Streckenkenntnis

[242] Streckenkenntnis. Die Dienstverrichtungen des Lokomotivführers und des Zugführers verlangen eine mehr oder weniger eingehende Kenntnis der vom Zug durchfahrenen Strecke. In besonderem Maße gilt das für den Dienst des Lokomotivführers. Die Steigungs- und Krümmungsverhältnisse der Bahn, die Stationsentfernungen sowie die Gleisführung innerhalb der Bahnhöfe und mancher Kunstbauten sind maßgebend für die Fahrgeschwindigkeit. Sie werden zwar durch Signale, durch besondere Zeichen oder durch die Fahrpläne und Dienstvorschriften dem Lokomotivführer bekannt gegeben. Die Zeichen für die Steigungs- und Krümmungsverhältnisse (s. Neigungszeiger u. Streckenzeichen) sind aber bei Dunkelheit nicht beleuchtet. Auch bei Tageslicht würde ihre Beobachtung die Aufmerksamkeit des Lokomotivführers zu sehr in Anspruch nehmen und ihn von seinen sonstigen Dienstpflichten abhalten, wenn ihm nicht durch örtliche S. die Beobachtung erleichtert würde.

Der Lokomotivführer erwirbt die S. durch Belehrungsfahrten (s.d.) als dritter Mann auf der Lokomotive eines Zuges. Die große Verschiedenheit der Bahn- und Streckenverhältnisse sowie der Betriebsführung erschwert die Aufstellung allgemeiner Regeln über Art und Umfang der Belehrungsfahrten. Die preußischen Staatsbahnen überlassen daher die Festsetzung der Zahl der Fahrten dem Vorstand des Maschinenamts. Sie fordern jedoch allgemein, daß ein Lokomotivführer zum selbständigen Dienst auf einer Strecke nur zugelassen werden darf, auf der er mindestens je 2 und, wenn es sich um den Personen- oder Schnellzugdienst handelt, mindestens je 3 Belehrungsfahrten bei Tag und bei Nacht in jeder Richtung ausgeführt und außerdem schriftlich erklärt hat, daß er die Strecke kenne und im stände sei, auf ihr die ihm anzuvertrauenden Zugfahrten mit voller Sicherheit auszuführen. Wenn die Fahrten als Lokomotivführer länger als 15 Monate unterbrochen wurden oder während einer Unterbrechung der Fahrten wesentliche Änderungen an den Gleisen, den Signalanlagen oder Blockeinrichtungen stattgefunden haben, so muß die S. durch mindestens einmalige Belehrungsfahrten in jeder Richtung bei Tag und bei Nacht wiedererworben werden. – Auf der London and North Western-Eisenbahn muß der Lokomotivführer alle 6 Monate schriftlich bestätigen,[242] daß er die von ihm zu befahrende Strecke sowohl in dem hierüber herausgegebenen, die Signale, Bahnhöfe sowie die Neigungs- und Krümmungsverhältnisse enthaltenden Streckenbuch als auch in der Wirklichkeit kenne (vgl. Bulletin d. Int. Eis.-Kongr.-Verb. 1909, S. 241).

An die S. des Zugführers werden wesentlich geringere Anforderungen gestellt. Auf den preußischen Staatsbahnen erwirbt der Zugführer die S. durch mindestens je eine Belehrungsfahrt bei Tag und bei Nacht in jeder Richtung unter Leitung eines streckenkundigen Zugbegleitbeamten. Die S. geht verloren, wenn die Fahrten auf der Strecke länger als 2 Jahre unterbrochen waren.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 242-243.
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