Komba (Octolicus agisymbanus)

[269] Der auf Sansibar lebende Ohrenmaki, welcher sich von dem des nahe gelegenen Festlandes zu unterscheiden scheint, der Komba der Suaheli (Octolicus [Otolemur] agisymbanus), übertrifft den Galago an Größe: seine Leibeslänge beträgt 20 bis 30, die Schwanzlänge 22 bis 25 Centim. Die vorherrschende Färbung des Felles ist gelblich- oder bräunlichgrau, da die Haare an der Wurzel aschgrau, an der Spitze braun aussehen. Auf der Schnauzen- und der Nasengegend sowie auf den Fingern und Zehen dunkelt die Farbe, auf Kinn und Wangen lichtet sie sich zu Grauweiß; auf Brust, Bauch und Innenseite der Glieder geht sie in ein helleres Grau über. Der an der Wurzel braunrothe Schwanz ist in der hinteren Hälfte schwarzbraun. Die großen, beinahe kahlen Ohren sehen aschgrau aus.

Auf Sansibar hat man, laut Kersten, ein sehr einfaches Mittel, sich des Komba zu bemächtigen; man fängt ihn, ohne eigentlich Jagd auf ihn zu machen: seine Leckerhaftigkeit wird ihm zum Verderben. Ungeachtet der Gier nach dem warmen Blute höherer Wirbelthiere nämlich, ist der Komba süßen Genüssen nicht abhold, ja im Gegentheile denselben in einer Weise zugethan, für welche es nur noch in der Lebensweise der Affen und einzelner Nagethiere anderweitige Belege gibt. »Wenn der Palmenwein abgeschöpft wird, stellt gar nicht selten unser Ohrenmaki als ungebetener Gast zu dem ihm in hohem Grade behagenden Schmause sich ein, schlürft von dem süßen Labetrunke und erprobt auch an sich die Wahrheit, daß zu viel des Geistes den Geist umnebelt. Denn nicht allein süß ist die wundersame Flüssigkeit, welche dem Palmenhaupte entströmt, sondern auch berauschend, und zwar um so mehr, je länger sie mit der Luft in Berührung war. Der durstige Zecher in Lemurgestalt verliert die Besinnung, stürzt von der für ihn sicheren Höhe des Baumes herab auf den Boden und bleibt liegen, vom schweren Rausche bemeistert. Hier findet ihn am Morgen der Neger, welcher ausgesandt wurde, den ausgeflossenen Palmenwein zu sammeln, hebt den regungslosen Träumer vom Boden auf, birgt ihn zunächst in einem einfachen Käfige oder fesselt ihn mit einem um die Weichen geschlungenen Stricke, bringt ihn nach der Stadt und bietet ihn hier einem der auf solcherlei Thiere erpichten Europäer zum Kaufe an, nöthigenfalls ihn von einem Hause zum anderen oder selbst auf eines der im Hafen liegenden Schiffe tragend.

Mit nicht geringer Verwunderung und entschiedenem Misbehagen sieht sich das Kind des Waldes beim Erwachen im Käfige oder doch gefesselt, mindestens eingeschlossen im beengenden Raume. Für die Freundlichkeit, mit welcher der Pfleger ihm entgegenkommt, zeigt es nicht das geringste Verständnis, vielmehr nur Widerwillen, Unlust und Bosheit. Sein schwaches Gehirn vermag sich in die veränderten Umstände nicht so bald zu fügen; es vergilt die ihm gewährte Liebe mit Haß, thut, als ob es willentlich geschähe, regelmäßig das Gegentheil von dem, was sein Gebieter beabsichtigte, verschmäht Speise und Trank und regt sich nur, wenn es gilt, die Zähne zu zeigen.

Mißmuthig entschließt sich zuletzt der mit den Sitten und Gewohnheiten des Komba nicht vertraute Europäer, das widerhaarige Geschöpf sich selbst zu überlassen, nachdem er ihm vorher im Käfige noch ein behagliches Lager zurecht gemacht, vielleicht hoffend, daß Schlaf und Ruhe den Gefangenen milder stimmen, ihn seinen Groll vergessen lassen werde. Beim Morgenbesuche, welchen der Gebieter seinem Pfleglinge macht, sieht er zu seiner nicht geringen Ueberraschung die Thüre des behaglich eingerichteten Käfigs offen, das Lager leer, den Flüchtling aber im Innern des bisher zwei Feuerwebern zum Aufenthalte dienenden Gebauers in sich selbst zusammengerollt liegen. Im ersten Augenblicke vermag er nicht zu begreifen, was den Komba bewogen haben kann, aus seinem geräumigen, wohnlich eingerichteten Hause zu entrinnen, an der glatten Wand mit Mühe sich emporzuschwingen, in den engen, unbehaglichen Käfig einzuzwängen und zum Befreier der früheren Bewohner aufzuwerfen. Nachdem er sich aber vergeblich nach diesen umgeschaut, alle Winkel und Ecken des Raumes durchmustert und doch keines der rothen, lebendigen Flämmchen wahrgenommen hat, dämmert in ihm eine Ahnung der Wahrheit auf. Hastig nimmt er den Käfig mit dem Komba von der Wand herab, und auf dem Boden desselben liegen einige Ueberreste der [270] prächtigen Vögel. Ergrimmt greift er nach dem Raubmörder, um ihn zu züchtigen; der Komba aber, welchem jegliches Schuldbewußtsein fehlt, rächt mit einem wohlangebrachten Bisse die ihm zugedachte Unbill und enthüllt somit seinem Pfleger eine diesem noch unbekannte Seite seines Wesens.

Doch unser Halbaffe ist ein viel zu anziehendes Geschöpf, als daß der Zorn eines Thierfreundes lange andauern könnte. Der Verlust der Feuerweber wird verschmerzt, der Komba dafür gewonnen. Allgemach befreundet sich der Störrische mit seinem Wohlthäter. Als entschiedener Freund berauschender Getränke meidet er das Wasser, auch wenn man ihn in der Absicht, seinen Trotz zu brechen, längere Zeit dürsten ließe. Das ihm endlich vorgesetzte Schälchen Sorbet ist aber doch gar zu verlockend, als daß er es unberührt stehen lassen sollte. Bis auf die Neige schlürft er es, sein Behagen durch Laute bekundend, welche an das Schnurren der Katze erinnern, und dankbar gleichsam leckt er auch noch den mit der süßen Flüssigkeit befeuchteten Finger ab. Nachdem einmal das Eis gebrochen, hält es nicht schwer, ihn weiter zu zähmen. Bald nimmt er in Milch geweichtes Weißbrod zu sich; nach kurzer Zeit findet er bereits an gezuckertem Thee und Kaffee Gefallen; schließlich gewöhnt er sich so an diese Getränke, daß er nie verabsäumt, zur Theestunde freiwillig sich einzustellen. Bezüglich der festen Nahrung beharrt er treuer bei seinen alten Gewohnheiten; Fleisch bleibt unter allen Umständen seine Lieblingskost, obschon er sich herbeiläßt, an einer Banane zu knabbern, eine Mango auszusaugen, eine ähnliche Frucht zu genießen. Doch geschieht dies vielleicht nur deshalb, weil die süße Frucht ihm so zu sagen mehr als geronnenes Getränk, denn als Nahrung vorkommen mag. Fleisch der verschiedensten Wirbelthiere, vor allem aber Kerfe bleiben seine Hauptnahrung, und erst nach längerer Gefangenschaft entschließt er sich, auch gekochtes Fleisch als genießbar zu betrachten.

Im Verlaufe der Zeit vergilt er die ihm gewidmete Sorgfalt durch gute Dienste. In dem Raume, welcher einen Komba beherbergt, endet alle Gemüthlichkeit des Lebens einer Maus, in dem Zimmer oder auf dem Schiffe, welches er bewohnt, stellt er den so lästigen großen Schaben mit unermüdlichem Eifer nach. Unhörbar dahinschreitend naht er sich der von ihm erspähten Schabe, die spinnengleichen Finger weit gespreizt, greift plötzlich zu, zerdrückt in demselben Augenblicke die erpackte Beute und führt sie unmittelbar darauf, behaglich schmatzend, zum Munde. Mit Vergnügen erinnern wir uns einer Beobachtung, welche wir während der langweiligen Seefahrt anstellten. Die Menge der unser Schiff bevölkernden Schaben machte es nothwendig, von Zeit zu Zeit unsere Kleiderkisten zu untersuchen. Der von den Schmarotzern herrührende Gestank, welcher uns beim Oeffnen der Kiste entgegendrang, lockte unseren zahmen Ohrenmaki herbei. Trotz der ihm ungelegenen Tageszeit musterte er mit großer Aufmerksamkeit den Inhalt der Kiste, bewies uns auch sehr bald, daß er sehr wohl wußte, warum er gekommen; denn er hatte jetzt vollauf zu thun, um das von uns aufgerührte, wimmelnde Heer zu Paaren zu treiben. Mit überraschender Geschicklichkeit fuhr er blitzschnell bald nach dieser bald nach jener Stelle, hier eine ausgebildete Schabe, dort eine Puppe ergreifend, und während er mit der einen Hand die eben gepackte am kauenden Munde festhielt, war die andere beschäftigt, neues Wild zu erjagen. So spähte, lauschte, schaffte und schmauste er, bis wir unsere Arbeit beendigt hatten.

Ein wirklich gezähmter Komba ist weit liebenswürdiger und anmuthiger als ein Affe, Störung seines Tagesschlafes berührt natürlich auch den frömmsten höchst unangenehm; abends hingegen, nachdem er sich vollständig ermuntert, beweist er seinem Gebieter eine große Anhänglichkeit und warme Zuneigung, obschon er hierin hinter seinen Ordnungsverwandten, den Makis, noch zurücksteht. Aber er gestattet, daß man ihn angreift, gibt sich mit Vergnügen den ihm erwiesenen Schmeicheleien hin und denkt gar nicht mehr daran, von seinem scharfen Gebiß Gebrauch zu machen. Mit Seinesgleichen verträgt er sich von Anfang an vortrefflich, auch an andere Hausthiere gewöhnt er sich. Wenn er erst gelernt hat, verschiedenerlei Nahrung zu sich zu nehmen, hält es nicht schwer, ihn nach Europa zu bringen.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCLXIX269-CCLXXI271.
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