Rothschwanz (Dasychira pudibunda)

[392] Der Rothschwanz, Buchenspinner, Kopfhänger (Dasychira pudibunda) – wollten wir seine wissenschaftlichen Namen in das Deutsche übertragen, müßten wir ihn den »verschämten Wollfuß« nennen – ist ein heller und dunkler, graubraun und weiß gezeichneter Spinner, dessen Weibchen noch matter und verwischter erscheint als das hier vorgeführte Männchen. Er fliegt anfangs Juni und macht sich in keinerlei Weise bemerklich. Seine Raupe aber fällt nicht nur durch ihre Schönheit auf, sondern richtet sogar manchmal an jungen Buchenbeständen erheblichen Schaden an. Auf Eichen findet man sie gleichfalls, mehr im nördlichen Deutschland. Sie gehört zu den Bürstenraupen, ist für gewöhnlich schwefelgelb, nur am hintersten Haarpinsel (dem Schwanze) roth, bisweilen haben auch die übrigen Haare einen schön rosenrothen Hauch. Sie liebt die Stellung, in welcher wir sie hier erblicken, »hängt den Kopf« und läßt die prächtig sammetschwarzen Spiegel zwischen den vorderen Bürsten dann sehr deutlich sehen. In der Jugend gleitet sie bei der Erschütterung des Busches, auf welchem sie frißt, an einem Faden herab, erwachsen thut sie es nicht, sondern fällt frei und liegt nach innen gekrümmt und einen Kreis bildend, indem sich das Leibesende über den Kopf legt, ruhig auf dem Boden, bis sie die Gefahr für beseitigt glaubt. Dann rafft sie sich auf und besteigt ihren Wohnplatz von neuem. Im Oktober sucht sie zur Verpuppung das dürre Laub des Bodens auf, fertigt ein lockeres, mit den Haaren vermischtes Gewebe, in diesem ein [392] zweites, festeres Gespinst, welches aber noch locker genug ist, um die dunkelbraune Puppe durchscheinen zu lassen.

Nach einem Berichte des Oberförsters Fickert auf Rügen, wo die Raupe seit zweihundert Jahren haust, kam der stärkste Fraß im warmen Sommer 1868 zu Stande, indem sämmtliche Buchen der Stubbenitz auf einer Fläche von mehr als zweitausend Hektar schon Ende August vollständig entlaubt waren. Nach der Buche kamen Ahorn, Eiche, Hasel und sämmtliche kleine Gesträuche, zuletzt Espe, Erle, Lärche, Birke an die Reihe; selbst die Ränder der Fichtennadeln wurden befressen, dagegen Eschen gänzlich verschont, während bei einem früheren Fraße die Eschen vor den Erlen und Birken in Angriff genommen wurden. Es ist überhaupt eine öfters gemachte Erfahrung, daß dann, wenn ein Kerf in ungewöhnlich großen Massen auftritt, keine Regel hinsichtlich der Reihenfolge der angegriffenen Pflanzen aufgestellt werden kann. Der Rothschwanz war über den ganzen Waldkörper der Stubbenitz verbreitet; auffällig wurde ihr Fraß zunächst nur da, wo größere Massen vereinigt waren, breitete sich allmählich ringförmig aus und griff schnell um sich; denn sobald das Laub anfing, lichter zu werden, genügten acht Tage, um hundert bis zweihundert Hektar vollkommen kahl erscheinen zu lassen. Die Stämme waren jetzt dicht bedeckt mit auf- und abkriechenden Raupen, welche vergeblich nach Nahrung suchten und zuletzt massenhaft am Boden umkamen; denn sobald erst drei oder vier Raupen ringend aneinander gerathen, hört jedes weitere Fortschreiten auf. An Oertlichkeiten, wo zwei Fraßringe zusammenstießen, war die Anhäufung eine so überraschende, daß man unter einer Buche zwischen fünf und sechs Scheffel sammeln konnte. Nur an zwei Oertlichkeiten von geringerer Ausdehnung reichte für eine Sehne des fortschreitenden Kreises die Nahrung bis zur Zeit der Verpuppung aus. Dort erfolgte dieselbe auch massenhaft in dem Bodenüberzuge, dem oben aufliegenden Laube und an den bemoosten Stämmen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 392-393.
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