Karaibenfisch (Serrosalmo rhombeus)

[209] Seiner Kraft beraubt durch den infolge unzähliger Bisse erlittenen Blutverlust, kann sich das Säugethier nicht mehr retten und muß ertrinken. Man sah solche Thiere in Flüssen, welche kaum dreißig bis vierzig Schritte breit waren, zu Grunde gehen oder, wenn sie das andere Ufer glücklich erreichten, als halbfertige Gerippe hier zu Boden stürzen.


Piraya (Serrosalmo Piraya). 1/4 natürl. Größe.
Piraya (Serrosalmo Piraya). 1/4 natürl. Größe.

Die an den Flüssen wohnenden Thiere kennen die ihnen durch die Sägesalmler drohenden Gefahren und nehmen sich ängstlich in Acht, beim Trinken das Flußwasser weder zu bewegen, noch zu trüben, um ihre gräßlichen Feinde nicht anzulocken. Pferde und Hunde setzen das Wasser an einer Stelle in starke Bewegung, entfliehen, sobald sich Sägesalmler an derselben Stelle versammelt haben, so schnell sie können, und trinken an einem anderen, infolge des Abzuges der dort gewesenen Fische nunmehr sicheren Orte. Dieser Vorsicht ungeachtet werden ihnen oft genug Stücke aus Nase und Lippen gerissen. Gu mila's Meinung, daß diese Fische den Menschen wohl verschonen, widerlegt schon Dobrizhofer, welcher mittheilt, daß zwei spanische Soldaten, als sie, neben ihren Pferden schwimmend, einen Fluß übersetzten, von den Pirayas angegriffen und getödtet wurden. Humboldt sagt: »Der Karaibenfisch (Serrosalmo rhombeus) fällt die Menschen beim Baden und Schwimmen an und reißt ihnen oft ansehnliche Stücke Fleisch ab. Ist man anfangs auch nur [209] unbedeutend verletzt, so kommt man doch nur schwer aus dem Wasser, ohne die schlimmsten Verletzungen davonzutragen. Verschiedene Indianer zeigten uns an Waden und Schenkeln vernarbte, sehr tiefe Wunden, welche von diesen kleinen Thieren herrührten«. Martius erzählt, einer seiner indianischen Begleiter habe an einer Stelle des Flusses, wo man vorher getödtete Hühner abgewaschen, unvorsichtig das Wasser berührt und diesen Leichtsinn durch Verlust des ersten Gliedes eines Fingers bezahlt, welches ihm ein Piraya abgebissen. Schomburgk berichtet wörtlich folgendes: »Auch die Pirayas durchfurchten den Wassersaum und schälten dem armen Pureka, welcher eben seine bluttriefenden Hände abwaschen wollte, zwei seiner Finger fast rein ab, so daß der Unglückliche dieselben während eines großen Theiles der Reise gar nicht gebrauchen konnte und anfänglich bedeutende Schmerzen litt«. An einer anderen Stelle heißt es: »Die kühlenden Wellen des Pirara waren bei der unausstehlichen Hitze für unsere Gesundheit die größte Erquickung, welche uns aber leider nur zu bald vergällt wurde, da einem der Indianerknaben, welche uns gefolgt waren, beim Ueberschwimmen des Flusses von den gefräßigen Pirayas ein großes Stück Fleisch aus dem Fuße gerissen wurde. Das schreckliche Aufschreien des Knaben, als er die Wunde erhielt, ließ uns anfänglich fürchten, er sei die Beute eines Kaimans geworden. Schreck und Schmerz hatten ihn so erschüttert, daß er kaum das Ufer erreichen konnte«.

Nach diesen übereinstimmenden Berichten wird es einleuchten, daß man die Sägesalmler mehr fürchtet als jedes andere Raubthier, mehr als die giftigste Schlange. »Bedenkt man«, sagt Humboldt, »wie zahlreich die Fische sind, betrachtet man ihre dreiseitigen, spitzigen Zähne und ihr weites Maul, so wundert man sich nicht, daß die Anwohner des Apure und Orinoco sie überaus fürchten, daß man nirgends zu baden wagt, wo diese Fische vorkommen, daß sie als eine der größten Plagen dieser Landstriche zu betrachten sind.«

Dem Schaden gegenüber, welchen die Sägesalmler anrichten, kommt der Nutzen, welchen der Mensch aus ihnen zieht, gar nicht in Betracht. Ihr Fleisch wird, obgleich es sehr grätenreich ist, gegessen, ihre Gefräßigkeit außerdem, wie man Humboldt erzählte, von einzelnen Indianerstämmen in eigenthümlicher Weise ausgebeutet. Humboldt spricht von Begräbnishöhlen, welche mit Knochen angefüllt sind, und fährt dann fort, wie folgt: »Den Brauch, das Fleisch sorgfältig von den Knochen zu trennen, welcher im Alterthume bei den Massageten herrschte, hat sich bei mehreren Horden am Orinoco erhalten; man behauptet sogar, und es ist ganz wahrscheinlich, die Guaraons legten die Leichen in Netzen ins Wasser, wo dann die kleinen Karaibenfische in wenigen Tagen das Muskelfleisch verzehren und das Gerippe herstellen«.

Der Fang solcher Fische ist begreiflicherweise leicht. Jeder Köder thut hier seine Schuldigkeit; ja, man soll sogar durch ein rothes Stück Tuch, welches man ins Wasser wirft, tausende von Sägesalmlern an einer Stelle versammeln und dann beliebig viele von ihnen erbeuten können.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 209-210.
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