Wasserschwein (Hydrochoerus Capybara)

[436] Das Wasserschwein (Hydrochoerus Capybara) darf in einer Hinsicht als der merkwürdigste aller Nager angesehen werden: es ist das größte und plumpeste Mitglied der ganzen Ordnung. Seinen deutschen Namen trägt es mit Recht; denn es erinnert durch seine Gestalt und die borstengleiche Behaarung seines Körpers entschieden an das Schwein. Seine Kennzeichen sind: kleine Ohren, gespaltene Oberlippe, Fehlen des Schwanzes, kurze Schwimmhäute an den Zehen und starke Hufnägel sowie der höchst eigenthümliche Zahnbau. Die riesenhaft entwickelten Schneidezähne haben, bei geringer Dicke, mindestens 2 Centim. Breite und auf der Vorderseite mehrere flache Rinnen; unter den Backenzähnen ist der letzte ebenso groß wie die drei vorderen. Der Leib ist auffallend plump und dick, der Hals kurz, der Kopf länglich, hoch und breit, stumpfschnäuzig und von eigenthümlichem Ausdrucke. Ziemlich große, rundliche Augen treten weit hervor; die Ohren sind oben abgerundet und am vorderen Rande umgestülpt, hinten abgeschnitten. Die hinteren Beine sind deutlich länger als die vorderen, die Vorderfüße vierzehig, die hinteren dreizehig. Ganz eigenthümlich ist auch eine Hautfalte, welche den After und die Geschlechtstheile einschließt, so daß beide äußerlich nicht gesehen und Männchen und Weibchen nicht unterschieden werden können. Von einer bestimmten Färbung des dünnen, groben Pelzes kann man nicht reden; ein ungewisses Braun mit einem Anstriche von Roth oder Bräunlichgelb vertheilt sich über den Leib, ohne irgendwo scharf hervorzutreten. Nur die Borsten um den Mund herum sind entschieden schwarz. Ein erwachsenes Wasserschwein erreicht ungefähr die Größe eines jährigen Hausschweines und ein Gewicht von beinahe einem Centner. Die Körperlänge beträgt über einen Meter, die Höhe am Widerrist 50 Centim. und mehr.

Azara ist auch hier wieder der erste, welcher eine genaue Beschreibung des Wasserschweines gibt. »Die Gueranis«, sagt er, »nennen das Thier ›Capügua‹; der Name bedeutet ungefähr soviel, als Bewohner der Rohrwälder an Flußufern; der spanische Name ›Capybara‹ ist eine Verdrehung jener Benennung. Die Wilden nennen die Alten Otschagu und die Jungen Lakai. Die Capybara bewohnt Paraguay bis zum Rio de la Plata, und namentlich die Ufer aller Flüsse, Lachen und Seen, ohne sich weiter als hundert Schritte davon zu entfernen. Wenn sie erschreckt wird, erhebt sie einen lauten Schrei, welcher ungefähr wie ›Ap‹ klingt, und wirft sich augenblicklich ins Wasser, in welchem sie leicht dahin schwimmt, bloß die Nasenlöcher über den Spiegel erhebend. Ist aber die Gefahr größer und das Thier verwundet, so taucht es unter und schwimmt auf ganz große Strecken unter dem Wasser weg. Jede einzelne Familie erwählt sich gewöhnlich ihren bestimmten Platz, welchen man leicht an den Bergen von Koth erkennen kann. Höhlen gräbt die Capybara nicht. Sie ist friedlich, ruhig und dumm. Lange Zeit sitzt sie auf ihrem Hinteren, ohne sich zu rühren. Ihr Fleisch ist fett und wird von den Wilden geschätzt. Man glaubt, daß das Weibchen einmal im Jahre vier bis acht Junge werfe, gewöhnlich auf etwas zusammengetretenes Stroh, und sagt, daß diese später ihrer Mutter folgen. Die Jungen können ohne Mühe gezähmt werden. Sie laufen frei umher, gehen und kommen, hören auf den Ruf und freuen sich, wenn man sie krauet.« Neuere Beobachter haben das Thier ausführlicher beschrieben. Die Capybara ist über ganz Südamerika verbreitet und findet sich vom Orinoko bis zum La Plata oder vom Atlantischen Meer bis zu den Vorbergen der Andes. Niedere, waldige, sumpfige Gegenden, zumal Flüsse und die Ränder von Seen und Sümpfen bilden ihre Aufenthaltsorte. Am liebsten lebt sie an großen Strömen, verläßt diese auch niemals, und wenn es geschieht, nur indem sie dem Laufe kleiner einmündender Bäche oder Graben folgt. Hier und da ist sie ungemein häufig, an bewohnten Stellen begreiflicherweise seltener als in der Wildnis. Dort wird sie nur abends und morgens gesehen, in menschenleeren, wenig besuchten Flußthälern dagegen bemerkt man sie auch bei Tage in Massen, immer in nächster Nähe des Flusses, entweder weidend oder wie ein Hund auf den zusammengezogenen Hinterbeinen sitzend. In dieser Stellung scheinen die sonderbaren Zwittergeschöpfe zwischen Nagern und Dickhäutern am liebsten auszuruhen, wenigstens sieht man sie nur höchst selten auf dem Bauche liegend.

[437] Der Gang ist ein langsamer Schritt, der Lauf nicht anhaltend; im Nothfalle springt das Thier aber auch in Sätzen. Dagegen schwimmt es vortrefflich und setzt mit Leichtigkeit über Gewässer, thut dies jedoch bloß dann, wenn es verfolgt oder wenn ihm die Nahrung an der einen Seite des Flusses knapp geworden ist. So fest es an einem bestimmten Gebiete hält, so regelmäßig verläßt es dasselbe, wenn es Verfolgungen erleidet. Ein eigentliches Lager hat es nicht, obwohl es sich an bevorzugten Plätzen des Ufers regelmäßig aufhält. Seine Nahrung besteht aus Wasserpflanzen und aus der Rinde junger Bäume, und nur da, wo es nahe an Pflanzungen wohnt, fällt es zuweilen über Wassermelonen oder Mais, Reis und Zuckerrohr her und richtet dann unter Umständen sehr bedeutenden Schaden an.

Das Wasserschwein ist ein stilles und ruhiges Thier. Schon auf den ersten Anblick wird es Jedermann klar, daß man es mit einem höchst stumpfsinnigen und geistesarmen Geschöpfe zu thun hat. Niemals sieht man es mit anderen seiner Art spielen. Entweder gehen die Mitglieder einer Herde langsamen Schrittes ihrer Nahrung nach oder ruhen in sitzender Stellung. Von Zeit zu Zeit kehren sie den Kopf um, um zu sehen, ob sich ein Feind zeigt. Begegnen sie einem solchen, so eilen sie nicht, die Flucht zu ergreifen, sondern laufen langsam dem Wasser zu. Ein ungeheurer Schrecken ergreift sie aber, wenn sich plötzlich ein Feind in ihrer Mitte zeigt. Dann stürzen sie mit einem Schrei ins Wasser und tauchen unter. Wenn sie nicht gewohnt sind, Menschen zu sehen, betrachten sie diese oft lange, ehe sie entfliehen. Man hört sie keinen andern Laut von sich geben als jenes Nothgeschrei, welches Azara durch »Ap« ausdrückt. Dieses Geschrei ist aber so durchdringend, daß man es viertelstundenweit vernehmen kann.

Das Weibchen wirft nur einmal im Jahre fünf bis sechs Junge. Ob dieses in einem besonders dazu bereiteten Lager geschieht, hat man nicht ermitteln können. Die Ferkelchen folgen ihrer Mutter sogleich, bekunden jedoch nur wenig Anhänglichkeit an sie. Nach Azaras Beobachtungen soll ein Männchen zwei oder drei Weibchen mit sich führen. »Ich habe«, sagt Rengger, »in Paraguay mehrere Capybaras, welche man jung eingefangen und aufgezogen hatte, gesehen. Sie waren sehr zahm, wie ein Hausthier, gingen gleich diesem aus und ein und ließen sich von Jedermann berühren. Doch zeigten sie weder Folgsamkeit noch Anhänglichkeit an den Menschen. Sie hatten sich so an ihren Aufenthaltsort gewöhnt, daß sie sich nie weit davon entfernten. Man braucht sie nicht zu füttern; sie suchen selbst ihre Nahrung auf, und zwar bei Nacht oder bei Tage. Ihre Lieblingsspeise blieben, wie in der Freiheit, Sumpf- und Wasserpflanzen, welche sie sich auch täglich aus den nahe gelegenen Flüssen, Lachen und Sümpfen holten; doch fraßen sie auch Maniokwurzeln oder Schalen von Wassermelonen, welche man ihnen vorgesetzt hatte. Unter ihren Sinnen scheint der Geruch am besten entwickelt zu sein; Gehör und Gesicht sind schlecht. Was ihnen an Schärfe der Sinne abgeht, wird an Muskelkraft ersetzt, so daß zwei Männer kaum im Stande sind, eine Capybara zu bändigen.«

In der Neuzeit ist das Thier öfters lebend nach Europa gekommen. Ich habe eines längere Zeit gepflegt. Es war mir in hohem Grade zugethan, kannte meine Stimme, kam herbei, wenn ich es rief, freute sich, wenn ich ihm schmeichelte und folgte mir wie ein Hund. So freundlich war es nicht gegen Jedermann: seinem Wärter, welcher es zurücktreiben wollte, sprang es einmal gegen die Brust und biß dabei sofort zu, glücklicherweise mehr in den Rock als in den Leib. Folgsam konnte man es überhaupt nicht nennen: es gehorchte nur, wenn es eben wollte. Sein Gleichmuth war mehr ein scheinbarer als wirklich begründeter. Sobald ich es rief, sprang es unter Ausstoßen des von den genannten Naturforschern beschriebenen Schreies ins Wasser, tauchte unter und stieg langsam am anderen Ufer in die Höhe, kam zu mir heran und murmelte oder kicherte in höchst eingenthümlicher Weise vor sich hin, und zwar durch die Nase, wie ich mich genau überzeugt habe. Die Töne, welche es auf diese Weise hervorbringt, lassen sich noch am ehesten mit dem Geräusch vergleichen, welches entsteht, wenn man die Zähne auf einander reibt. Sie sind abgebrochen-zitternd, unnachahmlich, eigentlich auch nicht zu beschreiben, und ein Ausdruck des [438] entschiedensten Wohlbehagens, gewissermaßen ein Selbstgespräch des Thieres, welches unterbrochen wird, wenn irgendwelche Aufregung seiner sich bemächtigt.

Ich kann die Bewegungen des Wasserschweins nicht plump oder schwerfällig nennen. Es geht selten rasch, sondern gewöhnlich gemächlich mit großen Schritten dahin, springt aber ohne Mühe über meterhohe Gitter weg. Im Wasser bewegt es sich meisterhaft. Es schwimmt in gleichmäßigem Zuge schnurgerade über breite Gewässer, gerade so schnell, wie ein Mann geht, taucht mit einem Sprunge wie ein Vogel, und verweilt minutenlang unter dem Wasser, schwimmt auch in der Tiefe fort, ohne sich in der beabsichtigten Richtung zu irren.

Seine Erhaltung verursacht gar keine Mühe. Es frißt allerlei Pflanzenstoffe wie ein Schwein, bedarf viel, aber durchaus kein gutes Futter. Frisches, saftiges Gras ist ihm das liebste; Möhren, Rüben und Kleienfutter sagen ihm ebenfalls sehr zu. Mit seinen breiten Schneidezähnen weidet es wie ein Pferd, trinkt auch, wie dieses, schlürfend, mit langen Zügen.

Die Wärme liebt es, ohne jedoch die Kälte zu fürchten. Noch im November stürzt es sich ungescheut und ungefährdet in das eiskalte Wasser. Bei großer Hitze sucht es unter dichten Gebüschen Schatten, gräbt sich hier wohl auch eine seichte Vertiefung aus. Sehr gern wälzt es sich im Schlamme, ist überhaupt unreinlich und liederlich: seine Haare liegen kreuz und quer über und durch einander. Es würde ein ganzes Schwein sein, übernähme das Wasser nicht seine Reinigung.

Gegen andere Thiere zeigt es sich theilnahmslos. Es fängt mit keinem Streit an und läßt sich beschnuppern, ohne sich nach dem Neugierigen auch nur umzuschauen. Doch zweifle ich nicht, daß es sich zu vertheidigen weiß; denn es ist nicht so dumm und sanft als es ausieht.

Auffallend war mir der Wechsel der Milchnagezähne meines Gefangenen. Sie wurden durch die zweiten, welche ungefähr nach Ablauf des ersten Lebensjahres durchbrachen, ganz allmählich abgestoßen, saßen eine Zeit lang wie eine Scheide auf und fielen ab, noch ehe die nachkommenden ausgebildet waren. Das Gebiß war eine Zeit lang äußerst unregelmäßig.

Hensel spricht die Ansicht aus, daß sich das Wasserschwein wie die Paka für Einführung und Zähmung eignen und uns so von Nutzen sein könnte. Mit dem Schweine würde das Thier freilich nicht wetteifern können, in den Sümpfen Südeuropas aber sehr gut sich halten, und sein Fleischgeschmack durch veränderte Nahrungsweise vielleicht verbessert werden; möglicherweise würde es sich auch vollständig in ein Hausthier verwandeln lassen und dann Nutzen gewähren, da sein Unterhalt keine bedeutenden Kosten verursachen und man es selbst bei uns zu Lande mit Erfolg züchten könnte, falls man ihm im Sommer einen Teich zum Baden gäbe, im Winter dagegen es in einem Schafstalle hielte. Ich meinestheils hege so weit gehende Erwartungen nicht. Nach unseren in Thiergärten gemachten Erfahrungen ist es keineswegs so einfach, die Glieder dieser Familie zur Fortpflanzung zu bringen, und wenn solches wirklich der Fall wäre, würde man bei Ausnutzung der gezüchteten Wasserschweine noch immer mit allerlei Vorurtheilen zu kämpfen haben. In den Wildnissen nimmt man auch mit wenig zusagendem Fleische fürlieb, bei uns zu Lande verlangt man das beste, und ein solches liefert das Wasserschwein unbedingt nicht. Nach den Berichten aller Reisenden genießen das Fleisch bloß die Indianer, weil es einen eigenen, widerlichen, thranigen Beigeschmack hat, welcher den Europäer anekelt. Diesen Thrangeschmack soll man nun zwar entfernen können, wenn man das Fleisch vorher mit Wasser kocht und beitzt, ja man behauptet sogar, daß es dann so schmackhaft wäre wie das zarteste Kalbfleisch; ich glaube jedoch, daß letzteres wohl immer dem Wasserschweinfleische vorgezogen werden wird. Die dicke, fast kahle Haut ist außerordentlich schwammig und weich, läßt das Wasser leicht durchfließen und wird deshalb nur zu Riemen, Fußdecken und Reitsättel benutzt; für letztere eignet sie sich, laut Hensel, aus dem Grunde besonders gut, weil sie auch durch den Schweiß nicht hart wird und auf der Haarseite, der vielen und rauhen Narben wegen, noch rauher als Schweinsleder ist. Botokudenmädchen reihen die Nagezähne des Thieres aneinander und verfertigen sich daraus Arm- und Halsbänder. Anderweitigen Nutzen gewährt das Thier nicht.

[439] Die weißen Eingebornen Südamerikas jagen das Wasserschwein zu ihrer Belustigung, indem sie es unvermuthet überfallen, ihm den Weg abschneiden und es mit ihren Wurfschlingen zu Boden reißen. Häufiger jagt man es vom Strome aus. »In einem jener leichten Kanoes«, sagt Hensel, »welche nur einen Menschen fassen, pirscht man ohne hörbaren Ruderschlag in den stillen Buchten der großen Gewässer, wo die Capybara häufiger ist. Schon in einiger Entfernung hört man das Knirschen und Raspeln der mächtigen Backenzähne, welche die Wasserpflanzen verarbeiten, und kann man sich ohne Geräusch nähern, so gewahrt man bald das plumpe Thier, wie es, halb im Wasser stehend, an den Pontederien sich gütlich thut.« Wird das Wasserschwein bloß angeschossen, so stürzt es sogleich ins Wasser, sucht aber bald wieder das Land zu gewinnen, wenn es durch die Verwundung sich nicht entkräftet fühlt. Im Nothfalle vertheidigt sich das angeschossene Wasserschwein noch kräftig mit den Zähnen und bringt seinem Gegner nicht selten schwere Wunden bei. Auf das im Wasser schwimmende Thier zu schießen, ist nicht rathsam, weil es, wenn es rasch getödtet wird, unter- und verloren geht. Außer dem Menschen dürfte der Jaguar der schlimmste Feind der Capybara sein. Tag und Nacht ist dieser schlaue Räuber auf ihrer Fährte, und an den Flußniederungen ist sie wahrscheinlich die häufigste Beute, welche der Katze überhaupt zum Opfer fällt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 436-440.
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