommen und ausgewertet wurde. Da gab's keine abwägende Geringschätzung, keine kühle Verneinung! Beherrscht und hingerissen von der Zukunftsmacht des neuen Ideals, griffen französische Konstrukteure und Techniker mit dem auflodernden Feuer romanischer Begeisterung den deutschen Wagen auf. Dabei war es nicht nur die ideelle Begeisterung, die[112] das Feuer schürte, sondern es war das machtvoll und bedingungslos mobilisierte Großkapital Frankreichs, das die Flammen in die Höhe und in die Breite schießen ließ.

Kaum hatten die französischen Wagen laufen gelernt, setzte sofort ein beispielloser Reklame- und Rennkultus ein. Auch dabei hat der Wagemut und Unternehmungsgeist des französischen Großkapitals Pate gestanden. Bald wurde durch eine Reihe großzügig veranstalteter glänzender internationaler Rennen das Auto in den Blickpunkt der ganzen Welt gerückt. Und es gab eine Zeit, wo die kleinste deutsche Zeitung die fettgedruckten französischen Renntriumphe hineintrug in die letzte Hütte des Schwarzwaldes und des Erzgebirges. Auch die deutschen Automobilzeitungen kündeten den Ruhm französischer Erzeugnisse in vielen Abhandlungen und gutbezahlten Reklameanzeigen. Bis in die Tage des Weltkrieges hinein haben ungezählte Hunderttausende von Franken das Ihrige getan, um in der deutschen Fachpresse die französischen Marken hinauszuheben ins Licht und in die Sonne. –

Neuerdings macht das Buch »Henry Ford, Mein Leben und Werk« viel von sich reden. Auch die Wirkung, die dieses Buch in weitesten Kreisen unseres Volkes auslöst, ist gleichbedeutend mit einer großzügigen kühnen Reklame, und zwar für den amerikanischen Fordwagen. Nur zwei Stellen seien aus dem Buch herausgegriffen und einander gegenübergestellt: »Bei den Fordwagen hat ein Kubikzoll Kolbenfläche nur 7,95 Pfund zu tragen, ein Grund, weshalb man einen Ford niemals versagen sieht, einerlei, ob es über Sand und Schmutz, Schnee und Matsch, durch Wasser und über Berge, über Felder und wegelose Ebenen geht.« Jeder Sachverständige,[113] der schon einmal einen Blick in einen zur Reparatur übergebenen Fordwagen geworfen hat, kann sich eines Lächelns beim Lesen dieser »Tatsache« nicht erwehren, versteht es aber um so leichter, warum – schon eine Seite später – Ford für seine »niemals versagenden« Wagen überall im Lande Lager von Ersatzteilen für wünschenswert hält. »Die verschiedenen Teile sollen so billig sein, daß es billiger käme, neue zu kaufen, als die alten reparieren zu lassen. Sie sollten wie Nägel und Riegel in jeder Eisenhandlung geführt werden.« Die Geschmacksrichtungen sind verschieden. Einen Wagen, der nur in Verbindung mit einem Netz von Ersatzteilhilfsstationen auf die Dauer betriebsfähig ist, sehe ich nicht für ein erstrebenswertes Ideal der Automobilindustrie an.

Was aber soll man dazu sagen, daß eine der angesehensten Zeitschriften Frankreichs, »La Revue«, einen Aufsatz, »La Science des civilisés et la Science allemande« von Dr. Achalme, Direktor des Laboratoire du Museum, veröffentlicht, der folgendes Dogma aufstellt: »Wohl sind die Deutschen fähig, zu kommentieren, umzubilden, manchmal, jedoch seltener, auch Ideen anderer zu entwickeln, doch fehlt ihnen die schöpferische Kraft! Sie, welche es allein ermöglicht, die wissenschaftliche Leiter zu erklimmen, ist eine Gehirntätigkeit, die den Deutschen versagt ist.« Auf dieses weltverhetzende Feldgeschrei: »Steiniget ihn« gibt es nur eine Antwort: Söhne Deutschlands! Wahret eure ureigensten Kulturgüter! Achtet, liebt, pflegt und schirmt, was deutsche Volksgröße in schöpferischem Schaffen der Kulturwelt schenkt und schenkte. Um der nationalen Ehre und der wirtschaftlichen Energie willen laßt mehr als bisher auch[114] an euren Pionieren des Erwerbslebens, an euren bahnbrechenden Erfindern und Entdeckern des großen Kurfürsten heiliges Vermächtniswort zur segnenden Tat werden: »Gedenke, daß du ein Deutscher bist!«

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 111-115.
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