71

[626] Der Weise als Astronom. – Solange du noch die Sterne fühlst als ein »Über-dir«, fehlt dir noch der Blick des Erkennenden.


72

Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.


73

Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe hinaus.


73a

Mancher Pfau verdeckt vor aller Augen seinen Pfauenschweif – und heißt es seinen Stolz.


74

Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei dazu besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.


75

Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.
[626]


76

Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her.


77

Mit seinen Grundsätzen will man seine Gewohnheiten tyrannisieren oder rechtfertigen oder ehren oder beschimpfen oder verbergen – zwei Menschen mit gleichen Grundsätzen wollen damit wahrscheinlich noch etwas Grund-Verschiednes.


78

Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.


79

Eine Seele, die sich geliebt weiß, aber selbst nicht liebt, verrät ihren Bodensatz – ihr Unterstes kommt herauf.


80

Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns etwas anzugehn. – Was meinte jener Gott, welcher anriet: »Erkenne dich selbst!« Hieß es vielleicht: »Höre auf, dich etwas anzugehn! werde objektiv!« – Und Sokrates? – Und der »wissenschaftliche Mensch«? –

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 626-627.
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