Aufenthalt in Königsberg vom 15. Januar 1808 bis 10. Dezember 1809

[102] Den 15. Januar 1808 verließen wir Memel und ich begleitete den Hof nach Königsberg. Mein Los fiel sehr glücklich. Ich wurde in das Haus des M.R. Hirsch einquartiert, eine hochachtbare Familie, er das Muster eines ganz seinem Beruf sich hingebenden Arztes, sie das Muster einer guten Hausfrau und Mutter. Ich konnte hier wieder eine Art von häuslichem Leben genießen. – Mein Leben gewann hier wieder mehr Ausdehnung als in Memel. Mehr Umgang, auch wissenschaftlichen mit Gelehrten, mehr am Hofe und mehr Praxis, sowohl mit den Berlinern als den Inländern und Ausländern, die dahin kamen, um mich zu konsultieren, wodurch auch meine Einnahme wieder beträchtlich zunahm. Auch fing ich nun wieder literarische Arbeiten an, so viel ich aus mir allein, ohne Subsidien, machen konnte für mein Journal. Die Beschreibung der deutschen Heilquellen wurde hier gearbeitet; dieser wurden die Frühstunden gewidmet. Die schönste Stunde war abends die Teestunde bei der Königin, und an die Stelle der einsamen Zelle in Memel trat der Familienkreis bei Hirschs.[102]

Viel angenehme Stunden gewährte mir auch der Zirkel beim Minister Schrötter und Frau v. Knoblauch.

Unter den Königsberger Bekanntschaften waren mir die interessantesten die des alten Scheffner und Borowsky. Ersterer durch seinen freien, genialen vielseitig sehr gebildeten Geist. Letzterer durch seinen liebenswürdigen Charakter, reines evangelisches Christentum und echt apostolischen Johannessinn. Ich stärkte mich mit und durch ihn und durch Korrespondenz mit C. immer mehr in echt christlichem Glauben und Gesinnung.

Große Freude schenkte mir der Himmel im letzten Jahre meines Aufenthalts durch die Ankunft Wilhelminens, Eduards, Lauras und Rosalies.

Hier muß ich auch die große Beruhigung und Freude erwähnen, die mir Eduards Betragen und seine Treue im Festhalten an Tugend und Frömmigkeit während der ganzen 3 Jahre meiner Abwesenheit gewährte. Die Mutter reiste mit den Kindern an den Rhein nach Hänlein, während er ganz allein in meinem Hause in Berlin, im 15. Jahre, mitten unter Franzosen, Unordnung, Sittenlosigkeit zurückblieb, wo ich ihn gelassen, um seine Schulstudien nicht zu stören. Ich[103] schrieb ihm: er solle sich in das Haus eines achtbaren Mannes begeben, der Aufsicht auf seine Unerfahrenheit haben und ihn mit Rat unterstützen könne. Er antwortete mir: »Sei meinetwegen unbesorgt, lieber Vater, ich habe einen Vater im Himmel, der die Aufsicht über mich führt.« Und Gott segnete seinen Glauben und hielt seine Hand über ihn.

Ein Hauptgegenstand der Beschäftigung für die Regierung und auch für mich während unseres Aufenthaltes in Königsberg war die neue Organisation des Staates (für mich des Medizinalwesens) und die Errichtung der neuen Universität zu Berlin. Minister Stein, Altenstein und Humboldt waren die dabei Tätigen. Ich wirkte nach Kräften mit, doch, da ich zu wenig Übung im Administrativen hatte, übernahm ich mehr die Stellung als erster wissenschaftlicher Beirat bei dem Minister und überließ Langermann das Administrative. – Aber für die Universität darf ich mir wohl das Verdienst zuschreiben, bei der Frage: wo sie errichtet werden sollte? wesentlich dazu beigetragen zu haben, daß für Berlin entschieden wurde.

Nach dreijähriger Abwesenheit sollte nun am 3. Dezember 1800 die Rückreise nach Berlin angetreten werden. – Ein Hauptabschnitt meines Lebens[104] war geendet; ein neuer sollte begonnen werden. Aber wie? Wie fand er mich? Mein Herz erstorben durch die schmerzhaften, ja vernichtenden Erfahrungen, die es gemacht hatte, völlig gleichgültig, ja abgewendet vom persönlichen irdischen Leben und irdischen Hoffnungen, dagegen mein Geist gewöhnt im Höheren zu leben und da allein seine Rettung und sein Glück zu finden – also eine völlig klösterliche Stimmung, die größte Sehnsucht, mich in die Stille zurückzuziehen und bloß der höheren geistigen Welt und der Wissenschaft zu leben. Dazu kam, daß alle meine praktischen Verhältnisse in Berlin zerrissen waren und ich von neuem wieder hätte anfangen müssen sie anzuknüpfen, was mir jetzt sehr schwer und doch zum Unterhalt meiner Kinder nötig gewesen wäre. So auch meine zunehmende Augenschwäche, besonders die Lichtscheu des Abends, die mir das Praktizieren kaum möglich machte. Das alles bestimmte mich zu der Erklärung: daß es mir unmöglich sei, bei meiner jetzigen Lage in mein früheres Verhältnis zurückzukehren, daß es mir am liebsten sein würde, bei einer mäßigen Pension mich ganz aus dem Dienst zurückzuziehen, und daß, wenn man mich darin behalten wollte, es nur unter der Bedingung geschehen könne, daß man meinen Gehalt so stellte, daß ich in[105] Berlin ohne Nahrungssorgen, ohne die Notwendigkeit einer ausgedehnten Praxis, rein dem königlichen Hause, der Wissenschaft und vorzüglich dem Lehramte der neuen Universität leben könnte. – Das wurde erfüllt. Ich erhielt als Staatsrat bei dem Medizinalministerium 3000 Taler, als Leibarzt 1600 Taler und so mußte das Unglück jener 3 Jahre dazu dienen, mir für die Zukunft ein sorgenfreies, meinem mehr wissenschaftlichen Streben angemessenes Leben zu sichern. – So wendete auch hier wieder Gott alles zu meinem Besten, und ich fühlte lebhaft, daß denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.

Quelle:
Hufeland. Leibarzt und Volkserzieher. Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland. Stuttgart 1937, S. 102-106.
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