Kleiner Frostspanner(Cheimatobia brumata)

[419] Der kleine Frostspanner, Winterspanner, Spätling (Cheimatobia brumata, Fig. 6, 7), hat fast ganz die Lebensweise des vorigen, fliegt aber noch später; denn sein wissenschaftlicher Artname bezeichnet den kürzesten Tag (bruma); dagegen verläßt seine Raupe die Futterpflanze [419] etwas früher, wodurch gegen dort die Puppenruhe durchschnittlich um einen Monat verlängert wird. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß die Raupe (Fig. 8, S. 419) auch im erwachsenen Alter nicht frei an der Futterpflanze sitzt, sondern zwischen zusammengezogenen und zum Theile vertrockneten Blattüberresten. Der kleine Frostspanner ist für die nördlichen Gegenden Europas, was der große für die südlicheren: ein Zerstörer der Obsternten, wo er massenhaft auftritt. In Mitteldeutschland, beispielsweise in der Provinz Sachsen, kommen beide häufig genug neben einander an Waldbäumen vor, der kleine ausschließlich schädlich für die Obstbäume, und wo die »Spanne« in der Blüte ungestört haust, kann Jahre hintereinander die Obsternte vollständig fehlschlagen. Die zarten und gerundeten Flügel des Männchens sind staubgrau sparsam beschuppt, die vorderen durch röthlichen Anflug dunkler und mit noch dunkleren Querlinien unregelmäßig und veränderlich gezeichnet. Ihre Anhangszelle ist ungetheilt und Rippe 7 und 8 entspringen getrennt von einander; im Hinterflügel übertrifft die Mittelzelle die halbe Flügellänge, und die einzige Innenrandsrippe mündet in den Afterwinkel. Das staubgraue Weibchen zeichnet sich durch Flügelstumpfe mit je einer dunkeln Querbinde und durch weiß gefleckte lange Beine aus.

Das Räupchen kriecht im ersten Frühjahre grau aus dem Eie, ist nach der ersten Häutung gelblichgrün, am Kopfe und Nackenschilde schwarz. Nach der zweiten Häutung verliert sich das Schwarz, die Grundfarbe wird reiner grün, und eine vorher angedeutete weiße Rückenlinie tritt schärfer hervor. Nach der letzten Häutung ist sie bei sechsundzwanzig Millimeter Länge gelblichgrün oder dunkler gefärbt, am Kopfe glänzend hellbraun, über den Rücken in einer feinen Linie noch dunkler; diese letztere ist beiderseits weiß eingefaßt, und ebenso zieht noch eine lichte Linie über den als dunkle Pünktchen erscheinenden Luftlöchern hin. Ein pralles, festes Wesen zeichnet diese Raupe überdies noch vor vielen anderen Spannerraupen aus. Spätestens zu Anfange des Juli verläßt sie ihre Futterpflanze, um flach unter der Erde zu einer gelbbraunen, an der Spitze mit zwei auswärts gerichteten Dörnchen bewehrten Puppe zu werden.

Um Obstbäume gegen den verderblichen Raupenfraß zu schützen, hat sich seit langer Zeit der Theerring oder Schutzgürtel bewährt, wenn er auf die rechte Weise gehandhabt wird, und in Schweden hat man auf einem kleinen Raume achtundzwanzigtausend Weibchen mit demselben abgefangen. Er besteht aus einem handbreiten Papierstreifen, der für den Arbeiter in bequemer Höhe so um die einzelnen Stämme gelegt wird, daß unter ihm kein Weibchen aufwärts kriechen kann. Dieser Gürtel wird mit einem Klebestoffe bestrichen und kleberig erhalten, so lange die Flugzeit dauert. Man wählte hierzu anfangs reinen Kientheer, vertauschte denselben, da er brauchbar schwer zu erlangen war, mit anderen, die Kleberigkeit länger bewahrenden Mischungen, von denen ich unter anderen die von Becker in Jüterbogk unter dem Namen »Brumataleim« in den Handel gekommene als sehr brauchbar selbst geprüft habe. Seitdem man die Kiefernstämme gegen die Spannerraupe antheert (ohne Unterlage eines Papierstreifens), haben sich zahlreiche »Leimsiedereien« in diesem Sinne aufgethan, von denen der von Mützell in Stettin gelieferte »Raupenleim« nach dem Urtheile vieler praktischen Forstleute der beste ist.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 419-420.
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