Aal (Anguilla vulgaris)

[325] Der Aal (Anguilla vulgaris, fluviatilis, acutirostris, mediorostris, canariensis, callensis, hibernica und Cuvieri, Muraena anguilla und oxyrhina), Vertreter der Sippe der Flußaale (Anguilla), kennzeichnet sich durch die sehr engen Kiemenspalten vor den Brustflossen, die unmittelbar in die spitzige Schwanzflosse übergehenden Rücken- und Afterflossen und die Sammetzähne, welche Zwischen- und Unterkiefer nebst dem Pflugscharbeine besetzen. Die Kopflänge beträgt etwa ein Achtel der gesammten Leibeslänge; die Augen sind klein und mit Haut überzogen, die Lippen dick und fleischig, die Nasenlöcher einfach; die Kiemenöffnung bildet eine halbmondförmige, nach vorne gebogene Spalte; die zehn Kiemenstrahlen sind mit der den Kopf überkleidenden Haut verbunden; die Rückenflosse nimmt nahe an zwei Drittel der gesammten Länge ein, ist anfänglich niedrig, erhöht sich aber gegen das Ende des Schwanzes hin und setzt sich, da sie sich mit der Schwanzflosse verbindet, unmittelbar in die Afterflosse fort; die Brustflossen sind kurz und länglich eiförmig gestaltet. Die Beschuppung besteht aus äußerst zarten, dünnen, durchsichtigen, langen, schmalen Horngebilden, welche in die dicke, schleimige Haut nach zweierlei Richtungen derart abgelagert sind, daß sie fast unter rechtem Winkel gegen einander geneigt erscheinen, also freie Zwischenräume bilden, welche von der hier zickzackförmig gerunzelten Haut ausgefüllt werden. Die Färbung der Oberseite ist dunkelgrünlich, auf dem Oberkopfe am dunkelsten, ins Bräunliche spielend; die Unterseite sieht weiß aus und zeigt matten Silberglanz; Rücken-, Schwanz- und der Hintertheil der Afterflosse erscheinen noch düsterer als der Rücken; die Brustflossen sind bräunlichschwarz und tiefschwarz gesäumt. Da alle Flossen mit dicker Haut überkleidet sind, lassen sich ihre weichen, biegsamen Strahlen nicht zählen, höchstens die der Brustflossen auf achtzehn bis neunzehn feststellen. An Länge überschreitet der Aal nur in seltenen Fällen das Maß von einhundertunddreißig Centimeter, an Gewicht bloß ausnahmsweise sechs Kilogramm; doch erwähnt Yarrell zweier, welche zusammen fünfundzwanzig Kilogramm gewogen hatten. Je nach den verschiedenen Lebens- und Alterszuständen ändert der Aal ab, hat deshalb auch einzelne Forscher, namentlich Risso und Yarrell, veranlaßt, die verschiedenen Formen als Arten aufzustellen und zu beschreiben. Bereits Aristoteles und Plinius sprechen von Aalen mit spitzigem und solchen mit breitem, rundem Kopfe; Risso hielt die bezüglichen Stücke für verschiedene Arten; Yarrell fügte noch andere hinzu. Alle diese Abänderungen werden von den Fischern wohl unterschieden; ja, die französischen vermehren sie noch um eine mehr. Nicht unwahrscheinlich ist die von Heckel und Kner ausgesprochene Ansicht, daß abweichende Bildung des Kopfes einen geschlechtlichen Unterschied ausdrückt.

[325] »Der Aal ist ein bekandt Thier dem gantzen teutschen Landt, auch allen andern Landen. Allein ist das zu merken, daß sie in etlichen flüssen nit gefunden werden, dann in dem fluß Thonaw wirt keiner gefangen, mögen auch, wo sie in solchen geworffen werden nit geleben, sondern sterben zuhandt. Es sollen auch in dem Lausanersee vnd den flüssen so in solchen fallen, wenig der genandten Fisch gefangen werden.« Hinsichtlich der Donau hat der alte Geßner vollständig Recht.


Aal (Anguilla vulgaris). 1/8 natürl. Größe.
Aal (Anguilla vulgaris). 1/8 natürl. Größe.

Dieser Strom und alle Zuflüsse desselben beherbergen keine Aale, und wenn solche wirklich einmal in ihm gefunden werden, darf man bestimmt annehmen, daß sie zufällig in das Stromgebiet gerathen sind, sei es, indem sie eine Wasserscheide überschritten haben, sei es, indem sie eingesetzt wurden. Dem Schwarzen Meere und allen Zuflüssen desselben, ebenso auch dem Kaspischen See und den mit ihm in Verbindung stehenden Stromgebieten mangeln Aale, wogegen sie übrigens von Petersburg an bis Sicilien in ganz Europa vorkommen. Ebensowenig bewohnen sie Asien, sind mindestens im Ob so gut wie gänzlich unbekannt. Einer der unterrichtetsten Fischer, mit welchem wir während unserer Reise nach Sibirien verkehrten, versicherte allerdings, einmal in seinem Leben auch einen Aal gefangen zu haben, und wollte eine Verwechselung mit ihm und einem [326] Neunauge nicht zugeben, dürfte sich jedoch trotzdem geirrt haben, da schon ein so vereinzeltes Vorkommen des Aales in einem für ihn so überaus günstigen Gebiete, wie der Ob es darstellt, der Angabe unseres Fischers widerspricht. Tiefes Wasser mit schlammigem Grunde wird von dem Aale vor jedem anderen bevorzugt; doch bindet er sich keineswegs an derartige Gewässer, sondern besucht auch, wanderlustig wie er ist, solche von entgegengesetzter Beschaffenheit.

Während des Winters liegt er im Schlamme verborgen und hält Winterschlaf, treibt sich wenigstens nicht jagend umher; mit Beginne der warmen Jahreszeit fängt er sein Sommerleben an, schwimmt mit schlangenartiger Bewegung in verschiedenen Wasserschichten sehr rasch dahin, schlüpft mit bewunderungswürdiger Gewandtheit durch Höhlungen oder Röhren, kommt zum Beispiele regelmäßig in den Wasserleitungen größerer Städte, welche ihr Wasser nicht genügend klären, vor und dringt in diesen selbst mehrere Stockwerke hoch in den Häusern empor, wühlt sich auch wohl durch halbverstopfte Röhren und entrinnt so oft aus Teichen, in denen man ihn sicher glaubte. Noch immer wird behauptet, daß er sich des Nachts auf das Land begebe, um in Erbsen-oder Wickenfeldern Schnecken und Würmern nachzugehen. Die Angabe war, wie Siebold bemerkt, bereits Albertus Magnus bekannt, welcher in seinem Thierbuche sagt: »Der Aal soll auch ettwan des nachts auß dem wasser schlieffen auf dem feldt, da er linsen, erbsen oder bonen gesehet findet«, und mag sich überlieferungsweise fortgeerbt haben, da sie noch gegenwärtig fast mit denselben Worten wiederholt wird. So erzählte der in Lübeck wohnende Schenkwirt Stahr, ein ruhiger, verständiger und seinem Wesen nach glaubwürdiger Mann, das nachstehende. »Es war im Sommer des Jahres 1844, als ich, damals im Dienste eines Hufners zu Wilmsdorf stehend, mit einem anderen Knechte eines Morgens gegen drei Uhr zum Melken der im Felde weidenden Kühe ging. Wir kamen an dem Erbsenfelde unseres Dienstherrn, welches durch einen schmalen Streifen Wiesenland von dem Hemmelsdorfer See getrennt war, vorüber und bemerkten, durch eigenartiges Geräusch aufmerksam gemacht, in dem theils in Blüte, theils in Frucht stehenden Erbsen mehrere Aale. Schnell lief ich zu dem nahen Hause zurück und benachrichtigte hiervon den Knecht, welcher mit Pflug und Pferden an Ort und Stelle sich begab und längs des Feldes in der Wiese am See drei Furchen pflügte. Wir fingen in diesen frischen Furchen alsdann eine Menge Aale, welche in einen Sack gethan und größtentheils nach Lübeck zum Verkaufe gefahren wurden.« Herr Ed, welcher die Freundlichkeit hatte, diese Angaben mir mitzutheilen, fügt hinzu, daß Stahr bedauere, anderweitige Zeugen nicht beibringen zu können, weil der andere Knecht gestorben, und die Mägde, welche die Aale aufgelesen, für ihn verschollen, er aber seine Aussage mit einem Eide zu bekräftigen gewillt sei. Aehnliche Erzählungen tauchen hin und wieder in Zeitungen auf, müssen aber demungeachtet mit Vorsicht aufgenommen werden, weil Täuschungen nicht ausgeschlossen sind. An und für sich wären Landwanderungen der Aale nicht undenkbar, da ja, wie wir gesehen haben, auch andere Fische solche unternehmen; Bedenken aber erwachsen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie selten jene ungeachtet der Häufigkeit des Aales geschehen müssen, da selbst die erfahrensten Fischer auf Grund eigener Beobachtungen davon nichts zu erzählen wissen; Bedenken ergeben sich ferner, wenn man erwägt, wie leicht Aale, welche man auf dem Lande gefunden haben will, meinetwegen auch wirklich gefunden hat, durch vorher stattgefundene Ueberschwemmungen zurückgelassen worden sein können. Unterstützt werden solche Bedenken durch anderweitige Thatsachen. Spallanzani hat darauf aufmerksam gemacht, daß bei Comacchio, wo seit langer Zeit ein großartiger Aalfang betrieben wird, die Fischer noch niemals Aale auf dem Lande beobachtet haben, und daß, als die Aale in den Lagunen von Comacchio wegen Verderbnis des Wassers zu vielen tausenden umgekommen waren, doch kein einziger den Versuch gewagt hat, über Land in das nahe gelegene Meer oder den benachbarten Po sich zu retten. Gingen die Aale viel geringerer Ursachen halber zuweilen an das Land, so würden sie angesichts solcher Gefahren unzweifelhaft, ebenso gewiß wie Labyrinthfische und Welse, ihrer Fähigkeit sich bedienen; es würde an Beweisen dafür nicht mangeln und man nach glaubwürdigen Augenzeugen nicht [327] suchen müssen. Daß auch der Aal Luft athmen, demgemäß einen Tag und länger außerhalb des Wassers leben kann, ist allerdings sehr richtig, beweist aber das Ausführen der Wanderung noch keineswegs.

Zur Nahrung wählt sich der Aal hauptsächlich niedere Thiere, namentlich Würmer und Kruster; auch überfällt er Frösche, kleine Fische und dergleichen, soll sich sogar am Aase gütlich thun. Seine Gefräßigkeit ist groß, seine Raubfähigkeit, des kleinen Maules halber, gering.

So unvollkommen unsere Kenntnis der Fortpflanzungsgeschichte des Aales einstweilen noch ist, so können wir doch, dank den sorgsamen Beobachtungen neuzeitlicher Forscher, so viel mit Bestimmtheit behaupten, daß auch dieser Fisch durch Eier sich fortpflanzt. Frühere Beobachter suchten vergeblich nach Geschlechtswerkzeugen, und erst Mundinus und Müller erkannten in zwei langen, krausenartigen Hautlappen, welche zahlreiche Einschnitte und Querfaltungen zeigen und beiderseits längs der Wirbelsäule verlaufen, die Eierstöcke. Rathke, Hornschuch und andere bestätigten die Richtigkeit ihrer Untersuchungen, nachdem sie mit Hülfe starker Vergrößerung die Eier aufgefunden hatten. So weit sind wir gegenwärtig gekommen; aber noch immer hat man die männlichen Geschlechtswerkzeuge mit Sicherheit nicht nachweisen und die Annahme einzelner Forscher, daß die Aale zu den Zwittern gehören, nicht widerlegen können. An ein Lebendiggebären dieser Fische glaubt gegenwärtig niemand mehr, schon weil die Vermehrung eine ungemein starke sein muß, alle lebendiggebärenden Fische aber verhältnismäßig wenige Junge zur Welt bringen.

Ueber das Laichen selbst fehlt noch jede Kunde. Wir wissen bloß, daß die erwachsenen Aale die Flüsse verlassen und in großer Anzahl dem Meere zuwandern, dürfen auch dreist annehmen, daß sie hier laichen. Ihre Wanderungen finden, wie schon seit lange bekannt, im Herbste, vom Oktober bis zum December, vorzugsweise während stürmischer und finsterer Nächte, statt. Sie sind, wie die genauesten Untersuchungen ergeben haben, um diese Zeit für ihr Fortpflanzungsgeschäft noch nicht vorbereitet; aber bereits zu Ende des April, spätestens im Mai, beginnt eine Rückwanderung in die Flüsse, und zwar sind es Junge von höchstens neun Centimeter Länge und Wurmdicke, welche zu Berge gehen, höchst wahrscheinlich also die kurz vorher von den im Herbste ausgewanderten Alten erzeugten Nachkömmlinge. Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, würde also der Beweis geliefert sein, daß die Laichzeit in die Monate December bis Februar fallen muß. Ob einzelne Aale auch in Süßwasserseen laichen, wie von manchem angenommen wird, oder ob wirklich alle, welche zur Fortpflanzung gelangen, in das Meer hinausziehen, wie die große Mehrzahl sicherlich thut, ob endlich, wie ebenfalls angenommen worden, die Laichfische, nachdem sie ihrer Eier sich entledigt, gar nicht wieder in die Flüsse zurückkehren, sondern im Meere absterben, muß alles einstweilen noch dahingestellt bleiben.

Das Aufsteigen der jungen Aale ist mehrfach beobachtet worden und findet in allen größeren Strömen statt. Bereits Redi erzählt, daß vom Ende des Januar bis zu Ende des April alljährlich Aalbrut den Arno hinaufwandert, und daß um das Jahr 1667 bei Pisa an einer Stelle des genannten Flusses innerhalb fünf Stunden drei Millionen Pfund solcher Aale von drei bis zwölf Centimeter Länge gefangen wurden. In den Lagunen von Comacchio werden, laut Spallanzani und Coste, vom Februar bis April gewisse Schleusen geöffnet, um den jungen Aalen den Eintritt in die abgedämmten Teiche zu gestatten, aus denen sie dann nach fünf- bis sechsjährigem Aufenthalte wieder ins Meer zu gelangen suchen und dabei gefangen werden. Auch im Orbitello-See wandern die jungen bindfadendicken Aale im Frühjahre, und zwar im März, April und Mai, bei stürmischem Wetter zu Millionen ein. »In den Monaten März und April«, sagt Karl Vogt, »steigen in den Nächten Myriaden kleiner, etwa fünf Centimeter langer, durchsichtiger Fischlein durch die Flußmündungen auf. An manchen Orten, wie zum Beispiel in französischen Flüssen, wo man diese Erscheinung ›montée‹ nennt, bilden sie feste Massen, die man mit Sieben und Schöpfern ausschöpft und meist mit Eiern, als Pfannkuchen gebacken, verspeist. Dies sind junge Aale, welche von den Laichplätzen flußaufwärts steuern und nach zwei Jahren etwa sechzig Centimeter lang [328] geworden sind.« Crespon bespricht diese Wanderungen ebenfalls. Die jungen Aale sammeln sich an der Mündung des Rhône und steigen von hier aus dem Strome entgegen, eine ununterbrochene Masse bildend, deren Durchmesser dem einer starken Tonne ungefähr gleichkommt. In der Regel bemerkt man an jedem Ufer einen Heerzug. Couch beobachtete, daß die jungen Aale selbst Wasserfälle überklettern, und ein gewisser Arderon berichtet von solchen, welche über die Pfähle der Wasserwerke von Norwich und über Fußschleusen in höher liegendes Wasser stiegen, obgleich die Breter glatt gehobelt waren und eine senkrechte Höhe von etwa zwei Meter hatten. Wenn sie aus dem Wasser kamen, warteten sie einige Zeit, bis ihr Schleim die ihnen nöthig dünkende Klebrigkeit hatte, dann krochen sie an der senkrechten Fläche mit derselben Leichtigkeit fort wie auf einer wagerechten. Jesse bemerkt, daß die Wanderung alljährlich zu derselben Zeit geschieht, ungefähr zwei bis drei Tage währt und in einem ununterbrochenen Zuge vor sich geht, welcher im Verlaufe einer Stunde etwa zwei und eine halbe englische Meile zurücklegt. Zuweilen schwimmen sie, ohne daß man einen Grund absehen könnte, von einem Ufer des Flusses quer über das Wasser nach der anderen Seite hinüber. An der Mündung eines Flusses theilen sie sich: ein Theil zieht in den Nebenflüssen hinan, der andere kämpft sich durch die Strömung des Einflusses und wandert an dem Ufer des Hauptstromes weiter. Auf diese Weise zersplittert sich das Heer nach und nach, bis es endlich an verschiedenen Orten ganz untergebracht worden ist. Alle Hindernisse werden überwunden, und den Milliarden, welche wandern, thun die hunderttausende, welche dabei ihren Tod finden, keinen ersichtlichen Abbruch. »Ich befand mich«, erzählt Davy, »gegen Ende des Juli zu Ballyshannon in Irland an der Mündung des Flusses, welcher während der vorigen Monate hohes Wasser gehabt hatte. In der Nähe eines Falles war er getrübt von Millionen kleiner Aale, welche fortwährend den nassen Felsen an den Ufern des Wasserfalles zu erklimmen suchten und dabei zu tausenden umkamen; aber ihre feuchten, schlüpferigen Leiber dienten den übrigen zur Leiter, um den Weg fortzusetzen. Ich sah sie sogar senkrechte Felsen erklimmen; sie wanden sich durch das feuchte Moos oder hielten sich an die Leiber anderer an, welche bei dem Versuche ihren Tod gefunden hatten. Ihre Ausdauer war so groß, daß sie noch in ungeheueren Mengen ihren Weg bis zum See Arno erzwangen.« Der Rheinfall bei Schaffhausen kann sie nicht verhindern, ihren Weg nach dem Konstanzer See fortzusetzen; der Rhônefall hält sie ebensowenig auf. Laut Nilson konnten sie früher nicht über den Trollhätta-Fall emporkommen; als jedoch die Schleusen angelegt worden waren, welche jetzt die Schiffahrt vermitteln, fanden sie sich auch im Wenersee ein und seitdem in allen Zuflüssen desselben. »Als wir eines Morgens zu Ende des Juni oder zu Anfange des Juli auf den unmittelbar an die Elbe stoßenden Deich des Dorfes Dreenhausen traten«, berichtet Ehlers, »sahen wir, daß entlang des ganzen Ufers ein dunkler Streifen sich fortbewegte. Wie für die Bewohner der dortigen Elbmarsch, was sich auf und was sich in der Elbe ereignet, theilnahmswerth ist, so zog auch diese Erscheinung sofort die Aufmerksamkeit auf sich, und es ergab sich, daß dieser dunkle Streifen von einer unzähligen Menge junger Aale gebildet wurde, welche dicht an der Oberfläche des Flusses stromaufwärts zogen und sich dabei stets so nahe und unmittelbar am Ufer hielten, daß sie alle Krümmungen und Ausbuchtungen desselben einhielten. Die Breite dieses aus Fischen bestehenden Streifens mochte an der Stelle, wo er beobachtet wurde, etwa dreißig Centimeter betragen; wie groß die Mächtigkeit desselben nach unten sei, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. So dicht gedrängt aber schwammen hier die jungen Aale, daß man bei jedem Zuge, welchen man mit einem Gefäße durch das Wasser that, eine namhafte Menge der Fische erhielt und diese für die Anwohner der Elbe insoweit lästig wurden, als letztere, so lange der Zug der Fische dauerte, kein Wasser aus der Elbe schöpfen konnten, welches nicht von den kleinen Fischen angefüllt gewesen wäre. Die Größe der einzelnen jungen Aale betrug durchschnittlich wohl acht bis zehn Centimeter; die Dicke ihrer Leiber erreichte ungefähr die eines Gänsekieles. Vereinzelt schwammen Aale von bedeutender Größe dazwischen; doch mochte wohl keiner über zwanzig Centimeter lang gewesen sein. Dieser wunderbare Zug der Fische dauerte ununterbrochen in gleicher [329] Stärke den ganzen Tag hindurch und setzte sich auch noch am folgenden fort; am Morgen des dritten Tages aber war nirgends mehr einer der jungen Aale zu sehen.«

Young entnahm am 28. April 1842 eine Anzahl solcher Jungaale dem Flusse und setzte sie in einen wohl verwahrten Teich. Sie wuchsen ungemein rasch zu ansehnlicher Größe heran, verschwanden gegen Annäherung des Winters sämmtlich, erschienen im nächsten Frühlinge aber wieder und wuchsen auch in dem zweiten Sommer stetig weiter, so daß am 21. Oktober 1843 untersuchte bis dahin bereits fünfundsechzig Centimeter an Länge erreicht hatten. Trevelyan hielt neun bis zehn Jahre lang Aale in einem kleinen Gartenteiche. Auch sie lagen während der kalten Jahreszeit im Winterschlafe, kamen wenigstens bloß, wenn die Sonne sehr warm schien, hervor. Zu Ende des April nahmen sie zuerst einzelne Würmer zu sich; während des Sommers aber schienen sie unersättlich zu sein, und einer von ihnen fraß dann zwanzig bis dreißig lange Würmer nach einander. Anfänglich hatte man verabsäumt, sie zu füttern; deshalb fraß der stärkere schwächere auf. Gewöhnlich lagen sie ruhig auf dem Grunde des Teiches; nahte sich jedoch jemand von der ihnen bekannten Familie, so erschienen sie sofort an der Oberfläche, um zu sehen, was es gäbe, und nahmen entweder die ihnen gereichte Nahrung in Empfang, oder spielten mit dem ihnen vorgehaltenen Finger. Gegen Ende des Juli wurden sie unruhig und versuchten zu entkommen; gegen Ende des August oder im Anfange des September zogen sie sich in ihre Winterherberge zurück.

Alle größeren Fischfresser stellen den Aalen eifrig nach, haben aber oft ihre liebe Noth mit ihnen. Ungemein drollig sieht es aus, wenn man einem gefangenen hungerigen Fischotter einige Dutzend kleiner lebenden Aale in sein Wasserbecken wirft. Wie wir früher (Band II, Seite 118) gesehen haben, kann dieser Marder des Wassers keine Ruhe finden, so lange er noch etwas lebendes um sich weiß. Er stürzt sich in sein Becken, holt einen Aal, beißt ihm den Kopf ein, legt ihn auf die Bank, fällt von neuem ins Wasser, packt einen zweiten, erscheint an der alten Stelle und sieht zu nicht geringer Ueberraschung, daß der vermeintliche Todte sich schon längst wieder fortgeringelt hat und im Wasser sich bewegt, als wäre ihm nichts geschehen. Darüber ärgerlich, versetzt das erboste Raubthier dem zweiten gefangenen mehrere Bisse und stürzt sich in die Fluten, um den ersten wiederzuholen; mittlerweile ist der zweite ebenfalls wieder entschlüpft, und so währt das Wechselspiel so lange, bis der Otter sich entschließt, schleunigst ein Paar der nicht umzubringenden Wurmfische zu verzehren. Bei ihm geht dies; bei Vögeln, welche ihre Nahrung ganz verschlingen, ist damit der Widerstreit noch nicht beendet. Hiervon weiß schon der alte Geßner zu erzählen. »Die Ael sollen von etlichen geschlechten der Vögel gefressen werden als von denen so Phalacrocorax genennt werden. Er verschluckt solche Fisch gantz, welcher ohn verzug hindurchfährt gleich lebendig, wirt zu stundt wider verschluckt, solches oft biß auff neunmalen, so lang biß er müd gemacht, in dem Vogel ersterben muß.« Das ist vollkommen richtig, gilt jedoch nur für junge Vögel; denn alte Reiher und Scharben zerstückeln die Aale stets vor dem Fressen, weil sie deren Befähigung, als Abführmittel zu wirken, wohl kennen.

Die Zählebigkeit dieser Fische macht übrigens nicht bloß den Thieren, sondern auch den Menschen zu schaffen. Jede Fischfrau, jede Köchin weiß, was es sagen will, einen Aal umzubringen. »Ich habe«, erzählt Lenz, »in einer Seestadt, so oft ich die Fischmärkte besuchte, die großen Aale in Wasserkübeln gesehen, während die etwa sechzig Centimeter langen massenweise auf großen Tischen lagen und daselbst in fortwährender Bewegung sich zusammendrängten. Waren die Fischweiber nicht gerade mit dem Verkaufe beschäftigt, so nahmen sie einen der auf dem Tische aufgepflanzten Aale nach dem anderen beim Kopfe, machten hinter diesem mit dem Messer einen ringförmigen Schnitt und zogen dann die Haut vom Halse bis zum Schwanze ab. Dabei und noch lange nachher krümmt sich das unglückselige Thier ganz jämmerlich.«

Die Aalfischerei wird überall eifrig betrieben. Großartige Einrichtungen bestehen schon seit Jahrhunderten in den erwähnten Lagunen von Comacchio, welche aus einem wüsten Sumpfe in [330] geordnete Teiche umgewandelt und mit Schleusen, Wassergräben und Irrgängen eingerichtet worden sind. Comacchio, ein armseliges Städtchen, bildet den Mittelpunkt dieser Fischerei und wird fast ausschließlich von Leuten bewohnt, welche an dem Aalfange Antheil nehmen. Die Fischer selbst leben in einer absonderlichen Verbindung, unter Gesetzen, welche im Mittelalter gegeben worden sind, und in einer geistigen Versunkenheit ohne gleichen. Trotzdem kennen sie die Lebensgeschichte der Aale besser als andere ihrer Berufsgenossen. Ihr ganzes Leben und somit auch ihr Sinnen, Denken und Trachten dreht sich um diese Fische. Während des Aufsteigens der Jungaale belebt sich das eigenthümliche Reich. Alt und jung überwacht jetzt die Züge der kleinen Fische, gefällt sich in Schätzungen ihrer Anzahl und versucht, sie nach bestimmten Zuchtteichen hinzuleiten, in denen man schon früher durch Einsetzen von kleinen Futterfischen für hinreichende Nahrung sorgte. In Comacchio soll das Aufsteigen am zweiten Februar beginnen und bis gegen Ende des April fortwähren, bezüglich sich wiederholen; dann schließt man die Eingänge und beschäftigt sich zunächst nur mit der Regelung des Wasserzuflusses, welcher theils vom Meere aus, theils von dem benachbarten Po her beschafft wird. Im August beginnt nach vorausgegangenem Kirchendienste die Fischerei, weil von dieser Zeit an die vor fünf bis sechs Jahren eingezogenen Aale zur Rückwanderung nach dem Meere sich anschicken. Infolge der künstlich hergestellten Irrgänge müssen sich die Fische in bestimmten kleinen, dicht geschlossenen Räumen sammeln, aus denen sie dann mit leichter Mühe herausgefischt werden. Ein Theil der Beute wird lebend nach den benachbarten Ortschaften und Städten gesendet, ein anderer gekocht verschickt, ein dritter eingesalzen, ein vierter geräuchert. Venedig, Rom, Neapel und andere große Städte Italiens werden fast ausschließlich von Comacchio mit Aalen versorgt, und der Gewinn, welchen die Fischerei abwirft, ist sehr bedeutend.

In Schleswig-Holstein und in den Ostseeprovinzen fängt man ebenfalls viele Aale, an der Nordseeküste überhaupt aber die meisten in Holland, von wo aus England und insbesondere London versehen wird. Zwei Gesellschaften, von denen jede fünf eigens dazu gebaute Schiffe hat, führen mit jeder Reise zwischen sieben- bis zehntausend Kilogramm lebende Aale ein und haben dafür die nur geringe Summe von dreizehn englischen Schillingen an Zoll zu entrichten. Auch Berlin erhält die meisten Aale, welche daselbst verzehrt werden, aus der Nordsee.

Das Fleisch zählt zu dem besten, welches unsere Flußfische liefern können, findet daher auch stets so viele Abnehmer, daß das Kilogramm nur in sehr aalreichen Gegenden mit weniger als einer Mark, meist mit anderthalb bis zwei Mark bezahlt wird. An unseren Küsten bildet der Aal, ebensowohl frisch wie geräuchert oder eingemacht, einen nicht unwichtigen Gegenstand des Handels und wird von hier aus einerseits bis nach Petersburg, andererseits bis nach Rumänien versendet.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 325-331.
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