Viereichenfalterchen (Thecla quercus)

[363] Das Viereichenfalterchen, Eichenschillerchen, der kleine Changeant (Thecla quercus), fällt im Freien weniger in die Augen als die meisten anderen Sippengenossen; denn er kommt nur einzeln vor und verläßt die höheren Luftschichten des Waldes, wenigstens das Eichengebüsch, nur selten. Mit dicht zusammengeklappten, nicht gleichzeitig zusammmengeschobenen Flügeln spaziert er auf einem Eichenblatte, welches die Sonne bestrahlt, umher und scheint die Einsamkeit aufzusuchen. Wie in einem fallenden, kurzen Fluge ist er von diesem Blatte [363] verschwunden, um auf einem anderen seine Spaziergänge zu wiederholen. Nur wenn das Weibchen den Besuch eines Männchens erwartet, dann breitet es seine Flügel aus, von denen die vorderen eine keilförmige Gestalt haben, die hinteren sich abrunden, im Innenwinkel schwach lappig und in geringer Entfernung davon in einem schmalen Zähnchen heraustreten. Sie bieten eine einfarbig schwarzbraune Fläche dar, welche bei günstiger Beleuchtung wie mit violettem Dufte überzogen erscheint. Jetzt schlägt auch das Männchen seine Flügel auseinander und brüstet sich, der gefallsüchtigen Dame gegenüber. Es trägt in der That den Preis der Schönheit davon, denn zwei Keilflecke von prächtigstem Azur erglänzen an der Wurzel der Vorderflügel dicht bei einander, der innere in größerer Erstreckung als der äußere. Wir wollen aber die beiden Verliebten nicht stören und uns einen verlassenen Spaziergänger besehen, um sein alltägliches Gesicht, seine Außenseite kennen zu lernen. Dieselbe ist glänzend silbergrau und hat im Saumfelde eine weiße, nach innen dunkler gefaßte Strieme nebst einigen röthlichen Fleckchen dahinter. Die zierlich weißgeringelten Fühler verdicken sich allmählich zur Keule und reichen mit ihrer Spitze bis zur Hälfte des Flügelvorderrandes. Die zart weiß umschuppten Augen sind behaart, die Vorderbeine bei beiden Geschlechtern etwas schwächer als die anderen. Die Flügelspannung beträgt 32,5 bis 35 Millimeter.

Dieser hübsche Falter fliegt im Juni allerwärts in Europa, wo es Eichen gibt, nachdem er die überwinterte Puppe verlassen hat. Das Weibchen legt nach einiger Zeit seine Eier einzeln an die Blätter der Eichbäume oder des eichenen Stangenholzes, und die ihnen entschlüpfenden Räupchen, von denselben fressend, erlangen nicht nur im Laufe des Sommers ihre volle Größe, sondern kriechen zur Verpuppung zuletzt auch noch unter Moos. Sie gehören zu den sogenannten Asselraupen, weil sie nach oben gewölbt, nach unten platt gedrückt und gedrungen, in der Gestalt den bekannten Kellerasseln gleichen. Den braunen, hinten gelblichen Untergrund decken feine Härchen, und auf dem Rücken stehen reihenweise gelbe, erhabene Dreieckchen, welche durch eine schwarze Längslinie getheilt werden. Das lichte, braun gefleckte Püppchen wäre eiförmig zu nennen, wenn es sich nicht vor der Mitte etwas einschnürte; es liegt steif und unbeweglich und schnellt bei der Berührung nicht lebhaft mit dem Hinterleibsende hin und her, wie es die schlanken Puppen der Tagfalter zu thun pflegen. Noch viele andere Theclas (spini, pruni, rubi, ilicis und andere) sind in Deutschland heimisch, welche mit der eben beschriebenen hinsichtlich der Bildung der Flügel, Fühler, Beine und Augen übereinstimmen und an anderen Holzgewächsen auf dieselbe Weise leben, wie die Thecla quercus an Eichen; die Oberfläche ihrer Flügel ist dunkelbraun, auch dunkelgrün (Thecla rubi), mit unbestimmten rothen oder rothgelben Flecken gezeichnet, oder ohne solche. Die Unterfläche erscheint immer lebhafter gefärbt, niemals jedoch mit Augenflecken geziert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 363-364.
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