Erste Familie: Kugelfische (Gymnodontes)

[337] Kugelfische oder Nacktzähner (Gymnodontes) heißen diejenigen Arten, gegen neunzig an der Zahl, bei denen die Kinnladen mit einer elfenbeinartigen, innerlich in Blätter getheilten Masse überzogen sind und gewissermaßen einen Schnabel vorstellen, welcher sich ebenso wie der eines Papageis oder Vogels überhaupt in demselben Grade ersetzt, als er durch das Kauen abgenutzt wird. Ihre Kiemendeckel sind sehr klein, die fünf Kiemenstrahlen tief versteckt. Mit Ausnahme einer einzigen Sippe besitzen sie eine sehr große Schwimmblase, und mehrere von ihnen können sich wie Luftbälle aufblasen, indem sie wirklich Luft aufnehmen, mit ihr die sehr zarthäutige und ausdehnbare Speiseröhre anfüllen und sich so aufblähen, daß sie wirkliche Kugelgestalt annehmen, im Wasser sich umkehren, mit der Oberseite nach unten richten und ihren Feinden nach allen Seiten spitzige Dornen und Stacheln entgegenstrecken. Früher glaubte man bei ihnen eigenthümliche Athmungswerkzeuge voraussetzen zu müssen; dieselben sind jedoch nicht anders beschaffen als bei den übrigen Fischen: wenn sie sich aufblasen, müssen sie die Luft, welche in den ungeheueren, aus sehr dünnen Zellengeweben bestehenden, die Bauchhöhle ausfüllenden Kropf eintritt, verschlucken und hinabpressen. Eine dichte Muskelschicht umgibt den Schlund und dient dazu, die eingepumpte Luft am Entweichen zu verhindern.

»Eines Tages«, so erzählt Darwin, »ergötzte mich das Betragen eines Doppelzähners, welcher, nahe am Ufer schwimmend, gefangen wurde. Es ist bekannt, daß dieser Fisch sich in eine fast kugelige Gestalt ausdehnen kann. Nachdem er eine kurze Zeit aus dem Wasser gehoben und dann wieder eingetaucht worden war, nahm er eine beträchtliche Menge von Wasser und Luft durch den Mund und vielleicht auch durch die Kiemenöffnungen auf. Dieser Hergang geschieht auf doppelte Art: die Luft wird verschluckt und dann in die Bauchhöhle gedrängt, während ihren Rücktritt eine äußerlich sichtbare Muskelzusammenziehung hindert; das Wasser indessen geht in einem Strome durch das offene und bewegungslose Maul ein; die Thätigkeit des Aufnehmens desselben muß also in einer Aufsaugung beruhen. Die Haut auf dem Bauche ist viel lockerer als die auf dem Rücken; deshalb dehnt sich während des Aufblasens die untere Fläche weit mehr aus als die obere, und der Fisch schwimmt mit seinem Rücken nach unten. Cuvier bezweifelt das letztere, aber mit Unrecht. Der Doppelzähner bewegt sich nicht nur in einer geraden Linie vorwärts, sondern kann sich auf beide Seiten drehen. Letztere Bewegung wird allein mit Hülfe der Brustflossen bewirkt und der zusammengefallene Schwanz dabei nicht gebraucht. Als der Leib mit so viel Luft angefüllt war, erhoben sich die Kiemenöffnungen über das Wasser; wurde aber ein Wasserstrom durch den Mund aufgenommen, so floß es beständig durch die letzteren aus. Hatte sich der Fisch eine Zeitlang aufgebläht gehabt, so trieb er gewöhnlich Luft und Wasser durch die Kiemenlöcher und den Mund mit beträchtlicher Gewalt herauf. Er konnte willkürlich einen Theil des Wassers von sich geben, und es ist deshalb glaublich, daß diese Flüssigkeit zum Theil eingenommen wird, um die bezügliche Schwere zu regeln.

Unser Doppelzähner besaß mehrere Vertheidigungsmittel. Er konnte heftig beißen und Wasser aus einiger Entfernung aus seinem Maule auswerfen, wobei er gleichzeitig durch die Bewegung seiner Kinnladen ein sonderbares Geräusch hervorbrachte. Während und infolge des Aufblasens wurden die Wärzchen, mit denen seine Haut bedeckt ist, steif und spitzig; aber der merkwürdigste Umstand war, daß er, in die Hand genommen, eine sehr schöne karminrothe, fadige Absonderung [337] von sich gab, welche Elfenbein und Papier auf eine höchst dauernde Weise färbte. Die Natur und der Nutzen dieser Absonderung sind mir durchaus unbekannt geblieben.«

Du Tetre berichtet, daß man an den Antillen die Doppelzähner, obgleich man das Fleisch nicht esse, zur Belustigung fange und die Angel mit einem Krebsschwanze ködere. Aus Furcht vor der Schnur geht der Fisch eine Zeitlang um die Angel herum und versucht endlich behutsam, den Krebsschwanz zu kosten; rührt sich die Angelruthe nicht, so wird er dreist, schnellt zu und verschluckt ihn. Sobald er nun bemerkt, daß er gefangen ist, bläst er sich auf, wird dick und rund, überpurzelt sich, richtet die Stacheln in die Höhe, geberdet sich wie ein zorniger Truthahn und sucht alles, was in seinen Bereich kommt, zu verwunden.


Igelfisch (Diodon hystrix). 1/4 natürl. Größe.
Igelfisch (Diodon hystrix). 1/4 natürl. Größe.

Wenn er das vergebliche seines Bestrebens bemerkt, bedient er sich einer anderen List, indem er Luft und Wasser von sich spritzt, die Stacheln niederlegt und sich schlaff macht, unzweifelhaft in der Absicht, in das tiefe Wasser sich zu versenken; hilft ihm auch dieses nichts, so beginnt er von neuem sich aufzublasen und mit den Stacheln zu drohen. Bei der Zähigkeit seines Lebens währt dieses Gebaren lange Zeit zur Belustigung der Zuschauer, welche ihn endlich, nachdem sie sich genugsam an seiner Marter geweidet, ans Land ziehen. Hier vertheidigt er sich noch immer tapfer, sträubt sich und läßt sich nicht anfassen; nach einigen Stunden aber wird er matt und stirbt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 337-338.
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