Fünftes Capitel.

Naturgeschichte der Veränderungen in der Bedeutung der Wörter.

[251] §. 1. Nicht bloss in der vorhin angegebenen Weise, nämlich durch allmälig eintretende Unachtsamkeit auf die davon getragenen Ideen, verlieren die Wörter ihre Bedeutung. Die Wahrheit ist, dass die Mitbezeichnung solcher Wörter sich fortwährend ändert; wie dies von der Weise, in der die Wörter beim gewöhnlichen Gebrauch ihre Mitbezeichnung erhalten, zu erwarten ist. Ein wissenschaftlicher Ausdruck, der zu Zwecken der Kunst oder Wissenschaft erfunden wurde, hat vor Allem die ihm von seinem Erfinder gegebene Bedeutung; aber ein Name, der in eines Jeden Mund ist, ehe Jemand daran denkt, ihn zu definiren, erhält seine Bedeutung nur aus den Umständen, welche gewöhnlich vor den Geist treten, wenn er ausgesprochen wird. Unter diesen Umständen nehmen natürlich diejenigen Eigenschaften, welche den durch den Namen bezeichneten Dingen gemein sind, einen der ersten Plätze ein; und sie würden den Platz allein einnehmen, wenn die Sprache mehr durch Uebereinkunft, als durch Gewohnheit und Zufall geregelt würde. Aber ausser diesen gemeinschaftlichen Eigenschaften, welche, wenn sie existiren, nothwendig vorhanden sind, wenn der Name angewendet wird, kann ein jeder andere Umstand sich zufällig mit ihm zusammen finden, und zwar so häufig, dass er sich in derselben Weise und so stark damit associirt, wie die gemeinschaftlichen Eigenschaften selbst. Im Verhältniss als sich diese Association bildet, wird der Gebrauch des Namens in denjenigen Fällen, worin jene zufälligen Eigenschaften nicht existiren, aufgegeben. Man zieht vor, irgend einen andern Namen oder denselben Namen mit einem Zusatz zu[251] gebrauchen, ehe man einen Ausdruck gebraucht, welcher nothwendig eine Idee erregen wird, die man nicht erregen will. Der ursprünglich zufällige Umstand wird auf diese Weise in der Regel zu einem Theil der Mitbezeichnung des Wortes.

Diese fortwährende Einverleibung von ursprünglich zufälligen Umständen in die beständige Bedeutung des Wortes ist die Ursache, dass es so wenig genaue Synonyme giebt. Sie ist es, welche die lexicalische Bedeutung eines Wortes zu einem so unvollkommenen Exponenten der wirklichen Bedeutung macht. Die lexicalische Bedeutung wird in einer breiten, plumpen Weise angegeben, und schliesst wahrscheinlich Alles ein, was ursprünglich für den richtigen Gebrauch des Ausdrucks nöthig war; aber im Verlauf der Zeiten hängen sich dem Worte so viele collaterale Associationen an, dass, wenn es Jemand versuchen würde, das Wort ohne eine andere Hülfe, als die des Wörterbuches, zu gebrauchen, er tausend schöne Distinctionen und feine Schattirungen in der Bedeutung, worauf Wörterbücher keine Rücksicht nehmen, verwechseln würde, wie wir es bei dem Gebrauche der Sprache in der Unterhaltung oder in der Schrift eines Fremden, welcher derselben nicht ganz mächtig ist, bemerken. Die Geschichte eines Wortes, indem sie die Ursachen nachweist, welche den Gebrauch des Wortes bestimmten, ist in diesen Fällen eine bessere Anleitung zu dessen Gebrauch, als eine jede Definition; denn die Definitionen können nur seine Bedeutungen zu einer besonderen Zeit, oder höchstens die Reihe seiner successiven Bedeutungen zeigen, während die Geschichte das Gesetz zeigen kann, durch das die Succession hervorgebracht wurde. Das englische Wort Gentleman z.B., für dessen richtigen Gebrauch kein Wörterbuch eine Hülfe bietet, bezeichnete ursprünglich einen Menschen, der mit einem Rang geboren wurde. Allmälig mitbezeichnete es alle Eigenschaften oder zufälligen Umstände, welche man gewöhnlich bei Personen von diesem Rang fand. Diese Betrachtung erklärt auf einmal, warum es in einer seiner gewöhnlichen Bedeutungen jemand bezeichnet, der nicht von Arbeit lebt, in einer anderen jemand, der nicht von der Handarbeit lebt, und warum es in seiner höheren Bedeutung in einem jeden Jahr hundert das Benehmen, den Charakter, die Gewohnheiten und die äussere Erscheinung, bei wem sie sich auch fanden, bezeichnet hat, welche zufolge der Ideen dieses Jahrhunderts den Personen,[252] welche in einer hohen gesellschaftlichen Stellung geboren und erzogen waren, angehören.

Es kommt fortwährend vor, dass von zwei Wörtern, deren lexicalische Bedeutung fast einerlei oder nur wenig verschieden ist, das eine das geeignete Wort für eine Reihe von Umständen, und das andere es für eine andere Reihe ist, ohne dass es möglich wäre zu zeigen, wie die Gewohnheit, sie so zu gebrauchen, ursprünglich entstanden ist. Der Zufall, dass das eine und nicht das andere der Wörter bei einer besonderen Gelegenheit und in einem besonderen socialen Kreise gebraucht worden ist, genügt, um eine so starke Association zwischen dem Worte und einer Specialität von Umständen hervorzubringen, dass die Menschen den Gebrauch desselben in einem jeden andern Falle verlassen, und dass die Specialität zu einem Theil seiner Bedeutung wird. Die Fluth der Gewohnheit treibt das Wort an das Ufer einer besondern Bedeutung, dann zieht sie sich zurück und lässt es da zurück.

Ein Beispiel dieser Art ist die merkwürdige Veränderung, welche in der englischen Sprache wenigstens das Wort Loyalität in seiner Bedeutung erfahren hat. Dieses Wort bedeutete ursprünglich in der englischen Sprache, was es in der Sprache, woraus es stammt, noch bedeutet, ehrliche, offene Handlungsweise und Treue gegen Verpflichtungen; in diesem Sinne war die Eigenschaft, welche es ausdrückte, ein Theil des idealen ritterlichen Charakters. Ich bin in der Geschichte der Hofsprache nicht genug bewandert, um sagen zu können, durch welchen Process es auf den einzelnen Fall der Treue gegen den Thron beschränkt worden ist. Der Unterschied zwischen einem loyalen Ritter und einem loyalen Unterthan ist aber gewiss sehr gross. Ich kann nur annehmen, dass das Wort zu einer gewissen Zeit der Lieblingsausdruck bei Hofe war, um die Eidestreue auszudrücken, bis zuletzt diejenigen, welche von irgend einer andern und, wie sie wahrscheinlich glaubten, geringeren Sorte von Treue sprechen wollten, entweder nicht wagten, einen so würdevollen Ausdruck zu gebrauchen, oder passend fanden, einen andern zu gebrauchen, um zu vermeiden, dass man sie missverstehe.

§. 2. Die Fälle sind nicht selten, wo ein Umstand, der zufällig der Bedeutung eines Wortes, das ursprünglich in keiner Beziehung[253] zu ihm stand, einverleibt wurde, mit der Zeit die ganze ursprüngliche Bedeutung bei Seite schiebt und nicht bloss zu einem Theil der Bedeutung, sondern zu dem Ganzen derselben wird. Dies zeigt sich bei dem Worte Heide, paganus (engl. pagan), welches seiner Etymologie nach ursprünglich einen Dorfbewohner, den Bewohner eines pagus oder Dorfes bezeichnete. Zur Zeit als sich das Christenthum über das römische Reich ausbreitete, waren die Anhänger der alten Religion und die Dorfbewohner oder das Landvolk fast einerlei Menschen, indem die Städtebewohner zuerst bekehrt wurden, so wie ja auch in unseren Tagen, wie zu allen Zeiten, die grössere Lebhaftigkeit des gesellschaftlichen Verkehrs diese am ersten für neue Meinungen und Moden empfänglich macht, während sich alte Gewohnheiten und Vorurtheile am längsten bei dem Landvolke hinschleppen; nicht zu erwähnen, dass die Städte unmittelbarer unter dem Einfluss der Regierung standen, welche zu jener Zeit das Christenthum angenommen hatte. Durch diese zufällige Coincidenz erregte das Wort paganus immer beständiger die Idee eines Verehrers der alten Gottheiten; bis am Ende seine Erregung dieser Idee so stark wurde, dass diejenigen, welche sie nicht erregen wollten, das Wort zu gebrauchen vermieden. Als aber zuletzt paganus Heidenthum mitbezeichnete, da hatte man bei dem Gebrauch des Wortes auf den in Beziehung auf jene Thatsache sehr unwichtigen Umstand des Aufenthalts der Heiden bald nicht mehr Acht. Da es selten eine Gelegenheit für eine Unterscheidung von Heiden gab, welche auf dem Lande lebten, so bedurfte man zu deren Bezeichnung keines besonderen Wortes und paganus wurde überhaupt und ausschliesslich gleichbedeutend mit Heide.157

Diese und ähnliche Fälle, wo die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes ganz verloren ging – indem zuerst eine andere ganz verschiedene Bedeutung auf die erste aufgepfropft wurde und zuletzt an deren Stelle trat –, bieten Beispiele von der doppelten Bewegung dar, welche in der Sprache fortwährend stattfindet; die eine dieser entgegengesetzten Bewegungen ist ein Generalisiren, wodurch die Wörter fortwährend Theile ihrer Bedeutung verlieren, und dadurch eine allgemeinere Bedeutung erhalten;[254] die andere ist ein Specialisiren, durch welches andere oder sogar dieselben Wörter fortwährend eine neue Mitbezeichnung erhalten, eine neue Bedeutung dadurch erlangen, dass sie bei ihrem Gebrauch nur auf einen Theil der Fälle beschränkt werden, bei welchen sie vorher füglich hätten gebraucht werden können. Diese doppelte Bewegung ist von hinreichender Wichtigkeit in der Naturgeschichte der Sprache (mit welcher Naturgeschichte die künstlichen Modificationen immer in einem gewissen Grade in Beziehung stehen sollten), um es zu rechtfertigen, dass wir ein wenig länger bei der Natur dieses doppelten Phänomens und den Ursachen, welchen es seine Existenz verdankt, verweilen.

§. 3. Indem wir mit der generalisirenden Bewegung beginnen, ist es unnöthig, bei denjenigen Veränderungen in der Bedeutung der Namen zu verweilen, welche dadurch entstehen, dass Personen, welche die angenommene Bedeutung des Wortes nicht ganz verstanden haben, es unwissend in einem lockeren und weiteren Sinne gebrauchen, als ihm zukommt. Es ist dies indessen eine wirkliche Quelle von Veränderungen der Sprache; denn wenn ein Wort oft in Fällen gebraucht wird, wo eine der damit bezeichneten Eigenschaften fehlt, so erregt es die Idee jener Eigenschaft nicht mehr mit Gewissheit, und sogar diejenigen, welche sich in dem richtigen Gebrauche des Wortes nicht irren, ziehen dann vor, die Bedeutung in einer andern Weise auszudrücken, und überlassen das ursprüngliche Wort seinem Schicksal. Das Wort Pfarrer, um damit nicht den Vorsteher einer Pfarre, sondern einen Geistlichen im allgemeinen zu bezeichnen; das Wort Künstler (Artist), womit man ursprünglich einen Bildhauer oder einen Maler bezeichnete, sind hierher gehörige Fälle. Unabhängig von der Verallgemeinerung der Namen durch den Missbrauch aus Unwissenheit besteht indessen in derselben Richtung eine Neigung zur Veränderung, welche sich mit der vollkommensten Kenntniss der Bedeutung der Wörter verträgt, und welche aus der Thatsache hervorgeht, dass sich die Anzahl der uns bekannten Dinge, von denen wir das Verlangen haben zu sprechen, schneller vermehrt, als die Namen dafür. Im allgemeinen ist es sehr schwierig, einen neuen Namen in Gebrauch zu bringen; ausgenommen für Gegenstände, für welche eine wissenschaftliche Terminologie besteht, um die sich indessen[255] unwissenschaftliche Leute nicht bekümmern; und unabhängig von dieser Schwierigkeit ist es ganz natürlich, wenn man vorzieht, einem neuen Gegenstand einen Namen zu geben, welcher wenigstens seine Aehnlichkeit mit etwas bereits Bekanntem ausdrückt, da wir durch Prädiciren eines ganz neuen Namens von ihm anfänglich keine Information mittheilen. Auf diese Weise wird der Name einer Species oft zum Namen einer Gattung, wie z.B. die Wörter Salz oder Oel, wovon das erste ursprünglich Chlornatrium, das letztere, wie seine Etymologie zeigt, nur Olivenöl bezeichnete; gegenwärtig bezeichnen sie aber grosse und unterschiedene Classen von Substanzen, welche jenen in einigen ihrer Eigenschaften ähnlich sind, und mitbezeichnen nur jene gemeinschaftlichen Eigenschaften anstatt des Ganzen der unterscheidenden Eigenschaften des Olivenöls und Seesalzes. Die Wörter Glas und Seife werden in der neuem Chemie in einer ähnlichen Weise gebraucht, um Gattungen zu bezeichnen, deren Substanzen in gemeiner Sprechweise einfache Species sind. Oft behält, wie in diesen Fällen, der Ausdruck neben der allgemeinen Bedeutung auch noch seine specielle und wird zweideutig, d.h. wird zu zwei Namen statt zu einem.

Die Veränderungen, wodurch die Wörter beim Gebrauche immer mehr verallgemeinert und weniger ausdrucksvoll werden, finden in einem noch höheren Grade bei den Wörtern statt, welche die verwickelten Phänomene des Geistes und der Gesellschaft ausdrücken. Geschichtschreiber, Reisende und im allgemeinen alle diejenigen, welche über geistige und sociale Phänomene sprechen oder schreiben, mit denen sie nicht genau bekannt sind, bewirken diese Modification der Sprache. Mit Ausnahme von ungewöhnlich unterrichteten und denkenden Personen ist das Wörterbuch von allen in Beziehung auf solche Gegenstände sehr arm. Sie besitzen eine kleine Anzahl von Wörtern, an welche sie gewöhnt sind, und welche sie gebrauchen, um die heterogensten Phänomene auszudrücken, weil sie die Thatsachen, denen diese Wörter in ihrem eigenen Lande entsprechen, niemals hinreichend analysirt haben, um mit den Wörtern vollkommen bestimmte Ideen verbinden zu können. Die ersten englischen Eroberer von Bengalen z.B. nahmen die Phrase Landbesitzer (Gutsbesitzer) in ein Land mit, wo die Rechte des Individuums auf den Boden dem Grade und sogar der Natur nach äusserst verschieden von den in England anerkannten[256] Rechten waren. Indem sie bei einem solchen Zustande der Dinge den Ausdruck mit allen seinen englischen Associationen anwandten, gaben sie dem einen, der nur ein beschränktes Recht hatte, ein absolutes; dem andern nahmen sie alles Recht, weil er kein absolutes hatte, trieben ganze Classen von Menschen zu Untergang und Verzweiflung, füllten das Land mit Räubern an, schufen ein Gefühl, dass Nichts sicher sei, und riefen bei den besten Absichten eine Desorganisation der Gesellschaft hervor, welche die grösste Unbarmherzigkeit barbarischer Invasionen nicht hervorrufen konnte. Der Gebrauch der Wörter durch Personen, welche eines so groben Missverständnisses fähig sind, bestimmt indessen die Bedeutung der Sprache; die Wörter, welche sie in dieser Weise missbrauchen, nehmen an Allgemeinheit zu und die Unterrichteteren sind zuletzt gezwungen, sich darein zu schicken und diese Wörter (indem sie dieselben zuerst von Unbestimmtheit dadurch befreien, dass sie ihnen eine bestimmte Mitbezeichnung unterlegen) als generische Ausdrücke zu gebrauchen, indem sie die Genera in Species unterabtheilen.

§. 4. Während also die schnellere Zunahme der Ideen fortwährend die Nothwendigkeit erzeugt, denselben Namen, wenn auch unvollkommen, auf eine grössere Anzahl von Fällen anzuwenden, findet eine entgegengesetzte Operation Statt, durch welche die Namen im Gegentheil auf weniger Fälle beschränkt werden, indem sie aus Umständen, welche ursprünglich nicht in der Bedeutung eingeschlossen lagen, aber durch eine zufällige Ursache im Geiste damit verknüpft worden sind, eine neue Mitbezeichnung erhalten. Wir haben oben am Worte paganus ein merkwürdiges Beispiel sowohl der Specialisirung eines Wortes nach zufälligen Associationen, als auch der oft darauf folgenden Generalisation in einer neuen Richtung gesehen.

Aehnliche Specialisirungen kommen sogar in der Geschichte der wissenschaftlichen Nomenclatur häufig vor. »Es ist keineswegs ungewöhnlich,« sagt Dr. Paris in der geschichtlichen Einleitung zu seiner Pharmacologie, »dass ein Wort, welches gebraucht wird, um allgemeine Charaktere auszudrücken, zum Namen einer besondern Substanz wird, in welcher diese Charaktere vorherrschend sind, und wir werden finden, dass einige wichtige Anomalien in der[257] Nomenclatur auf diese Weise erklärt werden können. Der Ausdruck Arsenikon, wovon das Wort Arsenik herkommt, war ein altes Epitheton für solche Substanzen, welche starke und scharfe Eigenschaften besassen, und da man fand, dass die giftigen Eigenschaften des Arseniks sehr stark waren, so wurde der Ausdruck ganz besonders für das Orpiment gebraucht, die Form, in welcher dieses Metall am gewöhnlichsten vorkam. So bezeichnete der Ausdruck verbena (gleichsam herbena) alle Kräuter, welche man ihrer Verwendung bei den Opfern wegen für heilig hielt, wie wir von den Dichtern lernen; da aber vorzüglich ein Kraut für diese Gebräuche verwendet wurde, so bezeichnete das Wort verbena nach und nach dieses eine besondere Kraut, dessen Kenntniss uns unter diesem Namen überliefert wurde, und es genoss bis auf unsere Tage den Ruf eines Heilmittels, welchen sein heiliger Ursprung auf uns übertrug, indem man es als Amulet um den Hals trug. Vitriol bezeichnete in der ursprünglichen Bedeutung eines jeden Körper mit einem gewissen Grad von Durchsichtigkeit (vitrum), und es ist kaum nöthig zu bemerken, dass der Ausdruck gegenwärtig eine besondere Species bezeichnet. In derselben Weise bezeichnete das Wort Opium als ein generischer Ausdruck ursprünglich jeden Saft überhaupt (opos, succus), während es gegenwärtig nur eine Species, den des Mohns bezeichnet. So wurde das Wort Elaterium von Hippokrates gebraucht, um verschiedene innere Heilmittel, insbesondere purgirende, von einer heftigen und drastischen Natur (von elaunô, agito, moveo, stimulo) zu bezeichnen; von den späteren Autoren wurde es jedoch ausschliesslich angewendet, um die wirksame Substanz zu bezeichnen, welche aus dem Safte der wilden Gurke gewonnen wird. Das Wort Fecula bedeutete ursprünglich jede Substanz; welche sich freiwillig aus einer Flüssigkeit absetzt (von faex, der Grund oder Satz einer jeden Flüssigkeit), später wurde es auf die Stärke angewendet, welche sich absetzt, wenn man Weizenmehl mit Wasser umrührt, und zuletzt wurde es auf ein besonderes vegetabilisches Princip angewendet, welches, wie die Stärke, unlöslich in kaltem, dagegen vollständig löslich in kochendem Wasser ist, mit dem es eine gelatinöse Lösung bildet. Die unbestimmte Bedeutung des Wortes fecula hat in der pharmaceutischen Chemie unzählige Missverständnisse hervorgerufen; vom Elaterium z.B. sagt man, es sei fecula,[258] und in dem ursprünglichen Sinne des Wortes wird es mit Recht so genannt, insofern es durch freiwilliges Absetzen aus einem Pflanzensaft erhalten wird, aber in der beschränkten und neueren Bedeutung des Wortes erregt es eine irrige Idee, denn statt des in der fecula sitzenden wirksamen Princips des Saftes, ist es ein besonderes näheres Princip sui generis, welchem ich mir erlaubte den Namen Elatin zu geben. Aus demselben Grunde ist die Bedeutung des Wortes Extract von vielem Zweifel und Dunkel umgeben, denn es wird im allgemeinen auf jede Substanz angewendet, welche durch Verdampfen einer vegetabilischen Lösung erhalten wird, und specifisch auf ein besonderes näheres Princip, das gewisse Charaktere besitzt, durch welche es sich von einem jeden anderen elementaren Körper unterscheidet«.

Ein generischer Ausdruck kann auf diese Weise auf eine einzige Species, und sogar auf ein Individuum beschränkt werden, wenn die Menschen Gelegenheit haben, öfter von dieser Species oder von diesem Individuum zu sprechen, als von etwas Anderem, was in dem genus enthalten ist. So wird ein Kutscher unter Thieren Pferde verstehen; in der Sprache des Ackerbauers bedeutet das Wort Vieh Ochsen, und der Ausdruck Vögel bedeutet bei manchen Jägern nur Rebhühner. Das in diesen trivialen Fällen wirkende Sprachgesetz ist ganz dasselbe, nach welchem das Christenthum die Ausdrücke Theos, Deus, und Gott von dem Polytheismus annahm, um den alleinigen Gegenstand der eigenen Anbetung auszudrücken. Fast die ganze Terminologie der christlichen Kirche besteht aus Wörtern, welche früher in einer allgemeineren Bedeutung gebraucht wurden: Ecclesia, Versammlung; Bischof, Episcopus, Aufseher; Priester, Presbyter, Aeltester; Decan, Diaconus, Verwalter; Sacrament, ein Gelübde der Lehenspflicht [der Fahneneid]; Evangelium, gute Nachrichten; und einige andere Wörter, wie Minister, werden noch in dem allgemeinen sowohl, wie in dem beschränkten Sinne gebraucht. Es wäre interessant die Stufen nachzuweisen, über die das Wort Autor dazu gelangt ist, einen Schriftsteller zu bezeichnen, sowie das Wort poiêtês (oder Macher) einen Poeten oder Dichter.

Von Fällen, in welchen in die Bedeutung eines Wortes Umstände einverleibt wurden, die in einer früheren Periode zufällig[259] damit im Zusammenhang standen, wie bei dem Worte paganus, könnte man leicht sehr viele anführen. Physicus (physikos, oder Naturforscher) wurde synonym mit Heilkünstler, weil in früheren Zeiten die Aerzte die einzigen Naturforscher waren. Cleriker oder Clericus, ein Gelehrter, bezeichnete zuletzt einen Geistlichen, weil während vieler Jahrhunderte die Geistlichen die alleinigen Gelehrten waren.

Die Neigung, sich durch Association an Alles zu hängen, womit sie einmal im Zusammenhang standen, haben indessen am meisten die Ideen unserer Freuden und unserer Schmerzen, oder der Dinge, welche wir gewöhnlich als Quellen unserer Freuden und unserer Schmerzen betrachten. Die neue Mitbezeichnung, welche daher ein Wort am ehesten und bereitwilligsten annimmt, ist die einer Annehmlichkeit oder einer Unannehmlichkeit in ihren verschiedenen Arten und Graden; die, ein gutes oder ein böses Ding zu sein; wünschenswerth oder nicht wünschenswerth, ein Gegenstand des Hasses, der Furcht, der Verachtung, der Bewunderung, der Hoffnung oder der Liebe zu sein. Es giebt demnach kaum einen einzigen Namen, der eine moralische oder sociale Thatsache ausdrückt, die darauf berechnet ist, einen starken Affect von einer günstigen oder von einer feindseligen Natur hervorzurufen der nicht entschieden und unwiderstehlich eine Mitbezeichnung dieser starken Affecte oder wenigstens des Lobes oder des Tadels enthielte; dergestalt, dass der Gebrauch dieser Namen in Verbindung mit anderen Namen, durch welche die entgegengesetzten Gefühle ausgedrückt werden, die Wirkung eines Paradoxon, oder sogar einer contradictio in adjecto, eines Widerspruchs in den Worten hervorbringen würde. Die verderbliche Wirkung der so erlangten Mitbezeichnungen auf unsere Schlüsse und Denkgewohnheiten ist bei vielen Gelegenheiten von Bentham nachgewiesen worden. Sie erzeugt Trugschlüsse von »die Frage zum Satz erhebenden Namen«. Die Eigenschaft, von der wir untersuchen wollen, ob sie ein Ding besitzt oder nicht, hat sich mit dem Namen des Dinges so vergesellschaftet, dass sie ein Theil seiner Bedeutung geworden ist, so dass wir durch das blosse Aussprechen des Namens den Punkt voraussetzen, der noch zu beweisen war; eine der häufigsten Quellen von, dem Anscheine nach, selbstverständlichen Urtheilen.[260]

Ohne noch mehr Fälle anzuführen, um die Veränderung zu erläutern, welche der Gebrauch fortwährend in der Bedeutung der Wörter hervorbringt, will ich als eine praktische Regel noch hinzufügen, dass der Logiker, da er nicht im Stande ist, solche Veränderungen zu verhindern, sich ihnen gutwillig unterwerfen sollte, nachdem sie unwiderruflich Statt gefunden haben, und dass, wenn eine Definition nöthig ist, er das Wort nach seiner neuen Bedeutung definiren sollte; indem er die frühere als eine zweite Bedeutung beibehält, wenn es nöthig und Aussicht vorhanden ist, sie der philosophischen Sprache oder dem gemeinen Gebrauche zu bewahren. Die Logiker können nur die Bedeutung von wissenschaftlichen Ausdrücken machen, die aller anderen Wörter wird durch das gesammte menschliche Geschlecht gemacht. Aber die Logiker können genau ermitteln, was dunkel wirkend den Geist der Menschen zu dem besonderen Gebrauch eines Wortes geführt hat; und wenn sie dies gefunden haben, so können sie es in so klare und bleibende Worte kleiden, dass die Menschen die Bedeutung, welche sie vorher nur fühlten, nun sehen, und dass sie dieselbe nunmehr nicht in Vergessenheit gerathen oder missverstehen lassen werden.[261]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 2, Braunschweig 31868, S. 251-262.
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