Großer Frostspanner (Hibernia defoliaria)

[418] Der Blatträuber, Entblätterer, große Frostspanner (Hibernia defoliaria, Fig. 1), fliegt spät im Jahre, zu einer Zeit, wo die meisten anderen Kerfe ihre Winterquartiere aufgesucht haben und zum Theile schon der Erstarrung anheim gefallen sind, weil die Sonne keine Wärme mehr spendet und die Pflanzen aufgehört haben, die nöthige Nahrung zu liefern. Im Oktober und November erscheint dieser träge Spanner, welcher nicht einmal bei Tage die wenigen Sonnenblicke [418] benutzt, sondern in den kalten Nächten taumelnd umherfliegt, um an den Stämmen der Bäume eine Lebensgefährtin zu suchen, welche ihm nicht auf halbem Wege entgegenkommt, weil ihr das Flugvermögen versagt wurde. Das Männchen hat große, zarte und dünn beschuppte Flügel von hell ockergelber Grundfarbe; ein dunkler Mittelpunkt und feine Sprenkelung zeichnet alle aus und breit rostbraune Umsäumung des Mittelfeldes die vorderen noch insbesondere. Die Beine tragen anliegende Schuppen und die Fühler zwei Reihen Kammzähne. Das flügellose, gelb und schwarz gescheckte Weibchen (Fig. 2) kriecht gegen Abend an den Baumstämmen in die Höhe, in der Erwartung, daß das Männchen seine Pflichten erfülle; denn es will gesucht werden, und dieses weiß es zu finden. Nach der Paarung legt es seine Eier einzeln oder in geringer Anzahl vereinigt oben an die Knospen der Bäume, welche es mit seinen langen Beinen zu Fuße in der kürzesten Zeit erreicht. Schon vor Mitte April, wenn es sonst die Witterung erlaubt, schlüpfen die Räupchen aus, finden unter den Schuppen der Knospen Schutz und beginnen ihr Zerstörungswerk, bevor die Entwickelung dieser möglich wird; an den Obstbäumen machen sich dieselben am leichtesten kenntlich und mitunter für den Besitzer empfindlich fühlbar, an den Waldbäumen weniger, weil hier die Zerstörung der Fruchtknospen wenig schadet.


Großer Frostspanner (Hibernia defoliaria), 1 Männchen, 2 Weibchen, 3 Raupe. Hibernia aurantiaria, 4 Männchen, 5 Weibchen. Kleiner Frostspanner (Cheimatobia brumata), 6 Männchen, 7 Weibchen, 8 Raupe. Alle in natürlicher Größe.
Großer Frostspanner (Hibernia defoliaria), 1 Männchen, 2 Weibchen, 3 Raupe. Hibernia aurantiaria, 4 Männchen, 5 Weibchen. Kleiner Frostspanner (Cheimatobia brumata), 6 Männchen, 7 Weibchen, 8 Raupe. Alle in natürlicher Größe.

Die erwachsene Raupe (Fig. 3) ist auf dem Rücken braunroth, an der Bauchhälfte schwefelgelb und führt hier rothbraune Striche auf jedem Gliede. Zur Verpuppung sucht sie die Erde auf, spinnt mit wenigen Fäden die kleine Höhle aus und verwandelt sich in eine rothbraune Puppe, welche in eine Stachelspitze endet. Noch eine zweite gelbe Art derselben Gattung (Hibernia aurantiaria, Fig. 4, 5), die wir auf unserer Abbildung sehen, fliegt gleichzeitig, zwei andere, eine gleichfalls gelbe (Hibernia progemmaria) und eine weißgraue (Hibernia leucophaearia), im ersten Frühjahre.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 418-419.
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