Rauchverzehrer

[175] Rauchverzehrer (smoke burner, smoke consumer; fumivore; fumi voro). Einrichtung zur Verzehrung, richtiger Verbrennung der im Feuerungsraum eines Dampfkessels oder in einer sonstigen, Wärme erregenden Anlage sich bildenden Rauchmengen.

Bei der Verbrennung von Brennstoff jeder Art bilden Kohlensäure und Kohlenoxyd die Hauptbestandteile der Verbrennungsprodukte: beide sind farblose Gase. Der bei der Verbrennung entstehende Rauch rührt davon her, daß die im Brennstoff enthaltenen Kohlenwasserstoffgase beim Auffeuern des Brennstoffes aus diesem entweichen (Destillation) und bei genügend hoher Temperatur zu Wasser verbrennen, unter Ausscheidung von Kohlenstoff in molekularer Form (Ruß). Um diesen ausgeschiedenen Kohlenstoff, der sonst, gemischt mit den anderen farblosen Verbrennungsprodukten, als sichtbarer Rauch den Feuerungsraum verlassen würde, zu verbrennen, muß über dem Rost sog. sekundäre Luft (Oberluft) eingeführt werden. Die verschiedene Art der Zuführung dieser Oberluft bildet das Wesen der vielen Bauarten von R.

Bei Lokomotiven stößt die Ausführung eines wirksamen R. auf große Schwierigkeiten, weil die Menge der in einer bestimmten Zeit auf dem Rost zu verbrennenden Kohle zu groß ist, daß die Menge der aus der Kohle sich entwickelnden Verbrennungsprodukte den in seinen Abmessungen beschränkten Feuerungsraum rasch auf dem kürzesten Weg durchzieht und daher nur unvollkommen mit der Oberluft gemischt werden kann. Durch Einbauten in den Feuerungsraum (Sieder und Gewölbe aus feuerfestem Material) kann der Weg, den die Verbrennungsprodukte zu nehmen haben, verlängert werden, so daß die Möglichkeit einer besseren Mischung mit Oberluft gegeben ist. Die Form dieser Einbauten ist, ebenso wie die Art der Oberluftzuführung, ein weiteres Merkmal für das System des R.

Die R. lassen sich nach Vorstehendem einteilen:

1. in R., bei denen nur Oberluft zur Verwendung gelangt;

2. in R., bei denen Oberluft in Verbindung mit Einbauten die Rauchverzehrung bewirken soll.

Die R. der ersten Gruppe bieten nur mehr historisches Interesse. Die erste derartige Ausführung rührt von Clark her (Abb. 102 a u. b), ausgeführt bei einigen schottischen und englischen[175] Bahnen um das Jahr 1855. An der Vorder- und Hinterwand der Feuerbüchse waren oberhalb der Brennstoffschicht hohle Stehbolzen angebracht, in die durch außen liegende Dampfrohre a a, die kleine Düsenansätze aufweisen, Dampf in den Feuerungsraum unter Mitreißen von Oberluft eingeblasen wurde.

Beim R., System Thierry, zuerst ausgeführt im Jahre 1870 bei der österreichischen Südbahn, ist in der Heiztüre ein Gitterschieber angebracht, durch den Oberluft angesaugt wird, die durch Dampfstrahlen, entströmend einem oberhalb der Heiztüre liegenden Rohr mit kleinen Öffnungen, mit den Verbrennungsgasen zur Mischung kommt (Abb. 103). Die schräg nach unten gerichteten Dampfstrahlen hindern teilweise den Abzug der Verbrennungsgase auf dem kürzesten Wege, und wirken daher, wenn auch in geringem Maße, ähnlich wie ein Einbau.

Gewisse Ähnlichkeit mit dem R. von Thierry zeigt der ab 1892 an vielen österreichischen Lokomotiven ausgeführte R. von Langer, denn auch er verwendet ein im Innern des Feuerungsraumes oberhalb der Heiztüre gelagertes Rohr, durch das viele feine Dampfstrahlen schleierartig über die Feuerschicht blasen. Der Nachteil, daß durch konstante Zufuhr von Oberluft durch den Heiztürschieber eine Abkühlung der Verbrennungsprodukte eintritt, ist dadurch behoben, daß der beim Langerschen R. an der Heiztüre angebrachte Drehschieber durch einen Luftkatarakt gesteuert wird. Der Drehschieber öffnet sich selbsttätig beim Öffnen der Heiztüre und wird nach Schluß dieser durch den Luftkatarakt in einer solchen Zeit zum Schließen gebracht, die erforderlich ist, die frisch aufgeworfene Kohlenmenge zu entgasen. Um auch beim Stillstand der Lokomotive Oberluft selbsttätig zuführen zu können, ist der Regulator derartig mit dem Hilfsgebläse in Verbindung gebracht, daß bei Schluß des Regulators das Hilfsgebläse selbsttätig in Wirkung tritt. Im letzten Jahrzehnt hat dieser R. in verbesserter Form unter dem Namen Langer-Marcotty in Deutschland, Schweiz, Belgien u.s.w. ausgebreitete Anwendung gefunden.

Die neueste Ausführung des R. von Langer ist wesentlich vereinfacht und in Verbindung gebracht mit einem Einbau (Boxgewölbe). In dieser Form kann er als einer der besten R. bezeichnet werden.

Bei dem R. Bauart Langer-Marcotty (Abb. 104) ist die Feuertüre mit einem Drehschieber R versehen, der es gestattet, Oberluft in den Feuerraum einzuleiten. Die Bewegung des Drehschiebers ist mittels Hebels O und Nocken von einer Ölbremse K abhängig. Der Kolben der Ölbremse wird beim Öffnen der Feuertüre verschoben, wobei der Drehschieber R geöffnet wird. Beim Schließen der Feuertüre wird der Drehschieber durch die in ihm befindlichen Gewichte (R) geschlossen, und zwar langsam (infolge der Ölbremse) – so daß demnach knapp nach dem Feuern und Schließen der Feuertüre die meiste Oberluft einströmt.

Der Dampfschleier, der aus einer in der Kesselmitte umkippbaren Dampfdüse bei A erzeugt[176] wird, ist durch das Ventil B gleichfalls so geregelt, daß beim Öffnen der Türe am meisten Dampf ausströmt. Schließt sich langsam der Drehschieber R, so nimmt auch der Dampfschleier ab, bis auf ein geringstes Maß, das nötig ist, um den Kopf der Düse zu kühlen.

Die erste Ausführung eines Einbaues in der Feuerbüchse in Form eines aus feuerfestem Material (Schamotte) hergestellten Gewölbes erfolgte 1845 durch G. Grigge an Lokomotiven der Boston-Providence-Bahn in Amerika. An der Heiztüre war zum Einlaß von Oberluft ein Drehschieber vorgesehen (Abb. 105 a u. b. Diese Abbildung entspricht einer Kesselausführung aus den Fünfzigerjahren).

In England wurden Boxgewölbe zuerst von Ramsbottom und Lee im Jahre 1856 ausgeführt, in Verbindung mit einem Deflektorschirm, der die bei der Heiztüre eintretende Oberluft nach unten ablenkt (Schutz der Rohrwand vor der kalten Luft). Bei der hochwertigen englischen Kohle, die in großer Dicke der Feuerschicht verwendet wird, kann die Heiztüre immer offen gehalten werden, so daß eine Regelung der Zufuhr von Oberluft entbehrlich ist. Diese im Wesen an fast allen englischen Lokomotiven gleiche Anordnung eines Boxgewölbes in Verbindung mit Deflektor ist dargestellt in Abb. 106.

In Deutschland und auch in Österreich hat der im Jahre 1879 entstandene R. von Nepilly vorübergehend viel Anwendung gefunden. Er ist neben dem Boxgewölbe gekennzeichnet durch einen unter dem Gewölbe an der Rohrwand angebrachten Stehrost, durch welchen die Oberluft einströmt (Abb. 107).

Einer der einfachsten R. ist der von Marek (Abb. 108), eingeführt ab Mitte der Neunzigerjahre bei fast allen Lokomotiven der österreichischen Staatsbahnen und bei österreichischen Privatbahnen. Das Wesen dieses R. ist eine in der Heiztüre drehbar gelagerte Klappe, die beim Schließen der Heiztüre durch Anschlagen an einen Zapfen selbsttätig geöffnet wird, wodurch die Oberluft Zutritt erhält. Das Schließen dieser Klappe erfolgt durch den Heizer einige Zeit nach jeder Beschickung von Hand aus durch Drehen der Anschlagzapfen.

Außer den Einbauten aus feuerfestem Material (Schamottegewölbe) hat man vielfach flache kastenartige Einbauten aus Kupferblech versucht. Diese Einbauten, kurz Sieder genannt, sind durch Rohrstutzen mit dem Wasserraum des Feuerkastens verbunden, so daß das Wasser in ihnen zirkuliert und Erglühen ausgeschlossen ist. Vorläufer dieser Einbauten waren die in England Mitte der Fünfzigerjahre von Mc. Donnald, Beatie, Cudworth, Clark und Colburn ausgeführten Unterabteilungen des Raumes der inneren Feuerbüchsen in 2 Kammern (vgl. die Lokomotivfeuerbüchse von Pechar, 1884). Von den Siederbauarten hat in Frankreich der R.,[177] richtiger gesagt die Feuerbüchse von Tenbrink bei der Orléans-, Ost- und Nordbahn recht häufige Anwendung gefunden (Abb. 109).

Ähnlich dem R. von Tenbrink ist die Bauart von Buchanan, die in Amerika (Hudson River-Bahn u.s.w.) in Anwendung steht.

Dem Zweck des Rauchverzehrens dienen auch die in Amerika von Milholland, Maschinenmeister der Philadelphia & Reading-Bahn, im Jahre 1852 zuerst ausgeführten Verbrennungskammern (Combustion chambers), die nichts anderes sind als in den zylindrischen Kessel ragende Verlängerungen der inneren Feuerbüchse. Der um die Länge dieser Kammern vergrößerte Weg, den die Verbrennungsprodukte bis zum Eintritt in die Siederohre nehmen müssen, gibt der Oberluft Gelegenheit einer Mischung. Diese Verbrennungskammern, deren Wert recht fraglich ist, finden in neuester Zeit in Amerika wieder Eingang bei Lokomotiven, bei denen infolge der sonstigen großen Dimensionen die Siederohre eine übermäßige Länge erhalten müßten.

Als R. im weiteren Sinne sind auch die Kesselbauarten anzusehen, die (bei Stabilanlagen) für die Anwendung von Gas (Regeneratorgas, Gichtgase u.s.w.) bestimmt sind, sowie die vielen Sonderbauarten für die Verfeuerung von flüssigem Brennstoff (Petroleumrückstände, Rohöl, Heizöl u.s.w.), s. Heizölfeuerungen.

Literatur: Pechar, Die Lokomotivfeuerbüchse. Sonderabdruck aus Glasers Ann., Berlin 1884. – Das Eisenbahnmaschinenwesen der Gegenwart, Wiesbaden 1903. – Recent Locomotives, New York 1907. – A. Sinclair, Development of the Locomotive Engine. New York 1907.

Gölsdorf.

Abb. 102 a u. b.
Abb. 102 a u. b.
Abb. 103.
Abb. 103.
Abb. 104.
Abb. 104.
Abb. 105 a u. b.
Abb. 105 a u. b.
Abb. 106.
Abb. 106.
Abb. 107.
Abb. 107.
Abb. 108.
Abb. 108.
Abb. 109.
Abb. 109.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 8. Berlin, Wien 1917, S. 175-178.
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