Blaufelchen (Coregonus Wartmanni)

[238] Der Blaufelchen, auch Bläuling, Seelen, Gangfisch, Stüben, Halbfelch, Hägling, Kreuzele, Riedling, Sterzling, Rheinauge und Rheinanken genannt (Coregonus Wartmanni, Palea und Reisingeri, Salmo Wartmanni und Renke), ist gestreckter gebaut als alle übrigen deutschen Renken, der Kopf verhältnismäßig klein und niedrig, die dünne Schnauze an der Spitze senkrecht abgestutzt, der Mund klein, bis auf die mit feinen Hechelzähnen besetzte Zunge zahnlos, die Rückenflosse höher als lang, das Kleid aus großen, zarten, leicht abfallenden Schuppen zusammengesetzt.


1 Kilch (Coregonus hiemalis), 2 Blaufelchen (Coregonus Wartmanni) und 3 Bodenrenke (Coregonus fera). Durchschnittlich 1/4 natürl. Größe.
1 Kilch (Coregonus hiemalis), 2 Blaufelchen (Coregonus Wartmanni) und 3 Bodenrenke (Coregonus fera). Durchschnittlich 1/4 natürl. Größe.

Oberkopf und Rücken zeigen auf hellblauem Grunde silbernen Glanz, die Seiten des Kopfes und des Bauches nur den letzteren; die Seitenlinien sind schwärzlich punktirt, die Flossen gelblichweiß, breit schwarz gesäumt. In der Rückenflosse finden sich vier und zehn bis elf, in der Brustflosse ein und vierzehn bis funfzehn, in der Bauchflosse zwei und zehn bis elf, in der Afterflosse vier und elf bis zwölf, in der Schwanzflosse neunzehn Strahlen. An Länge kann der Blaufelchen bis fünfundsiebzig Centimeter, an Gewicht zwei bis drei Kilogramm erreichen. Zu bemerken ist, daß die Gestalt ebenso verschiedentlich abändert wie die Färbung.

[239] Der Blaufelchen bewohnt die meisten größeren schweizerischen, bayrischen und österreichischen, auf der Nordseite der Alpen und Voralpen gelegenen Seen, fehlt aber in einigen derselben, so z.B. im Königs- und Schliersee; es kommen jedoch auch in den schwedischen und britischen Seen Renken vor, von denen es noch fraglich ist, ob sie mit dem Blaufelchen als gleichartig angesehen werden müssen oder, wie die nordischen Kundigen annehmen, artlich sich unterscheiden.

Für gewöhnlich halten sich die Blaufelchen, wie die meisten ihrer Verwandten überhaupt, in den tiefsten Gründen der Seen auf, nicht selten in Tiefen von hundert Faden unter der Oberfläche, ausnahmsweise nur in Wasserschichten zwischen zwanzig bis funfzig Faden Tiefe. Bei Gewittern und warmem Regen sollen sie sich bis auf zwölf und noch weniger Faden der Oberfläche nähern, bei Eintritte kühlerer Witterung sofort wieder in die Tiefe versenken. In die Flüsse treten sie niemals ein, wandern also auch nicht von einem See zum anderen. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus sehr kleinen Wasserthieren, welche in der Tiefe der Binnenseen leben, und von denen viele erst durch Untersuchung des Mageninhaltes den Forschern bekannt geworden sind. Außerdem fressen unsere Fische von dem auf dem Grunde der Seen befindlichen Schleime, welcher aus den niedersten Gebilden der Pflanzen- und Thierwelt in deren ersten Entwickelungszuständen gebildet wird. Zu ihrer Beute zählen auch kleine Krebse, Wasserschnecken, Würmer und Kerbthierlarven.

Während der Laichzeit gebaren sich die Blaufelchen ganz in ähnlicher Weise wie die Häringe. Der Fortpflanzungstrieb beschäftigt sie derartig, daß sie ihre bisher gewohnte Lebensweise völlig umändern. Wie andere Lachse auch, fressen sie, laut Siebold, vor und während der Laichzeit wochenlang nicht das geringste. Ihre Eingeweide schrumpfen demzufolge außerordentlich zusammen und sehen, weil sich Umfang und Verhältnis der einzelnen Theile wesentlich verändern, ganz anders aus als während der Jagd- und Freßzeit, enthalten auch nur die verschiedenen Absonderungen der Verdauungswerkzeuge selbst. Je nach der Witterung, welche das Eintreten der Laichzeit beeinflußt, erscheinen sie von der Mitte des November an bis in den December, also innerhalb eines Zeitraumes von etwa drei Wochen, in zahllosen Gesellschaften an der Oberfläche der Seen, bald so dicht am Wasserspiegel, daß ihre Rückenflossen sichtbar sein können, bald, zurückgeschreckt durch die Kälte der oberen Schichten, Schneegestöber, Eisplatten und dergleichen, mehrere Meter unter dem Spiegel, drängen sich so eng zusammen, daß sie sich gegenseitig durch die Reibung beschädigen, die Hautwucherungen und selbst die Schuppen abreiben und mit ihnen das Wasser streckenweise bedecken und trüben, ja sogar sich am Leben gefährden, das heißt wirklich erdrücken. »Am Neuenburger See«, erzählt Karl Vogt, »war ich oft Augenzeuge des Laichens dieser Fische, wenn sie den seichteren Uferstellen sich genähert hatten. Sie hielten sich paarweise zusammen und sprangen, Bauch gegen Bauch gekehrt, meterhoch aus dem Wasser empor, wobei sie Laich und Milch zu gleicher Zeit fahren ließen. In mondhellen Nächten, wenn viele Fische laichen, gewährt das blitzschnelle Hervorschießen der silberglänzenden Thiere ein höchst eigenthümliches Schauspiel.« Die befruchteten Eier sinken langsam in die Tiefe hinab.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Art der Befruchtung nur höchst ungenügende Ergebnisse liefern kann, daß von den Millionen Eiern, welche gelegt werden, bloß ein geringer Theil besamt wird und zur Zeitigung gelangt. Demungeachtet ist die Vermehrung der Blaufelchen bedeutend; wenigstens hat man bis jetzt noch keine wesentliche Abnahme ihrer Menge bemerkt.

Aus den Züchtungsversuchen Karl Vogts geht übrigens hervor, daß sich der Blaufelchen mit Sicherheit und ohne besondere Schwierigkeiten in Seen, welche ihn gegenwärtig noch nicht beherbergen, ansiedeln läßt. Dank dem Aufschwunge, welchen die künstliche Fischzucht gegenwärtig genommen, hält es nicht schwer, von Schweizer Fischern eine genügende Anzahl befruchteter Eier zu erlangen und aus diesen die zur Besetzung eines Sees nöthige Brut zu erziehen.

Wartmann bemerkt sehr richtig, daß die Blaufelchen für den Bodensee dasselbe sind, was der Häring für das Nordmeer ist. Dies gilt auch hinsichtlich des Fanges. Während des Sommers fahren täglich vierzehn bis achtzehn Boote auf den Fang dieses einen Fisches aus, und jedes bringt [240] im Durchschnitte hundert Stück mit nach Hause. Kalte Witterung beeinträchtigt freilich die Fischerei, und sehr schlechtes Wetter macht sie unmöglich, weil dann die Blaufelchen sich in Tiefen versenken, für welche man noch keine geeigneten Netze gefertigt hat. Während der Laichzeit wendet man große Tiefgarne an und fischt dann oft hunderte mit einem Zuge heraus. Der Preis des Fleisches ist im Verhältnisse zur Güte desselben gering zu nennen, da man für das Kilogramm durchschnittlich nur anderthalb, oft nur eine, höchstens zwei Mark bezahlt. »Im Brachmonat«, sagt Geßner, »hält man sie zum höchsten, wiewol sie zu aller Zeit gelobt werden, auch in dem Teych, auff alle Art bereytet, gesotten, gebraten und gebachen, gebraten helt man sie zum besten, dann also behelt man sie eine zeitlang, so sie sonst ohn verzug faulen. Man pfleget sie auch einzusaltzen, in orth vnd weite Landt zu fertigen. Sie werden auch am Rauch gedörrt, werden also allerley Fürsten vnd Herren fürgetragen.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 238-241.
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