Argentinische Fangschrecke (Mantis argentina)

[542] Von der Wildheit und Gefräßigkeit der Fangschrecken (Mantodea), wie man die ganze, hauptsächlich den heißen Erdstrichen angehörige Familie genannt hat, überzeugen sich verschiedene Beobachter. Rösel ließ aus Frankfurt einige Gottesanbeterinnen kommen, um die Paarung zu beobachten. Zu diesem Zwecke sperrte er einzelne Pärchen mit wildem Beifuß oder anderen Pflanzen, auf welchen sie gern sitzen, zusammen, mußte sie aber bald wieder trennen. Denn anfangs saßen sie steif und bewegungslos einander gegenüber, wie Kampfhähne, erhoben aber alsbald ihre Flügel, hieben blitzschnell und in voller Wuth mit den Fangarmen auf einander ein und bissen sich unbarmherzig. Kollar war nicht glücklicher mit demselben Versuche: er fand die Thiere vereinigt neben einander sitzend, wie es die Skorpionfliege auch thut. Hierauf aber verspeiste das Weibchen das Männchen und später noch ein zweites, welches in den Behälter eingesetzt worden war. Hudson saß, wie uns Burmeister berichtet, am Abend zwischen 8 und 9 Uhr vor der Thüre seines Landhauses nahe bei Buenos-Aires, als plötzlich das laute Gekreisch eines Vögelchens (Serpophaga subcristata) von einem benachbarten Baume her seine Aufmerksamkeit auf letzteren lenkte. Er trat näher heran und bemerkte zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß der Vogel an einen Zweig angeklebt zu sein schien und heftig mit den Flügeln flatterte. Um bei der Entfernung und der bereits vorgeschrittenen Dunkelheit der sonderbaren Erscheinung auf den Grund kommen zu können, hatte Hudson eine Leiter herbeigeholt und sah nun, wie sich eine Fangschrecke mit ihren vier hinteren Beinen fest an den Zweig angeklammert und mit den vordersten das Vögelchen so fest umarmt hatte, daß Kopf an Kopf saß. Die Haut des letzteren war bei dem Vogel in Fetzen zerrissen und die Hirnschale angenagt. Hiervon überzeugte sich Burmeister selbst, dem am folgenden Morgen beide Thiere von Hudson sammt dem Berichte überbracht wurden. Der genannte Forscher beschrieb darauf diese Art in beiden Geschlechtern – die Vogelwürgerin war ein Weibchen – als neue fleckenlose Art von 78 Millimeter Länge und lichtgrüner Farbe und gab ihr den Namen: argentinische Fangschrecke (Mantis argentina). Das Männchen hat glashelle, den Hinterleib wenig überragende Flügel mit grünen Adern, wenn man von der gelblichen vorderen Hauptader absieht; das flügellose Weibchen nur stark gegitterte, lederartige Läppchen von [542] 26 Millimeter Länge an Stelle der Decken. Diese Mittheilung stellt also die Thatsache fest, daß Fangschrecken kühn genug sind, um schlafende Vögel zu überrumpeln und zu tödten, auf die Gefahr hin, von ihnen durch ein paar Schnabelhiebe abgefertigt und für fernere Zeiten unschädlich gemacht zu werden.

Die Fruchtbarkeit der Fangschrecken ist ziemlich bedeutend, und die Art, wie das Weibchen seine sehr lang gestreckten Eier in kleinere oder größere Pakete an einen Stengel oder an einen Stein anklebt, nicht ohne Interesse. Die Eier werden ziemlich regelmäßig reihenweise neben einander gestellt und durch eine schleimige Absonderung, welche theils schuppig, theils blätterig erhärtet, mit einander verbunden. Indem das Weibchen ungefähr sechs bis acht Eier in eine Querreihe aneinander stellt und hiermit von unten nach oben fortschreitet, achtzehn bis fünfundzwanzig solcher Reihen vereinigend, so entsteht ein Bündel von Eiern, wie es unsere Abbildung (S. 541) wiedergibt und in welchem sämmtliche Eier mit ihren Kopfenden nach oben oder wenigstens nach außen gerichtet sind, und die in dem verbindenden Schleime wie in einem Fachwerke stecken. Die mehr schuppige Außenseite zeigt seichte Längsfurchen, welche die Kopfenden der Eierreihen markiren. Dergleichen Bündel nehmen an der ebenen Fläche eines Steines eine mehr platte, an dem runden Stengel einer Pflanze eine gewölbte Oberfläche an, mögen sie sich auch in Färbung, Gefüge und Grundform je nach den Arten unwesentlich unterscheiden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 542-543.
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