Kapelan (Mallotus villosus)

[234] Einer der kleinsten Lachsfische, der Kapelan (Mallotus villosus und arcticus, Salmo villosus, arcticus, groenlandicus und socialis, Clupea villosa, Osmerus arcticus), bewohnt das Eismeer in unermeßlicher Menge und ist für die Fischerei von außerordentlicher Wichtigkeit. Die Sippe der Lodden (Mallotus), welche er vertritt, besitzt gestreckte Gestalt, kleine Schuppen, sehr große, runde Brustflossen, weit nach hintenstehende Rückenflossen und schwächliche Bürstenzähne in den Kiefern, auf dem Gaumen und auf der Zunge. Die Färbung des Rückens ist dunkelgrün mit bräunlichem Schimmer, die der Seiten und des Bauches silberweiß mit vielen schwarzen Tüpfeln; die Flossen sind grau und haben eine schwarze Einfassung. Männchen und Weibchen unterscheiden sich ziemlich auffallend von einander. Ersteres ist schlank, großköpfig und spitzschnäuzig und erhält während der Laichzeit ein längs der Seiten verlaufendes Band von dunkelgrüner Färbung, besetzt mit langen, spitzigen, also zottigen Oberhautgebilden. Das Weibchen ist kürzer und seine Schnauze abgestumpft. In der Rückenflosse finden sich vierzehn, in der Brustflosse neunzehn, in der Bauchflosse acht, in der Afterflosse zweiundzwanzig, in der tief gegabelten Schwanzflosse siebenundzwanzig Strahlen. Die Länge schwankt zwischen vierzehn und achtzehn Centimeter.

Der Verbreitungskreis des Kapelans liegt zwischen dem vierundsechzigsten und fünfundsiebzigsten Grade der nördlichen Breite. Man kennt ihn als Bewohner der Küste Finnmarkens, Islands und Grönlands; in wundersamer Menge aber erscheint er während der Laichzeit an der Bank von Neufundland. Nach Art seiner Verwandten lebt er während des Winters in der Tiefe des Meeres und steigt erst vom März an zu seichteren Stellen empor, um zu laichen. Dabei schart er sich zu solcher Menge, daß er Züge von funfzig englischen Meilen Länge und Breite bildet. Die Heere drängen sich in geschlossenen Scharen in alle Buchten und Mündungen der Flüsse ein, färben [234] die oberen Wasserschichten mit ihren gelben Eiern, welche auch oft in Haufen an den Strand geworfen werden, lassen sich mit kurzen Hamen buchstäblich zu Millionen aus dem Meere schöpfen und sind den armen Bewohnern Grönlands kaum minder wichtig als das tägliche Brod. In Norwegen verachtet man den Kapelan seiner geringen Größe und seines üblen Geruches wegen gänzlich; auf Island ißt man ihn frisch, wenn es keine anderen Fische gibt; in Grönland aber trocknet man ihn an der Luft und gewinnt sich dadurch einen erheblichen Theil der Wintervorräthe. Noch wichtiger wird der Kapelan als Köder zum Fange der Stockfische. Seinen Heeren ziehen nicht bloß Möven, Seeschwalben und Seehunde, sondern auch die verschiedensten Raubfische nach, welche aus ihrer Mitte ihre Beute sich nehmen und, so lange die Laichzeit währt, nichts anderes fressen als Lodden. Auf der Bank von Neufundland wird die Hälfte aller Stockfische mit Hülfe des Kapelans gefangen; außer den Millionen aber, welche man hierzu verbraucht, salzt man andere Millionen ein, trocknet sie an der Sonne und verpackt sie, um sie später zu gleichem Zwecke zu verwenden.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 234-235.
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