Pecks und Rossi's Immenbreme (Xenos Peckii, Xenos Rossii)

[502] Die Strepsipteren wurden lange Zeit nur von den Engländern der näheren Betrachtung gewürdigt, bis ihnen von Siebold unter den Deutschen vor nun länger als einem Vierteljahrhunderte seine besondere Aufmerksamkeit schenkte, ihr Wesen mit Eifer studirte und manche den Forschern bis dahin entgangene Wahrheit aufdeckte. Die männlichen Puppen oder die lange verkannten wurmförmigen Weibchen, welche sich beide mit dem Kopfbruststücke zwischen zwei Hinterleibsgliedern gewisser Hautflügler herausbohren, führten zuerst zu der Entdeckung dieser interessanten Kerfe. Bei Andrena, Halictus, Vespa, Odynerus, Polistes, Sphex und Pelopoeus fand man vorzugsweise die Spuren jener Schmarotzer, einen, höchstens zwei an einer Wespe, welche deshalb auch »stylopisirt« genannt wird. Acht bis zehn Tage später, nachdem sich die reise männliche Larve zur Verpuppung aus dem Hinterleibe des Wohnthieres theilweise herausgebohrt hat, hebt sich der vordere Theil des hornig gewordenen schwarzen Kopfbruststückes wie ein Deckelchen ab, und das neugeborene Männchen kommt zum Vorscheine.


Männchen von Pecks Immenbreme (Xenos Peckii), a die verkümmerten Vorderflügel. Rossi's Immenbreme (Xenos Rossii), Weibchen von der Bauchseite. Beide stark vergrößert.
Männchen von Pecks Immenbreme (Xenos Peckii), a die verkümmerten Vorderflügel. Rossi's Immenbreme (Xenos Rossii), Weibchen von der Bauchseite. Beide stark vergrößert.

Ihm sind nur wenige Stunden Lebenszeit vergönnt, welche auf das Begattungsgeschäft verwendet werden. Während dieser kurzen Frist befindet es sich in großer Unruhe, fliegt oder kriecht beständig umher, in welch letzterem Falle gleichwohl die stummelhaften Vorderflügel (a) wie die längsgefalteten, umfangreichen Hinterflügel in steter Bewegung bleiben. Beim Fliegen steht der Körper senkrecht, mit der Spitze nach oben gebogen, so daß sich ein zierliches Bildchen in Fragezeichenform darstellt. Auch beim Kriechen halten sie, wie so häufig die Staphylinen, die Schwanzspitze empor, schreiten wacker mit den vier vorderen Beinen aus, während die hintersten, welche mehr zur Stütze des Hinterleibes zu dienen scheinen, nachgeschleppt werden. Bei Betrachtung dieser sonderbaren Thiere unter Anleitung des abgebildeten Xenos Peckii fallen die unverhältnismäßig großen halbkugeligen Augen mit sehr groben Feldern und die vier- bis sechsgliederigen, meist gegabelten Fühler auf. Um den senkrechten Kopf legt sich in engem Anschlusse der schmale Halsring. Das Mittelbruststück als Träger der verkümmerten Vorderflügel (a) gelangt am wenigsten zur Entwickelung, während der hinterste Ring des Brustkastens zwei Drittel der ganzen Körperlänge einnimmt und von oben und unten die Wurzel des Hinterleibes bedeckt, dort durch einen kegelförmigen Fortsatz, welchen eine Quernaht vom übrigen Hinterrücken trennt. Vorder- und Mittelhüften treten als frei bewegliche, senkrechte Walzen hervor, wogegen die hintersten klein und eingekeilt erscheinen. Schenkel und Schienen sind kurz und breitgedrückt, die Füße nach vorn verbreitet und herzförmig, an der Sohle häutig, aber ohne jede Spur von Krallen. Wenige Adern stützen strahlenartig den an der Wurzel breiten Hinterflügel und geben ihm das Aussehen eines Fächers. Der viergliederige Hinterleib endet in die hakenförmig heraustretenden Geschlechtstheile, welche sich in der Ruhelage nach oben und innen umschlagen. Die leere Puppenhülse, welche in dem versteck ten Theile die weichhäutige Beschaffenheit der Larve beibehielt, bleibt im Wohnthiere sitzen und bildet an dessen Hinterleibe eine klaffende Stelle zwischen zwei Ringen.

Wie bei gewissen Sackträgern unter den Schmetterlingen, so haben die Weibchen der »Immenbremen«, ihren geflügelten, beweglichen Männern gegenüber, einen wesentlich anderen Charakter. Die reife Larve bohrt sich gleichfalls mit dem Kopfbruststücke heraus und ist bereits zur Schwärmzeit des Männchens zum vollkommenen Insekt entwickelt, welches sich aber nur wenig von der Larvenform unterscheidet und an jener Stelle, einen Freier erwartend, stecken bleibt. Wegen dieser Larvenähnlichkeit der Weibchen konnte man lange Zeit hindurch mit der Entwickelungsgeschichte nicht ins Klare kommen, bis dem oben genannten deutschen Forscher der Nachweis gelang, daß es für [503] jene eben keine vollendetere Form gebe. Das Kopfbruststück, bei anderen Arten nach hinten mehr eingeschnürt als bei Rossi's Immenbreme, muß man sich als eine hornige Schuppe denken, welche gegen den übrigen walzenförmigen Körper zurücktritt. Es besitzt an seinem Vorderrande eine halbmondförmige Mundöffnung, welche durch einen engen Schlund in einen weiten, einfachen Darm leitet, dessen blindes Ende fast bis zur Leibesspitze reicht. Dicht hinter dieser Mundöffnung zieht eine Querspalte über das Kopfbruststück, deren Ränder anfangs aneinander schließen, später in Form eines Halbmondes klaffen. Durch diese Spalte, die Geschlechtsöffnung, wird der Zugang zu einem weiten Kanale erschlossen, welcher unter der Haut bis ziemlich zum Leibesende hinläuft und sich durch seine silbergraue Färbung gegen das Weiß des übrigen Hinterleibes scharf abhebt. Derselbe steht mit der übrigen Leibeshöhle durch drei bis fünf nach vorn umgebogene kurze Röhren in Verbindung, welche frei in jene hineinragen und auf unserem Bilde durch die vier lichten Punkte angedeutet werden; von Siebold hat ihn den Brutkanal genannt, weil er später die Brut aufnimmt. Die Entwickelung der Eier, welche sich im ganzen Körper zerstreut finden, geht sehr langsam von statten, erfolgt aber im Leibe der Mutter, und zwar entsteht daraus eine sechsbeinige Larve von gestreckter Körperform, ohne Krallen, aber mit zwei Schwanzborsten und sehr unvollkommenen Freßwerkzeugen ausgerüstet. Diese verläßt den Brutkanal, spaziert auf dem Wohnthiere, der Mutter, umher und wurde früher für einen Schmarotzer des Schmarotzers gehalten. Spätere Beobachtungen haben jedoch gelehrt, daß sich diese Larve ganz ähnlich verhält wie die erste Form der Maiwurmlarve, welche wir (S. 124) kennen lernten, sich in die Nester ihrer Wohnthiere und zwar je eine an eine Larve derselben tragen läßt und sich in diese einbohrt. Hier häutet sich die Strepsipterenlarve nach ungefähr acht Tagen, nimmt Wurmform an, bekommt eine deutliche Mundöffnung mit zwei verkümmerten Kiefern, einen blindsackförmigen Darm ohne Spur von After, besteht zuletzt aus zehn Ringen, von denen der erste und größte das schon mehrfach erwähnte Kopfbruststück bildet. Bei der männlichen Larve, welche in ein Schwanzspitzchen ausgeht, ist dieser gewölbt oder kegelförmig, bei der weiblichen, wie schon erwähnt, platt gedrückt und das Leibesende stumpf. Ebenso, wie sich äußerlich der Unterschied der Geschlechter ausprägt, schreitet auch im Inneren die Entwickelung der Fortpflanzungstheile vor. Sie hält mit der des Wohnthieres so ziemlich gleichen Schritt und liefert einen Beweis dafür, daß es auch hier Schmarotzer geben könne, welche sich ohne Beeinträchtigung ihres Wirtes ausbilden. Bald nachdem die junge Biene oder Wespe die Puppenhülle verlassen hat, kommt die reife Drehflüglerlarve in der früher angegebenen Weise hervor.

Der unvollkommene Zustand der sich fortpflanzenden Weibchen erinnert an die Pädogenesis, das heißt im Kindesalter sich fortpflanzenden Larven gewisser Gallmücken (S. 20). Mit dieser Pädogenesis könnte nun nach von Siebolds Vermuthung bei den Drehflüglern auch die Fähigkeit verbunden sein, ohne vorausgegangene Befruchtung entwickelungsfähige Eier hervorzubringen, von denen vielleicht nur die viel häufigeren, aber sehr kurzlebigen Männchen herrühren. Man hat die bisher bekannt gewordenen Arten nach der Verschiedenheit der Männchen auf vier Gattungen (Xenos, Stylops, Halictophagus, Elenchus) vertheilt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 502-505.
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