Aalmutter (Zoarces viviparus)

[137] Besondere Beachtung verdient die Aalmutter, auch Aalmöve genannt (Zoarces viviparus, Blennius viviparus und ovoviviparus, Gunellus, Zoarcaeus und Enchelyopus viviparus; Abbildung auf S. 127), welche die Sippe der Gebärfische (Zoarces) vertritt und zu den wenigen Fische gehört, welche vollkommen entwickelte, lebensfähige Junge zur Welt bringen. Die Merkmale der Sippe liegen in dem verlängerten, etwas zusammengedrückten Leibe, den kleinen, einzelnstehenden, punktförmigen, unter der Haut zerstreuten Schuppen, der ebenfalls fast die ganze Oberseite einnehmenden Rückenflosse, der aus zwei bis drei Strahlen gebildeten, an der Kehle [137] stehenden Bauchflosse, den langen und schmalen Brustflossen und der über die Hälfte des Unterleibes sich erstreckenden Afterflosse, welche, wie die Rückenflosse, unmittelbar in die Schwanzflosse übergeht. Die kegelförmigen Zähne stehen in einer Reihe an den Seiten der Kinnladen; Gaumen und Zunge sind unbewehrt. Die Kiemenhaut hat sechs Strahlen. Erwähnenswerth ist noch eine kleine Warze hinter dem After, in welcher sich die doppelten Ausführungsgänge für Samen und Eier befinden. Sie schwillt während der Laichzeit auf und scheint als ein Werkzeug der Begattung zu dienen, obgleich man, wie schon bemerkt, hierüber noch keine bestimmten Beobachtungen gemacht hat. Die Länge schwankt zwischen zwanzig und vierzig Centimeter; Stücke von der letztangegebenen Größe gehören jedoch zu den Seltenheiten. Die Grundfärbung ist ein blasses Braun, welches auf dem Rücken und an den Seiten dunkler gefleckt und gebändert, auf der Unterseite hingegen einfarbig wird. Die Bänderung erstreckt sich auch auf die Rückenflosse, die Einfarbigkeit auf Brust- und Bauchflosse. In der Rücken-, Schwanz- und Afterflosse zählt man etwa zweihundert, in der Brustflosse achtzehn, in der Bauchflosse drei weiche Strahlen. Das Verhältnis zwischen den drei erstgenannten ist ungefähr so, daß einhundertundneun Strahlen auf die Rückenflosse, acht bis zehn auf die Schwanzflosse und einige achtzig auf die Afterflosse kommen.

Man hat die Aalmutter bisher nur in den nordischen Meeren, namentlich in der Nord- und Ostsee und im Kanale gefunden; unter den Fischen Islands und Grönlands wird sie nicht aufgeführt. Ausnahmsweise steigt sie auch in Flüssen empor, ist beispielsweise bei Spandau in der Havel gefangen worden. Sie ist häufig an geeigneten Stellen der englischen Küste, aber auch in der Ostsee ein sehr bekannter Fisch. Zu ihrem Aufenthalte bevorzugt sie ebenfalls steinigen Grund, lebt überhaupt nach Art ihrer Verwandten, vielleicht mit dem Unterschiede, daß sie sich mehr als diese zwischen Tangen verbirgt. Zur Nahrung wählt sie sich kleine Fische, Muscheln, Würmer und Laich.

Um die Zeit der Frühlingstag- und Nachtgleiche sind die Eier der Weibchen noch sehr klein, um die Mitte des Mai bedeutend größer, roth von Färbung und weich. Um diese Zeit bemerkt man auch bereits zwei Punkte an ihnen, die Augen des sich entwickelnden Keimes, welcher in einer besonderen Hülle des Eies eingeschlossen liegt. Gegen den Herbst hin haben die Keime ihre Entwickelung vollendet und werden nun, eines nach dem anderen, geboren, das heißt in vollkommen ausgetragenem Zustande, mit dem Kopfe voran, durch die Oeffnung des Eierganges ausgestoßen. Yarrell sagt sehr richtig, daß bei einem sehr hochträchtigen Weibchen der geringste Druck genügt, die Jungen aus dem Inneren des Leibes ihrer Mutter hervorzubringen, daß er dies selbst noch an einem Weibchen, welches monatelang in Weingeist aufbewahrt worden war, zu thun vermocht habe. Zuweilen verlangsamt sich die Entwickelung, so daß der Satz erst im Februar stattfindet. Die Jungen haben bei der Geburt eine Länge von drei Centimeter, erreichen aber, nach Neill, fast das doppelte dieses Maßes, wenn die Mutter selbst eine beträchtliche Größe hat. Obgleich vollkommen lebensfähig, sind sie doch noch so durchsichtig, daß man mit einem wenig vergrößernden Glase den Blutumlauf im Inneren wahrnehmen kann. Sie wachsen rasch heran und erreichen schon in den ersten vierzehn Tagen das dreifache ihrer ursprünglichen Größe.

In gut eingerichteten Seewasserbecken kann man das Gebären tragender Aalmuttern bequem beobachten. Der ohnehin träge Fisch pflegt schon mehrere Stunden vor der Geburt seiner Jungen einen bestimmten Platz im Becken einzunehmen und verweilt auf diesem fortan regungslos, bis alle oder doch die meisten Jungen zur Welt gekommen sind. Letztere erscheinen, mit dem Kopfe voran, in rascher Folge nacheinander, sinken rechts und links von dem etwas gehobenen Schwanze der Mutter auf den Boden herab und bleiben hier mehrere Stunden, vielleicht auch einen Tag, liegen, ohne sich erheblich zu bewegen oder zu regen. Befinden sich mehrere Aalmuttern in demselben Becken, so kann man, anfänglich gewiß nicht ohne Ueberraschung, gewahren, daß zwei oder mehrere von ihnen an die Mutter sich herandrängen, sie von beiden Seiten pressen, also förmlich Geburtshülfe leisten, und sodann die Jungen einfach auffressen, so wie sie ins Leben treten. Dasselbe thut übrigens auch die Mutter, falls sie nicht sehr reichlich gefüttert wird. In den meisten [138] Fällen entledigt sich letztere aller Jungen mit einem Male; es kann jedoch auch vorkommen, daß sie zuerst nur eine gewisse Anzahl und einen oder mehrere Tage später gleichzeitig oder wiederum nur theilweise die übrigen zur Welt bringt.

Für die Fischerei ist die Aalmutter bedeutungslos, obschon ihr Fleisch als schmackhaft gerühmt und hier und da auf den Markt gebracht wird. Beim Kochen nehmen die Knochen eine grüne Färbung an, ein Umstand, welchem der Fisch seinen hier und da gebräuchlichen Namen: Grünknochen verdankt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 137-139.
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