Elfter Anuvâka (Atharva-Rez. 11).

[249] Dieser Abschnitt, welcher der ganzen Upanishad den Namen gegeben hat, feiert, mit vielfacher Anlehnung an das Purusha-Lied Ṛigv. 10,90,[249] den Âtman als Nârâyaṇa, worunter der Purusha, nicht als Urprinzip sondern als Erstgeborner der Schöpfung (Gesch. d. Phil. I, 153), zu verstehen ist, mag man Nârâyaṇa mit Manu 1,10 (und so wohl schon Taitt. Âr. 3,13,1 = Vâj. Samh. 31,17) als »den auf den [Ur-]Wassern gehenden«, oder richtiger als »den Sohn des [Ur-]Menschen (nara, purusha)« erklären. Neben dem Purusha-Hymnus Ṛigv. 10,90 und seiner Fortbildung im Uttaranârâyaṇam (Taitt. Âr. 3,13 = Vâj. Samh. 31,17-22) bildet unser Abschnitt das dritte Hauptdenkmal in der Geschichte des (mehr und mehr mit Vishṇu identifizierten) Nârâyaṇa; und wie das Uttaranârâyaṇam auf der Grenze zwischen der Philosophie der Hymnen und der der Upanishad's steht (vgl. unsre Besprechung desselben Gesch. d. Phil. I, 289 fg)., so bildet wiederum der gegenwärtige Anuvâka den Übergang von den Upanishad's des Dreiveda, auf welche sich mehrfach unverkennbare Rückbeziehungen finden, zu den Atharva-Upanishad's; die Schilderung des Nârâyaṇa als Spitzflamme im Herzen tritt schon ganz in der Weise von Yogaçikhâ- und Yogatattva-Up. auf, während die Mahâ-Up. ganze Verse und Versteile aus unserm Abschnitte entlehnt hat.


1. Den tausendhäupt'gen Gott [preis' ich],

Allaugigen33, allheilvollen,

Nârâyaṇa, der All, Gott, Herr,

Das höchste Unvergängliche,


2. Höchsten des Alls, das All selber,

Ew'gen, Nârâyaṇa, Hari;

Ja, Purusha ist dies Weltall34,

Davon das All sein Leben hat.


3. Des Alls Herrscher, Herrn des Âtman,

Ewig selig (çiva), unwandelbar,

Nârâyaṇa, gross-erkennbar35,

Allbeseelend und höchstes Ziel.


4. Nârâyaṇa ist das Licht jenseits36,

Nârâyaṇa das höchste Selbst,

Nârâyaṇa das höchste Brahman,[250]

Die Wesenheit, der Höchste ist,

Nârâyaṇa höchster Denker,

Als Denkobjekt37 der höchste auch.


5. Alles was ist, das Weltganze,

Was sichtbar und was hörbar ist,

Dies alles aussen und innen

Umfasst38, durchdringt39 Nârâyaṇa


6. Unendlich, ewig, voll Weisheit,

Des Meers40 Ende, allheilbringend;

Als Herz dem Lotoskelch ähnlich41,

Dessen Spitze nach unten geht,


7. Wohnt eine Spanne unter'm Hals,

Eine über dem Nabel er42,

Wo er im Strahlenkranz leuchtet43,

Des Weltalls grosser Stützepunkt.


8. Es hängt, von Adern umsponnen,

Herab, fast (â) wie ein Blütenkelch,

Darinnen ein kleiner Hohlraum44,

In dem beruht das Weltenall.


9. Und in ihm flammt ein gross Feuer45,

Strahlend nach allen Seiten hin,

Das isst zuerst und verteilt dann

Die Nahrung, weise, alternd nicht.[251]

Seitwärts, nach oben und unten

Breiten sich seine Strahlen aus.


10. Den Leib, in dem es wohnt, wärmt es

Von der Fusssohle bis zum Haupt.

In der Mitt' eine Spitzflamme,

Atomhaft fein, nach oben strebt,


11. Glanzvoll wie mitten aus schwarzen

Wolken des Blitzes Linie,

Fein wie das Haar der Reis-Ähre,

Gelbglänzend, dem Atome gleich.


12. Inmitten dieser Spitzflamme

Die höchste Weltenseele thront46,

Das ist Brahman, Çiva, Hari47, Indra,

Der ewige, der höchste Herr.48

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 249-252.
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