1. Kapitel. Die humanistische Periode.

  • [294] Literatur: JAC. BURCKHARDT, Die Kultur der Renaissance in Italien 4. Aufl. Leipzig 1886.
    MOR. CARRIÈRE, Die philosophische Weltanschauung der Reformationszeit. 2. Aufl. Leipzig 1887.
    A. STÜCKL, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, dritter Band. Mainz 1866.
    C. FIORENTINO, Il risorgimento filosofico nel quattrocento. Neapel 1885.
    W. DILTHEY, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrh. (Arch. Gesch. d. Phil. IV u. V).

Die Kontinuität in der geistigen Entwicklung der europäischen Menschheit tritt an keinem Punkte so merkwürdig zu Tage wie in der Renaissance. Zu keiner Zeit vielleicht ist das Bedürfnis nach etwas völlig Neuem, nach einer totalen und radikalen Umgestaltung nicht nur des Erkenntnislebens, sondern auch des ganzen Zustandes der Gesellschaft so lebhaft gefühlt, so mannigfach und so leidenschaftlich zum Ausdruck gebracht worden wie damals, und keine Zeit hat so viele, so abenteuerliche, so weitfliegende Neuerungsversuche erlebt wie diese: und doch, wenn man genau zusieht und sich weder durch das groteske Selbstbewußtsein noch durch die naive Großsprecherei täuschen läßt, welche in dieser Literatur an der Tagesordnung sind, so zeigt sich, daß das ganze vielgestaltige Treiben sich im Rahmen der antiken und der mittelalterlichen Traditionen abspielt und nur mit dunklem Drange einem mehr geahnten als klar begriffenen Ziele zustrebt. Erst das 17. Jahrhundert hat die Ausgärung und Abklärung der so miteinander ringenden Gedankenmassen gesehen.

Das wesentliche Ferment aber dieser Bewegung war der Gegensatz zwischen der überkommenen, in sich bereits der Auflösung verfallenden Philosophie des Mittelalters und den mit dem 15. Jahrhundert bekannt werdenden Originalwerken der griechischen Denker. Von Byzanz her brach über Florenz und Rom ein neuer Bildungsstrom herein, der den Lauf des abendländischen Denkens abermals von seiner bisherigen Richtung ablenkte. Insofern erscheint die humanistische Renaissance, die sog. Wiedergeburt des klassischen Altertums, als Fortsetzung und Vollendung jenes gewaltigen Aneignungsprozesses, den das Mittelalter darstellt, und wenn dieser in einem rückläufigen Aufrollen der antiken Gedankenbewegung bestand, so erreicht er nun sein Ende, indem von der originalen altgriechischen Literatur alles dasjenige bekannt wurde, worauf unsere Kenntnis im wesentlichen noch heute beschränkt ist.

Das Bekanntwerden der griechischen Originale und die Ausbreitung der humanistischen Bildung rief zunächst in Italien und sodann auch in Deutschland, Frankreich und England eine oppositionelle Bewegung gegen die Scholastik hervor. Sie wendete sich der Sache nach gegen die mittelalterlichen[294] Umdeutungen der griechischen Metaphysik, der Methode nach gegen die autoritative Deduktion aus vorausgesetzten Begriffen, der Form nach gegen die geschmacklose Härte des mönchischen Latein: und mit der bewunderungsvollen Wiedergabe der antiken Gedanken, mit der frischen Anschaulichkeit eines lebenslustigen Geschlechts, mit der Feinheit und dem Witz einer künstlerisch gebildeten Zeit erwarb diese Opposition einen schnellen Sieg.

Aber sie war in sich gespalten. Da waren Platoniker, die zum größten Teil besser Neuplatoniker genannt würden; da waren Aristoteliker, die wieder je nach dem Anschluß an den einen oder den andern der alten Ausleger in verschiedene, sich lebhaft bekämpfende Gruppen zerfielen. Da wachten auch die älteren Lehren der griechischen Kosmologie, der Jonier, der Pythagoreer wieder auf; da erhob sich die demokritisch-epikureische Naturauffassung zu neuer Kraft. Da wurden der Skeptizismus und der popularphilosophische Eklektizismus wieder lebendig.

War diese humanistische Bewegung entweder religiös indifferent oder gar mit offenem »Heidentum« im Kampf gegen das christliche Dogma begriffen, so spielte sich im kirchlichen Leben ein ebenso heftiger Streit der Ueberlieferungen ab. Die katholische Kirche verschanzte sich gegen den Ansturm der Geister unter Führung der Jesuiten immer fester hinter dem Bollwerk des Thomismus. Bei den Protestanten war – eine Fortsetzung des Antagonismus, den das Mittelalter zeigt – Augustin der leitende Geist. Aber in der philosophischen Ausgestaltung des Dogmas blieben ihm die Reformierten näher; in der lutherischen Kirche überwog eine Anlehnung an die ursprüngliche Gestalt des aristotelischen Systems und der stoischen Popularphilosophie. Daneben aber erhielt sich im religiösen Bedürfnis des Volks die deutsche Mystik mit all den viel verzweigten Traditionen, die sie in sich vereinigte (vgl. § 26, 5), zu fruchtbarer Wirkung für die Philosophie der Zukunft lebenskräftiger als die kirchliche Gelehrsamkeit, die sie vergeblich zu ersticken suchte.

Das Neue, das sich in diesen vielspältigen Kämpfen vorbereitete, war der Abschluß denjenigen Bewegung, welche auf dem Höhepunkt der mittelalterlichen Philosophie bei Duns Scotus begonnen hatte: die Ablösung der Philosophie von der Theologie. Je mehr sich die Philosophie neben der Theologie als selbständige weltliche Wissenschaft konstituierte, um so mehr wurde als ihre eigentliche Aufgabe die Erkenntnis der Natur erfaßt. In diesem Ergebnis kommen alle Richtungen der Philosophie der Renaissance zusammen. Philosophie soll Naturwissenschaft sein – das ist die Parole der Zeit.

Die Ausführung dieses Vorhabens jedoch mußte sich zunächst innerhalb der traditionellen Vorstellungsweisen bewegen: diese aber hatten ihre Gemeinsamkeit in dem anthropozentrischen Charakter der Weltanschauung, der die Folge der Ausbildung der Philosophie als Lebensansicht und Lebenskunst gewesen war. Deshalb nimmt die Naturphilosophie der Renaissance auf allen Linien die Stellung des Menschen im Weltzusammenhänge zum Ausgang ihrer Problembildung, und der Umschwung der Vorstellungen, welcher sich in dieser Hinsicht unter dem Einflusse der Entdeckungen und Erfindungen, sowie der dadurch veränderten Kulturzustände vollzog, wurde für die Neugestaltung[295] der ganzen Weltansicht maßgebend. An diesem Punkte wurde die metaphysische Phantasie am tiefsten aufgeregt, und von hier aus erzeugte sie ihre für die Zukunft vorbildlichen Weltdichtungen in den Lehren von Giordano Bruno und Jacob Boehme.

Ueber die Erneuerung der antiken Philosophie im allgemeinen handeln: L. HEEBEN, Geschichte der Studien der klassischen Literatur, Göttingen 1797 bis 1802. – G. VOGT, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums. 2. Aufl. Berlin 1880 f.

Der Hauptsitz des Platonismus war die Akademie zu Florenz, die von Cosmos von Medici gegründet und von seinen Nachfolgern glänzend erhalten wurde, (Vgl. A. DELLA TORRE, Storia dell' academia platonica di Florenze; Florenz. 1902) Die Anregung dazu hatte Georgios Gemistos Plethon (1355-1450) gegeben, der Verfasser zahlreicher Kommentare und Kompendien, sowie einer (griechischen) Schrift über den Unterschied der platonischen und der aristotelischen Doktrin. Vgl. Fr. SCHULTZE, G. G P. Jena 1874. – Sein einflußreicher Schüler war Bessarion (geb. 1403 in Trapezunt, gestorben als Kardinal der römischen Kirche in Ravenna 1472). Die Hauptschrift Adversus calumniatorem Platonis erschien Rom 1469. Ges. Werke in Mignes Sammlung, Paris 1866. – Die bedeutendsten Erscheinungen aus dem platonischen Kreise waren Marsilio Ficino (aus Florenz, 1433-1499), der Uebersetzer der Werke Platons und Plotins und Verfasser einer Theologia Platonica (Florenz 1482), und später Francesco Patrizzi (1519-1587), welcher die Naturphilosophie dieser Richtung in seiner Nova de universis philosophia (Ferrara 1591) zur geschlossensten Darstellung brachte.

Aehnlich wie bei dem letzteren zeigt sich der Neuplatonismus mit neupythagoreischen und zugleich mit vielen modernen Denkmotiven versetzt schon bei Johannes Pico von Mirandola (1463-1494; über ihn A. LEVY, Berlin 1908).


Das quellenmäßige Studium des Aristoteles wurde in Italien durch Georgios von Trapezunt (1396-1484; Comparatio Platonis et Aristotelis, Venedig 1523) und Theodoros Gaza (gest. 1478), in Holland und Deutschland durch Rudolf Agricola (1442-1485), in Frankreich durch Jacques Lefèvre (Faber Stapulensis, 1455-1537) befördert.

Die Aristoteliker der Renaissance zerfallen (abgesehen von der kirchlich-scholastischen Richtung) in die beiden Parteien der Averroisten und der Alexandristen. Die Universität Padua war, als der Hauptsitz des Averroismus, auch der Ort der lebhaftesten Streitigkeiten zwischen beiden.

Als Vertreter des Averroismus sind Nicoletto Vernias (gest. 1499), besonders der Bologneser Alexander Achillini (gest. 1518; Werke Venedig 1545), ferner Agostino Nifo (1473-1546, Hauptschrift De intellectu et daemonibus; Opuscula Paris 1654) und der Neapolitaner Zimara (gest. 1532) zu erwähnen.

Zu den Alexandristen zählen Ermolao Barbaro (Venetianer, 1454-1493; Compendium scientiae naturalis ex Aristotele, Ven. 1547), ferner der bedeutendste Aristoteliker der Renaissance Pietro Pomponazzi (1462 in Mantua geb., 1524 in Bologna gestorben). Seine wichtigsten Schriften sind: De immortalitate animae mit dem Defensorium gegen Niphus. De fato libero arbitrio praedestinatione providentia dei libri quinque; vgl. L. Ferri, La psicologia di P. P., (Rom 1877) und seine Schüler Gasparo Contarini (gest. 1555), Simon Porta (gest. 1555) und Julius Caesar Scaliger (1484-1558).

Bei den späteren Aristotelikern Jacopo Zabarella (1532-1589), Andreas Caesalpinus (1519-1603), Cesare Cremonini (1552-1613) u. a. erscheinen jene Gegensätze mehr ausgeglichen.


Von Erneuerungen anderer griechischer Philosophien sind besonders zunenen:

Joest Lips (1547-1606), Manuductio ad Stoicam philosophiae (Antwerpen 1604) und andere Schriften; und Caspar Schoppe, Elementa Stoicae philosophiae moralis (Mainz 1606), ferner

Dan. Sennert (1572-1637), Epitome scientiae naturalis (Wittenberg 1618), Sebastian Basso, Philosophia naturalis adversus Aristotelem (Genf 1621) und Johannes Magnenus, Democritus reviviscens (Pavia 1646),

Claude de Berigard als Erneuerer der ionischen Naturphilosophie in seinen Cerculi Pisani (Udine 1643 ff.)

Pierre Gassend (Gassendi, 1592-1655), De vita moribus et doctrina Epicuri (Leyden 1647); Syntagma philosophiae E. (Lyon 1649); vgl. auch unten S. 318.

Emanuel Maignanus (1601-1671), dessen Cursus philosophieus (Toulouse 1652) empedokleische Lehren vertritt.

Im Sinne des antiken Skeptizismus schrieben: Michel de Montaigne (1533[296] bis 1592, Essais, Bordeaux 1580, neue Ausgaben Paris 1865 und Bordeaux 1870), François Sanchez (1562-1632, ein in Toulouse lehrender Portugiese, Verfasser des Tractatus de multum nobili et prima universali scientia quod nihil scitur Lyon 1581, vgl. L. Gerkrath, F. S., Wien 1860), Pierre Charron (1541-1608; De la sagesse, Bordeaux 1601); später François de la Motte le Vayer (1586-1672, Cinq dialogues, Mons 1673), Samuel Sorbière (1615-1670, Uebersetzer des Sextus Empiricus) und Simon Foucher (1644 bis 1696, Verf. einer Geschichte der akademischen Skeptiker, Paris 1690). –

Die schärfste Polemik gegen die Scholastik ging von denjenigen Humanisten aus, welche ihr die römische eklektische Popularphilosophie des gesunden Menschenverstandes in geschmackvoller Form und möglichst im rhetorischen Gewande entgegenstellten: sie hielten sich in der Hauptsache formell an Cicero, sachlich außerdem an Seneca und Galen. Auch hier ist Agricola mit seiner Schrift De inventione dialectica (1480) zu nennen, vor ihm Laurentius Valla (1408-1557; Dialecticae disputationes contra Aristoteleos, Ven. 1499), Ludovico Vives (geb. zu Valencia 1492, gest. 1546 zu Brügge; De disciplinis, Brügge 1531, ges. Werke, Basel 1555; vgl. A. Lange in Schmidts Encyklopädie der Pädagogik Bd. IX), Marius Nizolius (1498-1576; De veris pincipiis et vera ratione philosophandi, Parma 1553). endlich Pierre de la Ramée (Petrus Ramus, 1515-1572, Institutiones dialecticae, Paris 1543; vgl. Ch. Waddington, Paris 1849 und 1855).


Die Tradition der thomistischen Scholastik hielt sich am kräftigsten an den Universitäten der iberischen Halbinsel. Unter ihren Vertretern ragt Franz Suarez (aus Granada, 1548-1617; Disputationes metaphysicae 1695, ges. Werke, 26 Bde. Paris 1856-1866; vgl. K. WERNER, S. und die Scholastik der letzten Jahrhunderte, Regensburg 1861) hervor; daneben ist das Sammelwerk der Jesuiten von Coimbra, das sog. Collegium Conembricense zu erwähnen.

Der Protestantismus stand von vornherein der humanistischen Bewegung näher. Besonders in Deutschland gingen beide vielfach Hand in Hand: vgl. K. HAGEN, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter, 3 Bde., Frankfurt 1868.

An den protestantischen Universitäten wurde der Aristotelismus hauptsächlich durch Philipp Melanchthon eingeführt. In der Ausgabe seiner Werke von BRETSCHNEIDER und BINDSEIL bilden die philosophischen Werke den 13. und 16. Bd., darunter hauptsächlich die Lehrbücher der Logik (Dialektik) und Ethik. Vgl. A. RICHTER, M.s Verdienste um den philosophischen Unterricht (Leipzig 1870). K. HARTFELDER, M. als Praeceptor Germaniae (Berlin 1889). H. MAIER, M. als Philosoph (Arch. f. Gesch. d. Philos. X u. XI, auch in »An der Grenze der Philosophie«, Tübingen 1909).

Luther selbst stand dem Augustinismus sehr viel näher (vgl. CHR. WEISSE, Die Christologie Luthers, Leipzig 1852): noch mehr war dies bei Calvin der Fall, während Zwingli der zeitgenössischen Philosophie, namentlich dem italienischen Neuplatonismus freundlicher gesinnt war. Doch liegt die wissenschaftliche Bedeutung aller drei großen Reformatoren so ausschließlich auf dem theologischen Gebiet, daß sie hier nur als wesentliche Momente der allgemeinen Geistesbewegung im 16. Jahrhundert zu erwähnen sind.

Der protestantische Aristotelismus fand seine Gegner in Nicolaus Taurellus (1547-1606, Professor in Basel und Altdorf; Philosophiae triumphus, Basel 1573, Alpes caesae, Frankfurt 1597; vgl. F. X. SCHMIDT-SCHWARZENBERG, N. T., Der erste deutsche Philosoph, Erlangen 1864), ferner in dem Sozinianimus welchen Lelio Sozzini (1525-1562, aus Siena) und sein Neffe Fausto (1539-1604) begründeten (vgl. A. FOCK, Der Sozinianismus. Kiel 1847, und den Artikel S. von HERZOG m dessen theol. Encykl. 2. Aufl. XIV, 377 ff.), besonders aber in der Volksbewegung der Mystik. Unter deren Vertretern ragen hervor: Andreas Osiander (1498-1552), Caspar Schwenckfeld (1490-1561), Sebastian Franck (1500 – -1545; Paradoxa, hrsg. v. ZIEGLER und LEHMANN, Jena 1909, vgl. K. HAGEN, a. a. O. III cap. 5; A. HEGLER, Geist und Schrift bei S. Fr. 1892) und besonders Valentin Weigel (1553-1588, Libellus de vita beata 1606, Der guldne Griff 1613, Vom Ort der Welt 1613. Dialogus de Christianismo 1614, Gnôthi sauton 1615; vgl. J. O. OPEL, V. W. Leipzig 1864).


Die naturphilosophische Tendenz tritt im Anschluß an Nic. Cusanus stärker hervor bei Charles Bouillé (Bovillus, 1470-1553; De intellectu, De sensibus, De sapientia. Vgl. J. DIPPEL, Versuch einer system. Darstellung der Philos. des C. B., Würzburg 1862) und Girolamo Cardano (1501-1576, De vita propria, De varietate rerum, De subtilitate; ges. Werke Lyon 1663). Vgl. hierzu und zum folgenden: RIXNER und SIBER, Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker im 16. und 17. Jahrhundert 7 Hefte, Sulzbach 1819 ff.

Die glänzendste Erscheinung unter den italienischen Naturphilosophen ist Giordano[297] Bruno aus Nola in Campanien. 1548 geboren und in Neapel erzogen, fand er bei dem Dominikanerorden, in den er getreten war, solche Beargwöhnung, daß er entfloh und von da an ein unstätes Leben führte. Er ging über Rom und Oberitalien nach Genf, Lyon, Toulouse, hielt Vorlesungen in Paris und Oxford, dann in Marburg, Wittenberg und Helmstädt, berührte auch Prag, Frankfurt und Zürich und verfiel schließlich in Venedig dem Schicksal, durch Verrat in die Hände der Inquisition zu kommen, nach Rom ausgeliefert und dort nach jahrelanger Haft wegen standhafter Verweigerung des Widerrufs 1600 verbrannt zu werden. Die Unstetigkeit seines Lebens war zum Teil auch in seinem Charakter begründet, der mit der begeisterten Hingabe an die neue Wahrheit, für die er leiden mußte, insbesondere das kopernikanische System, und mit dem stolzen Fluge phantasievollen Denkens eine ungezügelte Leidenschaftlichkeit, ein ruhmsüchtiges Prahlwesen und eine kecke Agitationslust vereinigte: Seine lateinischen Werke (3 Bde. Neapel 1880-1891) betreffen teils die Lullische Kunst (bes. De imaginum signorum et idearum compositione), teils sind es Lehrgedichte oder metaphysische Schriften (De monade numero et figura; De triplici minimo); die italienischen Schriften (hrsg. von A. WAGNER, Leipzig 1829; neue Ausgabe von P. DE LAGARDE, 2 Bde. Göttingen 1888-90) sind einerseits satirische Dichtungen (Il candelajo, Lacena delle cineri Spaccio della bestia trionfante, deutsch von KOHLENBECK, Leipzig 1890, Cabala del cavallo Pegaseo), anderseits die vollkommensten Darstellungen seiner Lehre: Dialoghi della causa principio ed uno, deutsch von LASSON, Berlin 1872; Degli eroici furori; Dell' infinito universo e dei mondi. (Dialoghi metafisici, hrsg. v. GENTILE, Bari 1907, d. morali 1910.) Vgl. BARTHOLMESS, G. B., Paris 1846 f.; DOM. BERTI, G. B., sua vita e sue dottrine (Rom 1889), CHR. SIGWART, in »Kleine Schriften« I, Freiburg 1889; H. BRUNNHOFER, G. B.s Weltanschauung und Verhängnis, Leipzig 1882. Ueber seine italienischen und lateinischen Schriften vgl. FEL. TOCCO (Florenz 1889 u. Neapel 1891).

Eine andere Richtung vertreten Bernardino Telesio (1508-1588, De rerum natura iuxta propria principia, Rom 1565 und Neapel 1586; über ihn F. FIORENTINO. Florenz 1872 und 1874; L. FERRI, Turin 1873, G. GENTILE, Bari 1911) und sein bedeutenderer Nachfolger Tommaso Campanella. 1568 in Stilo (Calabrien) geboren, früh Dominikaner geworden, nach vielen Verfolgungen und langjähriger Gefangenschaft nach Frankreich gerettet, wo er mit dem cartesianischen Freundeskreise verkehrte, starb er in Paris 1639, ehe die Gesamtausgabe seiner Schriften, welche Instauratio scientiarium heißen sollte, vollendet war. Auch bei ihm mischen sich Gedankenkühnheit, Gelehrsamkeit, Neuerungssucht, Begeisterung mit Pedanterio. Phantasterei, Aberglauben und Beschränktheit. Eine neuere Ausgabe mit biographischer Einleitung von d'ANCONA ist Turin 18; 54 erschienen. Von den sehr zahlreichen Schriften seien erwähnt: Prodromus philosopbiae instaurandae, 1617; Realis philosophiae partes quatuor (mit dem Anhang Civitas Solis), 1623; De monarchia hispanica, 1625; Philosophiae rationalis partes quinque, 1638; Universalis philosophiae seu metaphysicarum rerum iuxta propria principia partes tres, 1638. Vgl. BALDACHINI, Vita e filosofia di T. C., Neapel 1840 und 1843; DOM. BENTI, Nuovi documenti di T. C., Rom 1881. CHR. SIGWART, Kleine Schriften I, Freiburg 1889.


Theosophisch-magische Lehren finden sich bei Johannes Reuchlin (1455 bis 1522; De verbo mirifico, De arte cabalistica), Agrippa von Nettesheim (1487 bis 1535, De occulta philosophia, De incertitudine et vanitate scientiarum) und Francesco Zorzi (1460 1540, De harmonia mundi, Paris 1549).

Bedeutender und selbständiger ist Theophrastus Bombastus Paracelsus von Höhenheim (1493 zu Einsiedeln geb., abenteuernden Lebens, Professor der Chemie in Basel, 1541 in Salzburg gestorben). Unter seinen Werken (Ausgabe von Huser, Straßburg 1616-1618) sind das Opus pu ramirum, Die große Wundarznei und De natura rerum hervorzuheben. Vgl. R. EUCKEN, Beiträge zur Gesch. der neueren Philos., Heidelberg 1886, 2. Aufl. 1905. p. 22 ff. – Von seinen zahlreichen Schülern treten Johann Baptist van Helmont (1577-1644; Ortus medicinae; deutsche Ausgabe seiner Schriften 1684, vgl. über ihn FR. STRUNZ, 1907) und dessen Sohn Franz Mercurius, ferner Robert Fludd (1547-1637, Philosophia Mosaica, Guda 1638) u. a. hervor.

Den merkwürdigsten Niederschlag dieser Bewegungen bildet die Lehre von Jacob Boehme. Er war 1575 in der Nähe von Görlitz geboren, sog auf der Wanderschaft allerlei Gedanken ein und verarbeitete sie still in sich. Als Schuhmachermeister in Görlitz niedergelassen, trat er 1610 mit seiner Hauptschrift »Aurora« hervor, auf die später, nachdem er zeitweilig zum Schweigen gezwungen worden war, noch viele andere folgten, darunter besonders »Vierzig Fragen von der Seele« (1620), »Mysterium magnum« (1623), »Von der Gnadenwahl« (1623). Er starb 1624. Ges. Werke, hrsg. von SCHIEBLER, Leipzig 1862. Vgl. H. A. FECHNER, J. B., sein Leben und seine Schriften, Görlitz 1853; A. PEIP, J. B., der deutsche Philosoph, Leipzig 1860. MOR. CARRIÈRE, Die philos. Weltansch. d. Reform. I 310-419. P. DEUSSEN, J. B., Rede (Kiel 1897).[298]

Quelle:
Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 61912, S. 294-299.
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