161

[638] Die Dichter sind gegen ihre Erlebnisse schamlos: sie beuten sie aus.


162

»Unser Nächster ist nicht unser Nachbar, sondern dessen Nachbar« – so denkt jedes Volk.


163

Die Liebe bringt die hohen und verborgnen Eigenschaften eines Liebenden ans Licht – sein Seltnes, Ausnahmsweises: insofern täuscht sie leicht über das, was Regel an ihm ist.


164

Jesus sagte zu seinen Juden: »das Gesetz war für Knechte – liebt Gott, wie ich ihn liebe, als sein Sohn! Was geht uns Söhne Gottes die Moral an!« –


165

Angesichts jeder Partei. – Ein Hirt hat immer auch noch einen Leithammel nötig – oder er muß selbst gelegentlich Hammel sein.


166

[638] Man lügt wohl mit dem Munde, aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch noch die Wahrheit.


167

Bei harten Menschen ist die Innigkeit eine Sache der Scham – und etwas Kostbares.


168

Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster.


169

Viel von sich reden kann auch ein Mittel sein, sich zu verbergen.


170

Im Lobe ist mehr Zudringlichkeit als im Tadel.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 638-639.
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Jenseits von Gut und Böse
Jenseits von Gut und Böse: Vorspiel einer Philosophie der Zukunft
Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
Jenseits von Gut und Böse: Mit der Streitschrift 'Zur Genealogie der Moral' (insel taschenbuch)
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