Thurneysser zum Thurn, Leonhard

[948] Thurneysser zum Thurn. Der Leibarzt des brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg, Leonhard Thurneysser zum Thurn, den seine Zeitgenossen einen weitberühmten, merkwürdigen und geheimnisvollen Mann nennen, interessiert und hier nur soweit, als seine Tätigkeit mit der Druckkunst in Berlin in Verbindung steht.

Thurneyssers buchdruckerische Tätigkeit im Berliner Grauen Kloster ist in vieler Beziehung ein Novum, die Art seines Schaffens dort genau so merkwürdig wie sein eigener abenteuerlicher Lebensgang.[948] Aus diesem sei kurz erwähnt, daß Thurneysser 1530 in Basel geboren wurde und schon in frühester Jugend jenem Berufe zugeführt wurde, der in der Eigenart der mittelalterlichen Abenteurer begründet liegt. Eine fehlgeschlagene Heirat, die er mit 17 Jahren einging, verleideten ihm die Heimat und führten ihn einem unstäten Leben zu. Er bereiste England und Frankreich, versuchte auch sein Glück als Kriegsmann im Heere des Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg und tauchte dann wieder in nordischen Bergwerken und Schmelzhütten unter. Als Wappenstecher und Goldschmied treffen wir ihn 1555 in Straßburg i. E., bald nachher ist er Aufseher in einem tiroler Bergwerk. Als Schmelz- und Schwefelhüttenbesitzer im oberen Inntal übertrug ihm Graf Ladislau von Hag die Aufsicht über seinen Bergwerksbesitz. Durch diesen Edlen wurde er auch am kaiserlichen Hofe eingeführt, wo sich seiner ganz besonders der etwas mystisch veranlagte Erzherzog Ferdinand annahm. Auf dessen Veranlassung machte er umfassende Reisen in aller Herren Länder. Thurneysser besuchte Schottland, Spanien und Portugal, ging dann nach Afrika, Äthiopien und Aegypten. Von da zog er nach Asien, Arabien, Syrien und Palästina und wählte die Rückreise über Kandia und Griechenland, Italien und Ungarn. Auf diesen Reisen bemühte er sich, Sprachen – er sprach deren angeblich nicht weniger als 32 – und insbesondere Arzneiwissenschaft zu erlernen. Bis 1569 sehen wir ihn noch in erzherzoglichen Diensten. Dann wandte er sich nach Münster i. W., wo er 1569 seine Archidoxa und 1570 seine Quinta Essentia in der Offizin Ossenbrugs drucken ließ. Kurze Zeit später treffen wir ihn in der Mark Brandenburg, in der er sein Glück machen sollte.

In Frankfurt a. Oder, wo er sich niedergelassen hatte, ließ er 1570 sein großes Werk »Pison oder Beschreibung der Wasser« drucken. Hier lernte ihn auch Kurfürst Johann Georg kennen. Er übertrug dem bereits weithin bekannten Wunderdoktor die Behandlung seiner kranken Gemahlin, die auch in Thurneyssers Pflege genaß. Der Kurfürst ernannte ihn nunmehr zu seinem Leibarzt und überhäufte ihn mit Gunstbezeugungen aller Art. Thurneysser arbeitete sich unter diesen günstigen Verhältnissen rasch empor. Er verkaufte parazelsische Heilmittel zu hohen Preisen, stellte die Nativität, verfertigte Amulette, gründete ein Leihhaus, errichtete ein Laboratorium und legte zunächst für eigene Zwecke 1572 oder 1573 in dem ihm vom Kurfürsten eingeräumten grauen Kloster eine Buchdruckerei und Schriftgießerei an, welche er mit deutschen, lateinischen und morgenländischen Lettern, vortrefflichen »Formen« und Zierraten aller Art ausstattete. Wie bedeutend seine Druckerei war, geht aus[949] der Tatsache hervor, daß sie in ihrer Blütezeit über 200 Arbeitern Brot gab. Seine besten Verlagsartikel waren seine Kalender, welche in verschiedenen Ausgaben erschienen und in ganz Deutschland reichen Absatz fanden. 1577 lieferte die Druckerei Werke im Gesamtumfang von 440 Bogen, darunter eigene Schriften mannigfachster Art. Auch der Kurfürst beschäftigte die Druckerei in reichlicher Weise. Thurneysser, dessen Arbeiten an künstlerischer Ausstattung für die damalige Zeit unerreicht dastanden, ist überhaupt der erste Drucker in der Mark, welcher auf den Namen eines Meisters seiner Kunst und eines bedeutenden Verlagsbuchhändlers Anspruch erheben darf. Friedländer hat in seinen »Beiträgen zur Buchdruckergeschichte Berlins« (Berlin 1834) die Verlagswerke Thurneyssers bibliographisch beschrieben.

Widrige Familienverhältnisse zwangen Thurneysser, Berlin zu verlassen und im Juli 1577 seinem erprobten Setzerfaktor Michael Hentzke die Druckerei unter nicht schwer zu erfüllenden Bedingungen für 1100 Taler zu verkaufen. Er selbst ging zunächst nach Basel und kehrte 1581 vorübergehend nach Berlin zurück. Angeblich ist Thurneysser nach einem längeren Aufenthalte in Italien 1595 oder 1596 in einem Kloster zu Köln a. Rh. gestorben.

Sein Geschäftsnachfolger Michael Hentzke starb bereits 1580 und die Witwe übertrug durch ihre Verheiratung mit Nikolaus Voltz aus Erfurt das Geschäft auf diesen, der jedoch bald darauf seinem Schwiegersohn, dem Rektor des Gymnasiums vom grauen Kloster, Wilhelm Hilden, den Gebrauch und die Nutznießung der Druckerei überließ. Nach dem Tode Hildens, 1587, übernahm Voltz wiederum die Offizin, siedelte aber nach Frankfurt a. Oder über, wo er noch bis zu seinem 1619 erfolgten Tode gedruckt hat.

Quellen: Möhsen, Geschichte der Wissenschaften in der Mark Brandenburg, Berlin 1783; Friedlaender (siehe oben); Bellermann, Das graue Kloster, Berlin 1823; Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels, Band 2, 7, 10, 11, 13, 16 und 17, woselbst auch die näheren Einzelheiten seiner besonderen buchhändlerischen Tätigkeit hinsichtlich der technischen Seite nachzulesen sind; vergl. auch Kapp, Buchhandel Band 1.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 948-950.
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