III. Die Methodik der Erhebung

[37] Aus allem bisher Gesagten werden die Herren Mitarbeiter jedenfalls entnehmen, inwiefern im vorliegenden Fall etwas in wesentlichen Punkten anderes erstrebt wird als eine Darstellung der »Morphologie« und der technisch-geschäftlichen Organisation der einzelnen Industrien. Man kann dieses »Andere« wohl dahin formulieren: Es sollen untersucht werden einerseits die Art der »Ausleseprozesse«, welche die Großindustrie, den ihr immanenten Bedürfnissen gemäß, an derjenigen Bevölkerung, die mit ihrem Berufsschicksal an sie gekettet ist, vollzieht, – andererseits die Art der »Anpassung« des »körperlich« oder »geistig« arbeitenden Personals der Großindustrien an die Lebensbedingungen, die sie ihm zu bieten haben. Auf diese Weise soll allmählich der Beantwortung der Frage nähergekommen werden: Was für Menschen prägt die moderne Großindustrie kraft der ihr immanenten Eigenart, und welches berufliche (und damit indirekt auch: außerberufliche) Schicksal bereitet sie ihnen?

Der »Arbeitsplan« und der beigegebene Fragebogen haben zunächst und vor allem den Zweck, dem Mitarbeiter als provisorisches Hilfsmittel zur Orientierung über solche Punkte zu dienen, welche für den Zweck der Erhebung wohl jedenfalls von Wichtigkeit sein werden.

Auch unter den Fragen des »Arbeitsplans« findet sich dabei eine erhebliche Anzahl von solchen, deren Beantwortung nicht um ihrer selbst willen gewünscht wird, sondern nur deshalb erforderlich scheint, weil ohne sie das Vordringen zu den eigentlichen Aufgaben der Erhebung nicht möglich wäre.

[37] So ist z.B. die Ermittelung der täglichen Arbeitsdauer und ihrer Bedeutung, angesichts der umfangreichen Literatur über diesen Gegenstand, in keiner Weise Selbstzweck der Erhebung. Aber die Arbeitsdauer bedeutet selbstverständlich einerseits eine sehr wesentliche Komponente des »Berufsschicksals« der Arbeiter. Auf der anderen Seite ist sie ein sehr wichtiges Symptom für diejenige Art von Leistungen und also für diejenigen Qualitäten, welche die betreffende Industrie von ihren Arbeitern verlangt, namentlich für das Maß der qualitativen Intensität oder Extensität der Arbeit, welches sie beansprucht. Nicht nur hohe Grade rein physisch-muskulärer, sondern auch hohe Grade nervöser Leistungen wird eine Industrie mit sehr ausgedehnter Arbeitszeit nicht erwarten können. Andererseits wird eine Industrie, welcher nur Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, deren Fähigkeit und Erziehbarkeit zu intensiver Arbeit, aus Gründen der ihnen angeborenen oder anerzogenen oder der ihnen durch Anlage und Erziehung fehlenden Eigenschaften, gering ist, den Versuch machen, durch lange Arbeitszeiten existenzmöglich zu bleiben. Nicht diese wohlbekannten Konsequenzen zu entwickeln kann hier die Aufgabe sein. Allerdings aber kommt für die Zwecke der Erhebung sehr wohl auch die Frage in Betracht, wie sich eigentlich für die einzelnen Industrien das Problem des Verhältnisses zwischen Arbeitszeit und Arbeitsleistung praktisch – d.h. unter Rentabilitätsgesichtspunkten – heute gestaltet hat. Der Zustand, der sich z.B. vor etwa 50 Jahren im Bergbau, bei vorwiegend reiner Handarbeit und mächtiger Expansion der Profitchancen, entwickelte: daß die Arbeiter bei rationell kalkuliertem Akkord in 6 Stunden tatsächlich ebensoviel leisteten wie vorher in 10 bei traditionellen Lohnsätzen (allerdings unter ungleich stärkerer Erschöpfung), und daß man nun in vier Schichten ungeheure Produktionssteigerungen erzielte, besteht bei Arbeitern, die an die Maschine gekettet sind, nicht mehr in gleicher Art, und es wäre daher für jede Industrie nach Möglichkeit auch festzustellen, wie sich Leistung und Lohnkosten nach den ihr speziell eigentümlichen technischen Bedingungen je nach der Dauer der Arbeitszeit stellen, soweit exakte Erfahrungen vorliegen. Aber vor allem wäre dabei doch zu fragen, inwieweit etwa im Einzelfall die Arbeitszeit »Symptom« bestimmter Qualitäten der Arbeiterschaft sei. (Daß dies in Wirklichkeit durchaus nicht immer der Fall ist, darf als bekannt[38] vorausgesetzt werden.) – Ebenso beruht die Art der Verteilung und Länge der Arbeitspausen da, wo sie überhaupt rationelle und nicht (wie dies die Regel sein dürfte) rein traditionelle Motive hat, fast immer auf Erfahrungen über deren Rückwirkung auf die Arbeitsleistung. Es wäre daher, ebenso wie für die Arbeitszeit, so auch für die Arbeitspausen, tunlichst exakt festzustellen, ob und welche Erfahrungen auf diesem Gebiet bei den einzelnen Kategorien der Arbeiter, nach örtlicher und sozialer Herkunft, Erziehung und Stellung im Arbeitsprozesse gesondert, gemacht worden sind (insbesondere natürlich dann, wenn in letzter Zeit Veränderungen, sei es der Arbeitsdauer, sei es der Pausenverteilung, vorgenommen wurden), wie sich beispielsweise die Arbeitsfrische zu den verschiedenen Tageszeiten dabei entwickelt hat, wie sich die Arbeiter zur »englischen« Tageseinteilung verhalten usw., – Fragen, die freilich in sehr vielen Fällen durch die Herrschaft rein gewohnheitsmäßiger Regelung dieser Verhältnisse nur beschränkte Ausbeute gewähren werden.

Eine ähnliche Rolle ist die Frage nach den Lohnformen zu spielen bestimmt. Es darf bei den Herren Mitarbeitern die Bekanntschaft mit der gangbaren Literatur hierüber (z.B. mit dem Buche von Schloß-Bernhard) als bekannt vorausgesetzt werden. Im übrigen ist ja zur Zeit eine dringend zur Lektüre zu empfehlende umfangreiche Publikation des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen im Gange, welche eben diesen Punkt, zunächst für die Eisen- und Maschinenindustrie, eingehend behandelt. Wenn also eine Analyse des Lohnsystems nur um seiner selbst willen nicht im Plan dieser Erhebung liegt, so werden die Herren Mitarbeiter doch selbstverständlich nicht umhin können, sich, vor allem weiteren, für ihr Arbeitsgebiet mit diesem Punkt auf das eingehendste vertraut zu machen. Denn einerseits ist die Einwirkung des Lohnsystems auf die Arbeitsleistungen und damit auch diejenigen Qualitäten – namentlich psychischer Art – welche die Arbeiter entwickeln, die denkbar einschneidendste. In außerordentlich vielen Fällen, in denen geglaubt wurde, man habe es mit unabänderlichen, sei es angeborenen, sei es durch Tradition und Milieu bestimmten Qualitäten einer bestimmten Arbeiterschaft, insbesondere mit ein für allemal gegebenen physisch oder psychisch bedingten Schranken ihrer Leistungsfähigkeit zu tun, haben Aenderungen des Lohnsystemes[39] nach hinlänglicher Wirkungszeit gezeigt, daß in Wahrheit die Art ihres Interesses an Quantität oder Qualität der Arbeit das Entscheidende war. Dazu treten die weittragenden Folgen, welche die Differenzen der Lohnsysteme für die Interessenlage der einzelnen Schichten der Arbeiterschaft eines Betriebes im Verhältnis zueinander, zu den Werkführern, Vorarbeitern, Akkordgruppengenossen usw. mit sich bringt. Es hängt die ganze innere Struktur des Arbeitsprozesses und die Bildung »sozialer« Gruppen, in welche die Arbeiterschaft zerfällt, die mehr monarchisch-autoritäre oder mehr voluntaristische Art der Arbeitsverteilung und Disziplin innerhalb dieser Gruppen (Tatsachen, die für die Beantwortung vieler Fragen des »Arbeitsplans« hervorragend wichtig sind) mit dem Lohnsystem auf das innigste zusammen. Die allgemeinen Typen, um welche es sich dabei handelt, sind aus der Literatur bekannt, aber die Feststellung für jeden Einzelfall ist selbstverständliche Voraussetzung jeden Eindringens in die »Berufspsychologie« einer konkreten Arbeiterschaft. Wo verschiedene Großindustrien miteinander auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, aber auch, wo innerhalb des gleichen Betriebes verschiedene Arten von Arbeit von, einander sozial gleichstehenden, Arbeiterkategorien geleistet werden, gehört die »Lohnpolitik« zu den wichtigsten Problemen des Unternehmens und wäre, soweit darüber irgend exakte Aufschlüsse zu erlangen sind, möglichst eingehend zu studieren. Andererseits aber ist die Art des bestehenden Lohnsystems, wenigstens da, wo es nicht rein durch Tradition überkommen, sondern rational zum Zweck optimaler Arbeitsanspannung gestaltet ist, eines der allerwichtigsten Symptome, sehr oft ein direkter Fingerzeig dafür, auf welche Qualitäten ihrer Arbeiterschaft die betreffende Industrie das entscheidende Gewicht legen muß, und welche sie demgemäß durch direkte oder indirekte Prämiierung ihren Arbeitern bzw. den einzelnen Gruppen derselben anzuerziehen trachtet. Freilich ist sowohl Lohnsystem wie Lohnsatz der einzelnen Kategorien von Arbeitern vielfach keineswegs rational, sondern durch, zuweilen ganz irrationale, Traditionen beherrscht. Es wird daher in jedem Falle notwendig sein, nicht nur die Existenz eines bestimmten Lohnsystems festzustellen, sondern zunächst: inwieweit Tradition und inwieweit reine rationale Erwägungen dasselbe bestimmt haben, inwieweit es letzterenfalls Arbeitsanspannung oder, »Bremsen« provozieren kann, und[40] vor allem auch: ob in letzter Zeit Aenderungen, aus welchen Erfahrungen heraus, zu welchen Zwecken und mit welchem Ergebnis sie vorgenommen sind. Selbstverständlich wäre dabei möglichst sorgfältig festzustellen, ob etwa gleichzeitig mit der Aenderung des Lohnsystems oder – was ebenfalls charakteristisch sein kann – ob im Gefolge dieser Aenderung ein, plötzlicher oder allmählicher, Wechsel im Personal der Arbeiterschaft sich vollzogen hat und aus welchen Gründen. Vielleicht wird dabei gerade ein etwaiger, ganzer oder teilweiser, »Mißerfolg« bei der Einführung eines neuen Lohnsystems für den Bearbeiter besonders lehrreich im Sinne dieser Erhebung sein können. Denn: so weitreichend die Folgen der Lohnsysteme sind, ihre Einwirkung ist dennoch nicht allmächtig. Auch unter sonst gänzlich gleichen Umständen erzielt keineswegs jedes neue Lohnsystem bei jeder Arbeiterschaft die gleichen Resultate. Gerade solche Schranken der Einwirkung des im Lohnsystem liegenden Arbeitsanreizes und die etwaigen Verschiedenheiten in der Reaktion von Arbeitern verschiedener ethnischer, geographischer, kultureller, sozialer, konfessioneller usw. Provenienz auf die gleichen Lohnsysteme interessieren in ganz besonderem Grade für die Fragestellung dieser Erhebung.

Für die Methodik der Erhebung ist, wie schon hieraus hervorgeht, von unmittelbarem praktischen Interesse die Frage, wie sich auf Grund des Lohnsystems die Lohnbuchführung und Lohnkostenkalkulation und die rechnerische Prüfung des »Nutzeffekts« der Arbeiter gestaltet. Wo es sich darum handelt, einigermaßen exaktes Zahlenmaterial für die persönlichen, durch ethnische, soziale, kulturelle Provenienz bestimmten, Unterschiede der Leistungsfähigkeit zu gewinnen, wird der Bearbeiter in erster Linie auf diese Quelle angewiesen sein, wo immer sie ihm zugänglich ist. Ob nun die Lohnbuchführung eines industriellen Betriebes für die Zwecke dieser Erhebung direkte Ergebnisse verspricht, hängt in allererster Linie davon ab: ob sie darauf eingerichtet ist, die Leistungen jedes einzelnen Arbeiters direkt oder indirekt der Berechnung und fortlaufenden Kontrolle zugänglich zu machen, und ob zugleich die Praxis bezüglich der »Akkordgrenze« geeignet ist, optimale Leistungen zu begünstigen. Es käme zunächst darauf an, inwieweit eine auf den individuellen, für die Einzelleistung aufgestellten Akkordzetteln oder auf ähnlichen exakten Unterlagen[41] beruhende, Akkordsatz, Soll-Stundenzahl und faktische Leistung in jedem Fall feststellende, Buchführung über die Lohnkosten (insbesondere zum Zweck der Nachkalkulation) besteht. Dies ist bei Betrieben, welche mit individuellen Prämienlohnsystemen arbeiten, meist notwendig. Aber auch viele mit einfachem Akkordsystem arbeitende Betriebe haben im eigenen Interesse eine solche jeden einzelnen Arbeiter erfassende Statistik durchgeführt. Und darüber hinaussucht man nicht nur die Lohnkosten, sondern auch die effektiven Leistungen jedes einzelnen Arbeiters exakt zu erfassen, und es bestehen die mannigfachsten, das Maß der Ausnutzung der Maschinen durch die einzelnen Arbeiter kontrollierenden Apparate. Wo die Buchung hinlänglich genau ist, kann aus den betreffenden Notizen das Schwanken der Arbeitsleistung von Tag zu Tag festgestellt werden, – theoretisch wäre bei manchen solcher Vorrichtungen (z.B. den Schützenschlagzählern in der Weberei) sogar die Kontrolle von Stunde zu Stunde möglich. Nur wo die Rentabilität der Verwendung jedes einzelnen Arbeiters dergestalt, genau entsprechend der Rentabilität der Verwendung der einzelnen Maschinen-, Kohlen-und Rohmaterialiensorten, festgestellt wird – und das ist, aus den verschiedensten Gründen, nur in Teilen (festzustellen wäre: in welchen?) der Großindustrie möglich und zweckmäßig –, da wird der Bearbeiter das mögliche Maximum von Exaktheit des Materials zur Ausbeute erlangen können. Wo Gruppenakkordsysteme bestehen, müßte in jedem Einzelfalle nachgeprüft werden, ob und welche für die Zwecke dieser Erhebung wichtigen Schlüsse, je nach der Art der Gruppenbildung und der Lohnberechnung, aus der Lohnbuchführung entnommen werden können. Es ist keineswegs an dem, daß die bloße Existenz des Gruppenlohnsystems die Gewinnung geeigneten Materials unmöglich machte. Vielmehr ist da, wo dem einzelnen Arbeiter sein Anteil am Gruppenverdienst in Form einer, je nach Entwicklung seiner Leistungsfähigkeit auf- und absteigenden, Einschätzung zu einem »Stundenlohnsatz«, der alsdann die Grundlage der Verdienstverteilung innerhalb seiner Gruppe darstellt, zugewendet wird, die Gewinnung rechnerischer Grundlagen für die Ermittelung der individuellen Leistungsfähigkeit zwar nur »relativ« exakt und zeitraubend, aber keineswegs unmöglich. Jedenfalls ist es, wo immer der Bearbeiter Einsicht in derartiges Material gewinnen kann, von erstklassigem Werte[42] für die Zwecke dieser Erhebung und sollte in jedem Fall unter den für diese maßgebenden Gesichtspunkten eingehend durchgerechnet werden.

Für die Verwertung jenes Lohnbuchführungsmaterials wird sich nun voraussichtlich jeder der Herren Mitarbeiter seine Methode selbst schaffen und dabei erwägen und erproben müssen, inwieweit die von ihm gewählte Fragestellung für die Zwecke der Erhebung fruchtbar zu werden verspricht. Bemerkt sei nur: Es würde u.a. wohl jedenfalls auf folgende Ermittelungen ankommen: 1. etwaige Differenzen der Löhnungsmethoden, die durch Verschiedenheiten der Provenienz bedingt sind, und ihre Gründe, 2. Differenzen in Höhe und Stetigkeit der Leistungen bei den Arbeitern verschiedener Provenienz bei gleichbleibenden Akkordsätzen einerseits, Verschiedenheiten der Einwirkungen von Aenderungen der letzteren (Einführung von neuen Lohnsystemen, insbesondere Akkordsystemen, Heraufsetzung des Akkordlohnsatzes bei ungenügenden oder – das weitaus häufigere – Herabsetzung bei hohem Verdienste) andererseits, ferner 3. Verschiedenheit im Tempo der Zunahme der Leistungsfähigkeit der Arbeiter, gemessen an der Entwicklung ihrer Akkordverdienste (wo diese nicht buchmäßig feststellbar sind: Häufigkeit und Maß der Herabsetzung des Akkordsatzes oder, bei Gruppenakkorden, der Aenderung der Stundenlohneinschätzung, als Surrogat), 4. Vergleich der Entwicklung der Verdienstkurven bei Arbeitern verschiedener Provenienz und gleicher Beschäftigungsart einerseits, gleicher Provenienz und verschiedener Beschäftigungsart andererseits, dabei namentlich: a) Feststellung der Zeitdauer bis zur Erreichung der Höchstverdienstfähigkeit und sodann b) der Zeitdauer, während deren sich der Arbeiter auf der Höhe seiner Verdienstfähigkeit erhält, unter Feststellung der Lebensalter, in denen diese erreicht wurde und zu sinken begann, sowie derjenigen Aenderungen in der Entlohnungs- oder Beschäftigungsart, welche die Abnahme der Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter bedingt. Dieses alles kann zur Beantwortung der Frage: wie schnell das Maximum der Leistungsfähigkeit 1. je nach der Eigenart der Arbeitsleistung, – 2. je nach der örtlichen, ethnischen, sozialen, kulturellen Provenienz und Eigenart der Arbeiter von ihnen erreicht und wie lange Zeit hindurch es erzielt wird, und damit für die entscheidenden Fragen dieser Erhebung, Anhaltspunkte gewähren.

[43] Inwieweit in den einzelnen Industrien die Lohnbuchungen bzw. die Lohnkostenkalkulationen sich als Unterlagen solcher Rechnungen geeignet erweisen werden, kann nur die Probe lehren. Es ist ferner begreiflicherweise keineswegs als selbstverständlich vorauszusetzen, daß jeder beliebige Industriebetrieb sich geneigt zeigen sollte, einem ihm unbekannten Dritten Einsicht in seine Lohnbücher zu gewähren. Allein auf der anderen Seite ist keinerlei Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Industrie im allgemeinen glauben sollte, die Verwertung dieser ihrer für private Zwecke geschaffenen Statistik für die Zwecke dieser Erhebung gebe zu Bedenken Anlaß. Weder in diesem speziellen Fall noch sonst soll selbstverständlich den Betriebsleitern zugemutet werden, irgendwelche Betriebsgeheimnisse preiszugeben. Auch nicht etwa (so äußerst wünschenswert an sich die Kenntnis solchen Materials wäre) ihre Selbstkostenkalkulation. Der Bearbeiter wird in sehr vielen Fällen zunächst auf das Bedenken stoßen, daß die Einsicht in die Lohnkostenkalkulation tatsächlich einen, wichtige Betriebsgeheimnisse gefährdenden, Einblick in die Selbstkostenkalkulation überhaupt gebe. Es ist jedoch, in ausnahmslos allen Fällen, bei beiderseitigem guten Willen möglich, die Exzerpte und, erst recht, die eventuell zur Publikation gelangende Zahlen so zu gestalten und so streng auf solche Daten zu beschränken, daß nicht die geringste Möglichkeit einer für einen Konkurrenten brauchbaren Nachrechnung der effektiven Selbstkosten einer bestimmten Warenqualität besteht. Denn daß der Bearbeiter nicht den Inhalt der zur Nachkalkulation ausgefüllten Kommissionszettel exzerpieren oder gar publizieren kann, – daß er aber auch nicht das geringste Interesse daran hat, dies tun zu dürfen, liegt auf der Hand. Und gerade für die wichtigsten Fragen (z.B. bei den Auszügen aus der Lohnbuchführung und den Nutzeffektkalkulationen) würde die Feststellung von Relationszahlen genügen. Es würde nicht einmal irgendeine Publikation der absoluten Höhe der Lohnverdienste und der Akkordtabellen (wie sie doch von großen Industrien freiwillig in sehr erheblichem Umfange, zum Teil im Wege des Austausches unter den Konkurrenten, erfolgt) erforderlich sein. In jedem Falle wäre es auf das lebhafteste zu begrüßen, wenn eine möglichst große Zahl von Mitarbeitern das persönliche Vertrauen von Leitern großer Betriebe so weit gewinnen könnte, daß ihnen derartiges Material anvertraut[44] würde. – Möglicherweise würde seitens vieler Betriebsleitungen vorgezogen werden, die erforderlichen Auszüge und Rechnungen durch eigene Angestellte des Betriebs ausführen zu lassen. Es kann jedoch den Mitarbeitern nicht dringend genug ans Herz gelegt werden, nach Möglichkeit selbst sich hinter die Lohnbücher zu setzen und die, gewiß zu einem großen Teil rein mechanische, Arbeit dieser Auszüge wenigstens teilweise selbst zu machen. Nach meinen persönlichen Erfahrungen geben einige Dutzend sorgfältig selbst durchgearbeiteter und durchgerechneter und dabei in allen Einzelpunkten mit dem Betriebsleiter oder seinen Beamten erörterter Lohnzettelblocks oder Nutzeffektaufstellungen dem Bearbeiter über die Koeffizienten der Arbeitsleistung, über die Fragen insbesondere, inwieweit Material, Maschinen, Wechsel der Beschäftigungsart, Arbeitsunterbrechung, »Bremsen« seitens des Arbeiters oder (in Zeiten der Absatzstockung) seitens der Fabrik (durch die heute in diesem Fall so häufige Kontingentierung der Leistungsmaxima), über die sehr verschiedenen und oft komplizierten Anreize, welche die Lohngestaltung enthält, den Effekt beeinflussen, endlich über Maß und Richtung, in welcher, nach Berücksichtigung all dieser Umstände, wirklich die individuelle Eigenart des Arbeiters den Ablauf seiner Verdienstkurve bedingt, ein weit sicheres Urteil, als die größte Massenstatistik und als der Anblick einer noch so schönen Zahlenreihe, die ein anderer für ihn exzerpiert hat. Immerhin: in vielen Fällen wird der Bearbeiter, wenn überhaupt, dann nur von der Fabrik selbst ausgezogenes Material erhalten können; und nachdem er selbst an einer Reihe von eigenen Rechnungen sich einen leidlich sicheren Eindruck von der Art, wie die Zahlen entstehen, verschafft hat, unterliegt es natürlich überhaupt keinerlei methodischem Bedenken, wenn er die Hilfe der Betriebsbeamten, sofern sie für die Herstellung derartiger Auszüge zu haben ist, dankbar annimmt. Derartige Mithilfe könnte ja, während der geschäftsstillen Jahreszeiten der betreffenden Betriebe, für deren Buchführungsbeamte einen kleinen Nebenverdienst abwerfen und in ihrem Resultat vielleicht auch den Betriebsleiter interessierendes Material liefern. Die gegenwärtige Depressionsperiode würde an sich für die Inanspruchnahme der Betriebsleitungen mit derartigen Fragen ganz besonders günstig sein, – wennschon es freilich wenig wahrscheinlich ist, daß das Beispiel einer Setzerei, welche in einer ähnlichen Periode[45] einmal einige Maschinen für die Zwecke eines bestimmten psychophysischen Experimentes laufen ließ, innerhalb der eigentlichen Großindustrie so leicht Nachahmung finden würde. –

Bei alledem wird in nicht wenigen Fällen, sei es, weil geeignete Rechnungen nicht vorhanden sind, sei es, weil sie nicht oder nur teilweise zur Verfügung gestellt werden können, der Bearbeiter auf weniger exakte Quellen für die Untersuchung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter in ihrer Entwicklung und in ihren Unterschieden angewiesen sein. Zunächst wäre in jedem Fall zu ermitteln, auf welchem Wege sich innerhalb der betreffenden Industrie bzw. Arbeiterkategorie die Auslese der Leistungsfähigen im einzelnen vollzieht. Daß überhaupt eine Auslese der rentablen Arbeiter kontinuierlich irgendwie stattfindet, ist für jede einzelne Industrie, gleichviel welches Lohnsystem und welche sonstigen ökonomischen Grundlagen des Arbeitsverhältnisses sie besitzen möge, unter der Herrschaft des Kapitalismus ganz ebenso Grundnotwendigkeit ihrer Existenz wie die Auslese aller übrigen Produktionsfaktoren unter Rentabilitätsgesichtspunkten. Die Frage ist jedesmal nur: in welcher Form sie sich vollzieht. Sie kann – wo die Fabrik Lehrlinge heranbildet – in groben Fällen von Unfähigkeit schon während der Lehre einsetzen. Wo Akkordlohn besteht, werden Arbeiter, welche nach angemessener Anlernefrist sich als offenbar unfähig erweisen, den der Akkordberechnung zugrundegelegten Sollverdienst (ein solcher liegt bekanntlich jeder Akkordfestsetzung zugrunde) und also das kalkulierte Durchschnittsmaß von Ausnutzung der Maschinen zu erzielen, ausgeschieden. Unter englischen Verhältnissen spielt bekanntlich unter Umständen der Gewerkverein die gleiche Rolle, sofern er die Fähigkeit, einen gewissen Mindestverdienst im Akkordlohn zu erreichen, zur Bedingung der Zulassung zur Mitgliedschaft, und das heißt häufig: zur Mitarbeit, macht. Es wäre in jedem Fall der Mühe wert, zu untersuchen, inwiefern deutsche Arbeiterorganisationen auf anderen Wegen und indirekt ebenfalls eine derartige »Auslese« ihrer Mitglieder vollziehen. Wo dieses der Fall sein sollte, wäre natürlich die Vergleichung der Provenienz und Eigenart der organisierten mit derjenigen der nichtorganisierten Arbeiter für die Erhebung von Bedeutung. In anderen Fällen ist es die Akkordgruppe und ihr, sei es frei gewählter, sei es ihr zugewiesener, Vorarbeiter, welche sich innerhalb gewisser Grenzen selbst ergänzt und so die[46] Auslese der für eine bestimmte Arbeit Leistungsfähigen vollzieht. Unfähige Mitglieder wird die Betriebsleitung durch Herabsetzung ihres Stundenlohnsatzes (der den Divisor für die Verdienstverteilung bildet) zurückzusetzen, schließlich zum Ausscheiden zu veranlassen genötigt. Die Aufgabe, wirklich Zuverlässiges und vor allem zugleich Typisches über die Art und Richtung dieser Auslese in Erfahrung zu bringen, ist natürlich stets ziemlich schwierig; aber der Versuch dazu sollte unbedingt gemacht werden. Meist werden die Beobachtungen und Angaben der Meister, Werkführer und Inspektoren über die Qualitäten der Arbeiter die Unterlage für die Zuweisung von Arbeiten an die einzelnen Arbeiter und, eventuell, für die Zusammensetzung der Akkordgruppen bilden. Es wird von den Verhältnissen der einzelnen Industrien und ihrer Betriebe und auch von der Geschicklichkeit der Herren Mitarbeiter abhängen, inwieweit es möglich ist, das oft sehr große Kapital von Erfahrungen, welches speziell diese Betriebsbeamten über die Unterschiede der Leistungsfähigkeiten und deren Bedingungen im Laufe ihres Dienstes erworben haben, für die Zwecke dieser Erhebung direkt oder indirekt nutzbar zu machen. Inwieweit dies durch eine persönliche systematische und eingehende Befragung dieser Angestellten über die Gesichtspunkte, nach denen, und über die Richtung, in welcher sich jene Auslese vollzieht, möglich sein würde: – was naturgemäß immer das Erstrebenswerteste wäre –, hängt selbstverständlich in erster Linie von der ausdrücklichen Zustimmung der Arbeitgeber ab. Der Erfolg der Erhebung ist also sehr wesentlich dadurch bedingt, daß die Arbeitgeber unbefangen und weitsichtig genug sind, um die sichere Ueberzeugung zu gewinnen, daß hier nichts »herausgefragt« werden soll, mit dessen Mitteilung sie nicht einverstanden sein könnten, ferner, daß ihnen die Persönlichkeit des Mitarbeiters Vertrauen zu dessen Unbefangenheit einflößt, und endlich, daß sie erkennen, daß es sich um einen wissenschaftlich wirklich wertvollen Zweck handelt. Wo der Mitarbeiter in dieser Hinsicht auf entschiedenes und nicht zu beseitigendes Mißtrauen stößt, verspricht die Erhebung keinen Erfolg. Im übrigen wird der Bearbeiter seinerseits selbstverständlich alles, was er nicht selbst gesehen oder durch Einsicht in Lohnbuchungen oder anderweit selbst authentisch feststellen konnte, stets mit der ausdrücklichen Bemerkung wiedergeben müssen, daß es sich um[47] ihm gemachte Mitteilungen, nicht um eigene Feststellungen, handelt.

Was ein vertrauenswürdiger Bearbeiter bei jedem nicht übermäßig ängstlichen Betriebe ohne Schwierigkeiten durchsetzen wird, ist: die Erlaubnis, die Stammrolle (Arbeiterbuch) einzusehen und zu exzerpieren. Jeder Fabrikbetrieb muß als Minimum von Ausweisen über die Personalien seiner Arbeiter zur Verfügung haben, was die Invalidenkarte ergibt, also: Geburtsdatum und Geburtsort, daneben (was für die Frage der Länge des Arbeitsweges von Wichtigkeit werden kann) die derzeitige Wohnung seiner Arbeiter. Schon daß auf diese Weise die geschlechtliche und Altersgliederung und die Provenienz der Arbeiter für jeden Betrieb ermittelt und mit ihrer (ebenfalls wohl immer ohne Schwierigkeit zu erfragenden) derzeitigen Beschäftigungsweise zusammengestellt, eventuell (da fast alle Betriebe solche Bücher aufbewahren) im Zusammenhang mit dem Maße des Betriebswechsels historisch zurückverfolgt werden kann, daß ferner, bei Durcharbeitung einer größeren Anzahl von Betrieben verschiedener Industrien in derselben Gegend oder derselben Industrie in verschiedenen Gegenden, Unterschiede der Altersschichtung und Provenienz herausgearbeitet werden können, ist für die Erhebung von großer Wichtigkeit. Meist enthalten die Stammrollen überdies Angaben über den Familienstand, (oft) die Konfession, zuweilen läßt sich die Art der Ansässigkeit (Mietsbesitz oder eignes Häuschen) daraus feststellen, ferner die Frage der Häufigkeit erblicher Arbeit im selben Betriebe nachgehen. Immer aber kann man so den charakteristischen Gegensatz von Industrien mit lokalem Arbeiterstamme (neben dem sehr oft eine, eben dieser landsmannschaftlichen Kohäsion wegen, sehr flottante Outsiderschaft steht, welche die Durchschnittsdauer der Betriebszugehörigkeit drückt) und mit freier Arbeiteranwerbung, ebenso die Entwicklung nach der einen oder anderen Richtung ermitteln und durch verständige Fragestellungen in ihren Gründen und Folgen aufklären. Es sollte im allgemeinen stets mit der Durcharbeitung dieses Materials begonnen werden, welches zuweilen weit interessantere Aufschlüsse bietet, als der Bearbeiter – und oft auch: der Betriebsleiter – anfänglich erwartet. –

Mit demjenigen Material, welches von seiten der Arbeitgeber oder ihrer Angestellten gewonnen wird, wäre nun die Befragung [48] der Arbeiter zu kombinieren. An diesem Punkt erheben sich voraussichtlich erhebliche prinzipielle methodische Schwierigkeiten. Diese werden wahrscheinlich nicht in der Erlangung von Auskünften von seiten der Arbeiter an sich liegen. Die Arbeiterorganisationen haben in ihren eigenen Publikationen sowohl wie gelegentlich verschiedener Erhebungen von amtlicher und privater Seite gezeigt, daß sie nicht nur mit großer Bereitwilligkeit entgegenkommen, wo immer sie sich von dem wissenschaftlichen Wert einer Erhebung überzeugen, sondern daß ihre Mitglieder auch in der keineswegs immer einfachsten Kunst der richtigen Beantwortung von Fragebogen für statistische Zwecke oft recht gut geübt sind. Die Schwierigkeit läge vielmehr darin, Material von seiten der Arbeiter zu gewinnen, welches mit dem von seiten der Unternehmer gewonnenen zu einem Ganzen kombinierbar wäre. Das Ideal wäre in dieser Hinsicht natürlich das eingehende Studium einer möglichst großen Anzahl von Betrieben mit Analyse der Ergebnisse ihrer Stammrollen und Lohnbücher, Bearbeitung der Angaben der Arbeitgeber und ihrer Beamten auf der einen Seite und einer vollständig durchgeführten Befragung der gesamten Arbeiterschaft der gleichen Betriebe in bezug auf: örtliche, ethnische, soziale, kulturelle Provenienz, Berufsschicksal, Arbeitsstellung und alle anderen objektiven und subjektiven Fakta, welche für diese Erhebung in Betracht kommen, auf der anderen. Wo immer dies durchgerührt werden kann, sei es selbst nur für einen einzelnen (hinlänglich umfangreichen!) Betrieb, wäre es in erster Linie anzustreben. Stößt dies auf technisch unüberwindliche Schwierigkeiten, so würde, falls die Durcharbeitung der Stammrollen und des Kalkulations- und Lohnbuchführungs-Materi als oder der anderweitigen verwertbaren Auskünfte das Bestehen charakteristischer Differenzen der Arbeitseignung wahrscheinlich machen, zur Feststellung ihrer etwaigen ethnischen, sozialen und kulturellen Bedingtheit natürlich nicht schlechthin unbedingt die Befragung der gesamten Arbeiterschaft der betreffenden Kategorien notwendig sein, sondern es könnte die Untersuchung einer (immerhin: möglichst großen) Anzahl von solchen Arbeitern, welche quantitativ oder qualitativ besonders charakteristisch differenziert erscheinen, unter Umständen den Zweck erfüllen. Allein selbst in dieser Beschränkung kann nach Lage der Verhältnisse nicht unbedingt darauf gerechnet werden,[49] daß diese Fälle zahlreich genug sein werden, um in ihrer Gesamtheit ein hinlänglich gesichertes Bild von dem, was die Arbeiterschaft über diese Verhältnisse auszusagen hat, zu gewähren. Auch wenn die Betriebsleitungen das denkbar größte Entgegenkommen in bezug auf die Gestattung direkten Verkehrs mit den Arbeitern und direkter Verteilung von Fragebogen an sie zeigen sollten, so ist damit noch nicht immer gewährleistet, daß die Arbeiterschaften ihrerseits gegenüber einer von den Betriebsleitungen zugelassenen oder unterstützten Erhebung sich nicht mehr oder minder ablehnend verhalten. Dieses Mißtrauen wird nicht immer zu überwinden sein, trotz der nach meinen Erfahrungen meist anzuratenden ausdrücklichen Aufforderung zur Fortlassung der Namen der Befragten in den Fragebögen und trotz der ausdrücklichen Garantie, daß das von beiden Seiten gelieferte Material ausschließlich den mit der Aufnahme und Verwertung beschäftigten wissenschaftlichen Bearbeitern zur Verfügung stehen wird. Es wird also in vielen Fällen auf die angegebene Art der Materialbeschaffung von der Arbeiterseite verzichtet werden müssen, und die auf das Material und die Auskünfte der Betriebsleiter und Angestellten gestützte Erhebung wird alsdann vielfach nur die Mitteilungen dieser Seite, ergänzt durch persönliche Beobachtungen des Bearbeiters, zum Ausdruck bringen. Eine Ergänzung durch Ausgabe von Fragebogen an die für die betreffenden Regionen bestehenden örtlichen Organisationen der Gewerkschaften und Gewerkvereine der verschiedenen Richtungen kann alsdann – so erwünscht sie ist – einen wirklich vollen Ersatz für diesen Ausfall naturgemäß nicht liefern. Die Arbeiterorganisationen erstrecken sich quer durch die Betriebe ihrer Branche hindurch. Sie umfassen nicht regelmäßig sämtliche Arbeiterkategorien eines Betriebs. Andererseits umfassen sie nicht selten Arbeiter aus Betrieben verschiedener Produktionsrichtung. Wenn also nicht alle Betriebe, in denen Mitglieder der Organisation beschäftigt sind, analysiert werden und nicht annähernd alle Arbeiterkategorien dieser Betriebe organisiert sind, – was schwerlich je zutrifft –, findet schon aus diesen Gründen eine Kongruenz des zu bearbeitenden Materials nicht statt. Vor allen Dingen stellen auch die kräftigst entwickelten Organisationen regelmäßig nur eine Auslese aus der Gesamtheit der Arbeiterschaft der betreffenden Kategorie dar, die nicht selten in geringer persönlicher Berührung, zuweilen[50] direkt im Gegensatz zu den nicht organisierten Arbeitern steht, so daß auch der (stets zu erwägende) Versuch, durch ihre Vermittlung die Fragebogen an die nichtorganisierten Arbeiter der betreffenden Betriebe verteilen zu lassen, wohl nicht immer aussichtsreich wäre. Eine annäherungsweise erschöpfendes Material für die Beurteilung des typischen Berufsschicksals einer Arbeiterkategorie kann naturgemäß am ehesten von gewissen hochqualifizierten »gelernten« Arbeitern erwartet werden, wo die Arbeiterorganisationen zuweilen annähernd die Gesamtheit der betreffenden Arbeiterkategorie umfassen.

Daraus ergibt sich, daß in vielen Fällen die Erhebung in zwei gesonderten Typen von Erhebungsweisen auseinanderfallen muß: 1. Die eine wird, wo immer sie kann, die Analyse von Betrieben unter Berücksichtigung vornehmlich der Fragen des »Arbeitsplans« zum Ausgangspunkt nehmen. Sie wird zunächst die innere Gliederung der Arbeiterschaft nach Kategorien der Arbeiter, also: den Bedarf an Arbeitskräften bestimmter Art, den je eine bestimmte Maschine zu ihrer Bedienung und den je eine technische Betriebseinheit von bestimmter Größe nötig hat, zahlenmäßig feststellen, alsdann das Lohnsystem in Voraussetzungen und Wirkungen. Sie wird ferner Stammrollen und, wenn irgend möglich, die Lohnbücher zu analysieren suchen, weiter die Erfahrungen der Betriebsleiter und Angestellten und diejenigen von Fachtechnikern, welche die Anforderungen der Maschinen an die Arbeiter in ihrer Entwicklung in der letzten Zeit kennen, verwerten, und alsdann tunlichst ihre Ergebnisse durch persönliche Erhebungen unter der Betriebsarbeiterschaft ergänzen. Wo sie sich etwa mit Fragebogen an die örtlichen Organisationen der Arbeiterschaft wendet, wird sie daneben nach Möglichkeit die persönliche Recherche über die vielleicht sehr abweichenden Verhältnisse der nichtorganisierten Arbeiter versuchen müssen. – Die Anregung zur Ausbeutung des Materials der Berufsgenossenschaften und anderer Arbeiterversicherungsanstalten für die Ermittelung der Betriebswechselfrequenz und ähnlicher Fragen, wie sie von geschätzter Seite gegeben wurde, erscheint sehr beachtenswert.

2. Die andere Art von Erhebung wird sich mit Hilfe des Fragebogens an die Arbeiterorganisationen wenden, und zwar, da in diesem Fall der Wert des Materials mit der Zahl der beantworteten Fragebogen wächst, möglichst große Gebiete,[51] unter Umständen das Gesamtgebiet des Reichs, zugrundelegen, also nicht die örtlichen, sondern, in erster Linie wenigstens, die zentralen Instanzen der Arbeiterorganisationen um ihrer Mitwirkung, insbesondere um die Vermittelung bei den kleineren Organisationen bitten, welche dann ihrerseits um Uebernahme der Adressierung der ihnen – in frankiertem Kuvert und adressiertem und frankiertem Rückkuvert – zuzustellenden Fragebogen zu ersuchen wären. Dabei wird die Möglichkeit, die Verhältnisse der nichtorganisierten Arbeiter mit zu erfassen, regelmäßig nicht gegeben sein. Vielmehr würde diese Erhebungsweise auf möglichst umfassende Auszählung des Materials unter möglichst vielen einzelnen und kombinierten Gesichtspunkten und alsdann, soweit möglich, auf Deutung der so gewonnenen Zahlen aus bekannten oder mit Hilfe von erfahrenen Technikern festzustellenden Entwicklungstendenzen der betreffenden Industrie ausgehen.

Naturgemäß lassen sich aber außer diesen beiden Typen noch andere Kombinationen von Ausgangspunkten denken, und jede Arbeit, welche auch nur ein wichtiges Teilproblem der Erhebung unter einem selbstgewählten Gesichtspunkt behandelt, kann willkommen sein, sofern sie nur sich innerhalb des Bereichs ihrer wesentlichen Ziele: – Feststellung des Einflusses ökonomisch-technischer Eigenarten der geschlossenen Großindustrien und ihrer Umgestaltungen auf die Eigenart ihrer Arbeiterschaft und umgekehrt – hält. Wo infolge geographischer Konzentriertheit einer Industrie jene hauptsächlich in Betracht kommenden beiden Arbeitsrichtungen der Erhebung in der Hand eines Bearbeiters kombiniert werden können, ist dies besonders erfreulich. Allein dies wird nicht immer der Fall sein können. Und da auf die Erhebung eines möglichsten Maximums von Material bei den Arbeiterorganisationen keinesfalls verzichtet werden sollte, so wird jedenfalls neben dem Typus Nr. 1 (auf Betriebs- bzw. Industrie-Enquete – eventuell unter Heranziehung des Materials der Arbeiterversicherungsanstalten – basierte Darstellungen) der Typus Nr. 2 (auf Gewerkschafts- bzw. Gewerkvereins-Statistik basierte Darstellungen) vielfach selbständig in der Hand besonderer Bearbeiter auftreten und es begrüßt werden müssen, wenn sich auch Mitarbeiter finden, welche lediglich diese Seite der Erhebung pflegen wollen. Andererseits wird es ebenso willkommen sein, wenn eine Arbeit sich auf die Ausbeutung[52] des Stammrollen- und Lohnbuchführungs-Materials großer Betriebe nach allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten beschränkt und dabei an der Hand eigener genauer Bekanntschaft mit der Umgestaltung der Technik einer Industrie lediglich die Verschiebungen in der inneren Gliederung der Arbeiterschaft, in den Ansprüchen an die Arbeitseignung und den typischen »Berufskarrieren« der Arbeiterschaft analysiert werden.

Ueber die Gesichtspunkte, welche für Bearbeitungen des ersten Typus in Betracht kämen, ist weiter oben bereits mancherlei gesagt und ergibt der »Arbeitsplan« das Erforderliche. Für den Fall, daß es bei derartigen Bearbeitungen gelingt, mit der Arbeiterschaft persönliche Fühlung zu gewinnen, sei nur noch auch hier ausdrücklich hinzugefügt, daß natürlich neben den oben vornehmlich behandelten, weil kompliziertere Probleme bietenden Gesichtspunkten der objektiven Arbeitseignung und des objektiven Berufsschicksals der Arbeiterschaft in ganz gleichem Maße auch ihre subjektive Attitüde zu ihrer Arbeitstätigkeit in Betracht kommt. Dahin gehören Fragen wie die: welche Arbeitsstellungen ihnen als relativ begehrenswerter gelten und warum3? Ob dabei also – darauf kommt es an – neben dem selbstverständlichen Verdienstinteresse andere Motive ausschlaggebend wirken und welche? Ob etwa bei den Arbeitern nach örtlicher, ethnischer, sozialer, kultureller Provenienz verschiedene? Inwieweit also etwaige Unterschiede in der Verteilung der Arbeiter verschiedener Provenienz auf die einzelnen Arbeitsstellungen nicht nur in Unterschieden der Arbeitseignung, sondern auch in solchen der Neigung oder der sozialen Schätzung der betreffenden Arbeitsart ihren Grund finden? (Eins von massenhaften Beispielen: die Näherinnen in Webereibetrieben, deren Arbeit ihnen, der Sauberkeit und wohl auch der Verwandtschaft mit der Hausarbeit wegen, als sozial der, höher gelöhnten, Arbeit der Weberinnen überlegen erscheint und daher oft sozial und örtlich stark abweichende Rekrutierung, namentlich: stärker städtische Rekrutierung der Näherinnen, bedingt.) Ferner: welche subjektiven Folgen die Arbeiter von der verschiedenen Art der Arbeitstätigkeit physisch und psychisch verspüren oder zu verspüren glauben, in welcher Art und Richtung[53] sich also die Ermüdung durch die Arbeit, durch den Maschinenlärm und die sonstigen Bedingungen der Arbeit subjektiv fühlbar macht und wie sie im außerberuflichen Leben nachwirkt? Ob die Arbeiter bestimmte Vorstellungen über wünschenswerte Aenderungen z.B. der Arbeitspausen, der Lohnsysteme haben, und welche (natürlich stets für die einzelnen Kategorien). Ferner, warum sie selbst diesen und keinen anderen Beruf ergriffen haben bzw. ihm von den Eltern zugewiesen worden sind? Inwieweit die Zuweisung zu dem Beruf ihren Neigungen entsprach oder durch Verdienstinteressen oder andere objektive Momente erzwungen wurde? Noch wichtiger: welchen Beruf und mit welcher Vorbildung sie ihm ihre Kinder zuzuführen beabsichtigen oder zugeführt haben und aus welchem Grunde? Endlich und namentlich die schon früher berührte Frage: Wie stellen sich die Arbeiter subjektiv zu den beiden Möglichkeiten: der gleichförmigen Beschäftigung mit einer und derselben Arbeitsverrichtung oder der Abwechslung zwischen verschiedenen (natürlich unter Ausscheidung der Fälle, wo die Stellungnahme dazu durch reine Lohnfragen von vornherein determiniert ist)? Können die Arbeiter für die in dieser Hinsicht, wie es scheint, vorkommenden Unterschiede ihrer Stellungnahme Gründe angeben? Scheinen diese durch ethnische, soziale, kulturelle Provenienz und dadurch bedingte Unterschiede der Eigenart bestimmt? Und inwiefern sind sie es andererseits durch die Eigenart der betreffenden Arbeitstätigkeiten? Nach welcher Richtung bewegt sich in den einzelnen Industrien die Entwicklung dieser Stellungnahme der Arbeiter, falls darin überhaupt eine Entwicklung kenntlich ist? In welchem Maße und unter welchen Umständen (wenn überhaupt) findet insbesondere eine Zunahme jener, wie es scheint, gelegentlich zu beobachtenden, auch inneren psychischen Bindung der Arbeiter an ihre jeweilige Beschäftigungsart statt (soweit nicht die früher erwähnten Momente: Gegensätze von Alter und Familienstand, maßgebend sind)?

– Solche und ähnliche Fragen, wie sie der »Arbeitsplan« enthält, werden von den Arbeitern sehr oft nicht ohne weiteres, oft überhaupt nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden können. Der Umstand aber, daß sie dies nicht vermögen, erscheint alsdann – wenn gleichwohl die betreffenden Entwicklungstendenzen als vorhanden zu konstatieren sind – schon an sich charakteristisch für ihre gesamte seelische Situation und ist auch für die Zwecke[54] der Erhebung wichtig. Denn naturgemäß bildet einerseits gerade das, was einer Bevölkerungsschicht so selbstverständlich ist, daß es eben deshalb nicht besonders ausgesprochen wird, andrerseits was ihr unbewußt bleibt, weil es auf zahllosen unmerklichen Suggestionen durch ihre spezifische Umwelt beruht, die wichtigsten Komponenten ihrer inneren Attitüde zu ihrer Lebenslage. Ausdrücklich sei schließlich noch hervorgehoben, daß nach dem Zweck der Erhebung, wie er auch in dem Wortlaut des »Arbeitsplans« zum Ausdruck kommt, neben dem »Berufsschicksal« auch der außerberufliche »Lebensstil« Gegenstand der Ermittelung sein soll. Selbstverständlich nicht die übersehbare, durch keinerlei einheitliche Gesichtspunkte zusammenhaltende Mannigfaltigkeit von Details, wie sie in biographischen und anderen Versuchen, typische Arbeiterlebensläufe zu schildern, in zuweilen recht wertvoller Art in Angriff genommen worden ist. Sondern stets soll nur das herausgehoben werden, was erweislich durch die Eigenart der geschlossenen Großindustrie bedingt ist. Zunächst wird sich dabei der Bearbeiter die Frage vorzulegen haben: Welche Art von außerberuflichen Interessen kann überhaupt, produzierend oder rezipierend, ein normaler Arbeiter noch pflegen, nachdem er durch seine Berufsarbeit – nicht überhaupt: »ermüdet«, sondern: in dieser, der betreffenden Arbeitsleistung eigentümlichen Art ermüdet worden ist? Alsdann wird natürlich immer zu fragen sein: Unterscheiden sich, zunächst ganz allgemein: – Familienleben, Kindererziehung, Erholungs-und Vergnügungsformen, Formen und Gewohnheiten der Geselligkeit, Ernährungs- und Trinkgewohnheiten, geistige und ästhetische Interessenrichtung und -Betätigung nach Maß und Art (Lektüre), Beziehung zur Schule, zu den offiziellen Formen des Kirchenlebens und zu religiösen und anderen »Weltanschauungs«-Fragen usw. bei der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie merkbar gegenüber den entsprechenden Lebensäußerungen anderer Bevölkerungsschichten, die über ähnlich bemessene Einkommen und ähnliche Schulbildung verfügen? Unterscheidet sich insbesondere die obere Schicht der bestgestellten Arbeiter darin von den Subaltern- und Privatbeamten und von dem Kleinbürgertum ähnlicher Einkommens- und Schulbildungsstufen? Weiter aber: Unterscheiden sich die einzelnen durch das Maß der Gelerntheit und die Stellung im Arbeitsprozeß oder durch Alter[55] und Familienstand oder Herkunft gebildeten Kategorien der Arbeiterschaft der Großindustrien in dieser Hinsicht untereinander? Stiften die Unterschiede der Beschäftigungsart, oder des Maßes der Gelerntheit, oder der Arbeitsstellung, abgesehen von den rein ökonomischen Interessengemeinschaften, auch rein »gesellschaftliche« Gemeinschafts- und Verkehrsbeziehungen oder nicht? Und im Fall der Bejahung: Wo liegt die Grenze, und nach welchen Kriterien scheiden sich die Arbeiter im geselligen Verkehr? Daß eine solche Scheidung vielfach vorkommt, ist bekannt. In den angelsächsischen Ländern besteht zwischen den gelernten Gewerkschaftern und den darunter liegenden Schichten der Arbeiter oft nicht der geringste gesellschaftliche Kontakt: sie setzen sich zuweilen bekanntlich nur mit Schwierigkeit an denselben Tisch. Inwieweit und warum in Deutschland ähnliche Differenzierungen bestehen oder im Entstehen oder umgekehrt im Verschwinden begriffen sind, wäre von erheblichem Interesse zu untersuchen, ebenso natürlich die Frage, inwieweit Konnubium, gesellige und sonstige gesellschaftliche Beziehungen zum Kleinbeamten- und Kleinbürgertum bestehen, im Entstehen oder Schwinden begriffen sind. Soweit sie in die Fragestellung dieser Untersuchung gehören, also soweit sie durch die Eigenart der einzelnen Industrien bedingt sind, wären endlich auch die oft tief eingreifenden Einflüsse der Zugehörigkeit zu Arbeiterorganisationen der verschiedenen Art auf die Art der Lebensführung darzustellen. Es wären dabei die Betriebe sowohl nach Größe als nach Lohnsystem gesondert zu untersuchen, da je nach der ökonomischen und organisatorischen Avancementschance, das Solidaritätsgefühl oder das Individualinteresse, »Klassenbewußtsein« oder Sorge für den Aufstieg der Kinder, Auffassung der Organisation als ökonomischen Rückhalts oder als Zelle einer idealen Zukunftsorganisation überwiegen.

Arbeiten des zweiten (vorwiegend gewerkschaftsstatistischen) Typus werden für die durchzuführenden Berechnungen entweder eigener Schulung des Bearbeiters in der statistischen Technik oder aber des steten Beirats geschulter Statistiker nicht entraten können. – Es wird bei der Auszählung wohl jedenfalls 1. die Zahl der Orts- und Betriebswechsel nach den einzelnen Arbeiterkategorien und ferner nach deren Provenienz, altersklassenweise geordnet, tabellarisch dargestellt werden[56] müssen. Alsdann wäre 2. ebenfalls nach Kategorien der Arbeiter und innerhalb dieser altersklassenweise gesondert, die »Berufskarriere« derselben festzustellen. Inwieweit dies in Tabellenform möglich ist oder nicht, kann wohl erst der Befund des erhobenen Materials lehren. Es sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Frage zu den am meisten im Mittelpunkt des Interesses der Erhebung stehenden gehört. 3. wäre für die einzelnen Arbeiterkategorien deren örtliche Herkunft und diejenige der beiden Eltern, sodann der Beruf des Vaters, des Großvaters, der Geschwister und der etwa schon erwachsenen Kinder, weiter die Art der Schulbildung und Lehre, all dies nach Möglichkeit tabellarisch darzustellen. Dabei wäre eine vergleichende Darstellung gerade dieser Verhältnisse auch für die einzelnen großen Gruppen von Arbeiterorganisationen (Gewerkvereine, freie Gewerkschaften, christliche Organisationen usw.) von Interesse, ebenso andererseits die Feststellung der Verteilung dieser Gewerkschaftsarten auf die einzelnen Arbeiterkategorien (Arbeitsstellungen) und: auf die Größenklassen der Betriebe. Sodann müßten 4. die einzelnen Arbeiterkategorien auf eigenen Nebenerwerb oder den der Familie, Hausbesitz oder sonstige Ansässigkeit ausgezählt werden. Was 5. die Militärtauglichkeit anlangt, so wäre von größerem Interesse, als die Vergleichsziffern der Tauglichkeit der verschiedenen Generationen untereinander, die Feststellung des Verhältnisses von Militärtauglichkeit und Qualifikation (Berufschancen, wie sie in der Berufskarriere zum Ausdruck kommen) in den einzelnen Industrien, soweit das Material eine solche gestatten sollte. 6. Die Verteilung der konfessionellen Zugehörigkeit in den einzelnen Arbeiterka tegorien könnte unter den heutigen Verhältnissen bei der anscheinenden Bedeutung der Konfession für die Berufsneigung ein für die Auszählung ausreichendes Interesse bieten, falls es sich um Industrien handelt, welche starke konfessionelle Mischung, die nicht (wie bei den Polen) mit ethnischer Mischung kongruent ist, aufweisen.

In fast allen diesen Fällen liegt, wie bei allen Erhebungen von Berufen und Beschäftigungsarten, die Schwierigkeit in der Art der endgültig zugrundezulegenden Klassifikation der Arbeiter auf Grund ihrer Arbeitsstellungen. Diese Klassifikation kann in jedem Einzelfall kaum sorgfältig genug erwogen und kaum zu detailliert durchgeführt werden. Inwieweit die fabriküblichen[57] Bezeichnungen der einzelnen Arbeiterkategorien ausreichen würden, wäre stets vorab zu prüfen und, soweit möglich, von ihnen auszugehen. Im übrigen müßte sie bei der Würdigung der Zählungsergebnisse nach zweierlei Richtungen erfolgen. Sie hätte 1. an die schon früher erörterte Fragestellung anzuknüpfen: auf welche konkreten Qualitäten es in den betreffenden Arbeitsstellungen, nach eigenem Befund oder eingehend motivierter fachtechnischer Ansicht, vornehmlich ankommt, welche also im Einzelfall am stärksten dem Einfluß der »Ermüdung« und »Uebung« ausgesetzt sind; danach wären dann die Arbeiter in Kategorien zu scheiden, je nach dem Grade, in welchem sie wesentlich auf Muskelleistungen hin oder wesentlich auf die verschiedenen, sorgsam zu unterscheidenden Leistungen nervöser und psychischer Art in Anspruch genommen werden; 2. aber wäre auch das Maß und die Art der »Gelerntheit«, beim »Anlernen« also die durchschnittliche Dauer bis zur Erreichung der Normal- und Maximalleistung ihrer Arbeitsstellung einer Klassifikation zugrundezulegen. Danach wären die Arbeiter möglichst allseitig nach Kategorien zu scheiden, welche nun unter den vorstehenden Fragestellungen ausgezählt werden müßten, um auf ihre Provenienz und die sonstigen erfragten Verhältnisse untersucht werden zu können.

Alle vorstehenden Erläuterungen und Anregungen, welche wünschenswert schienen, um den Sinn der Erhebung unzweideutig hervortreten zu lassen, verfolgen übrigens in keiner Weise den Zweck, die Herren Mitarbeiter in der Freiheit der eigenen Ausgestaltung ihrer Arbeit sozusagen zu schulmeistern. Die wichtigste und lohnendste Aufgabe für sie wird vielmehr vielleicht gerade darin liegen, die geeigneten Fragestellungen und Methoden selbst zu erproben. Und da erst die Inangriffnahme der Arbeit darüber belehren kann, wo die eigentlichen Schwierigkeiten derselben liegen, so wird dafür im reichsten Maße Gelegenheit geboten sein. Von seiten des Vereins für Sozialpolitik als solchem wird lediglich (für die Arbeiten, die unter seiner Flagge zu segeln wünschen) die Bearbeitung der in den offiziellen Schriftstücken (Arbeitsplan und Fragebögen) festgelegten Fragen beansprucht. Mit welchen Mitteln sie erfolgt, ist durchaus der Privatinitiative überlassen. – Eines darf den Herren, welche ihr Wissen und ihre Arbeitskraft in den Dienst dieser Erhebung zu stellen gewillt sind, vorausgesagt werden: die unentbehrlichste[58] Eigenschaft, um irgendwelche (neuen!) Ergebnisse zu gewinnen, wird in diesem Fall mehr als bei irgendeiner früheren Erhebung des Vereins ein außergewöhnliches Maß von Zähigkeit in der Verfolgung des einmal gesteckten Zieles sein. Wer diese Eigenschaft nicht besitzt, bleibe der Mitarbeit fern. Es ist gänzlich ausgeschlossen, auf diesem Gebiet etwa in wenigen Monaten Resultate zu erzielen, welche es wert sind, gedruckt zu werden. –

Weitausgreifend wie die Fragestellungen der Erhebungen jetzt schon sind, stellen sie selbstverständlich doch nur einen (allerdings wichtigen) Teil einer sozialwissenschaftlichen Analyse der modernen Großindustrie dar. Außer der Erörterung der organisatorischen (»morphologischen«) Fragen kommerzieller und technischer Art, von denen eingangs die Rede war, würde ferner auch die Auslese und das Berufsschicksal der großindustriellen, namentlich der technischen, Beamtenschaft 1. für die einzelnen Industrien und 2. für die einzelnen, nach der Richtung der Vorbildung zu scheidenden Schichten der Beamten gesondert, zu untersuchen. Schließlich würde auch der keineswegs uninteressanten Frage nach der heute, gegenüber früher, erforderlichen Qualifikation und Provenienz der Unternehmer und ihrer Vermögen in den einzelnen Industrien eingehend nachzugehen sein.

Alle diese Untersuchungen vereint erst würden ein Bild von der Kulturbedeutung des Entwicklungsprozesses, den die Großindustrie vor unsern Augen durchmacht, geben können. Die Kulturprobleme, welchen damit letzten Endes nachgegangen wird, sind von ganz gewaltiger Tragweite. In einer (in der Vorbemerkung erwähnten) Denkschrift für den Unterausschuß hob A. Weber – in Uebereinstimmung mit der Auffassung vieler von uns – hervor: daß die Struktur jenes eigentümlichen »Apparates«, welchen die großindustrielle Produktionsorganisation der Bevölkerung »über den Kopf gestülpt« habe, in ihrer schicksalsvollen Bedeutung selbst die Tragweite der Frage nach »kapitalistischer« oder »sozialistischer« Organisation der Produktion übertreffe, weil das Bestehen dieses »Apparates« als solchen von dieser Alternative unabhängig sei. In der Tat: die moderne Werkstatt mit ihrer amtlichen Hierarchie, ihrer Disziplin, ihrer Kettung der Arbeiter an die Maschinen, ihrer Zusammenhäufung und doch zugleich (im Vergleich etwa mit den Spinnstuben der Vergangenheit)[59] Isolierung der Arbeiter4, ihrem ungeheuren, bis in den einfachsten Handgriff des Arbeiters hinabreichenden Rechnungsapparat, ist – begrifflich – davon unabhängig. Sie übt auf die Menschen und ihren »Lebensstil« weitgehende, durchaus ihr eigentümliche spezifische Wirkungen. Aber freilich: – darin läge wiederum die Grenze jenes Gesichtspunktes – ein Ersatz der heutigen »Auslese« nach dem Prinzip der privatwirtschaftlichen Rentabilität, mit ihrer Kettung der ganzen Existenz aller in den Betrieb, leitend oder gehorchend, Gebannten, an den Ausschlag des privaten Kosten-und Gewinnkalkuls des Unternehmers, durch irgendeine Form von gemeinwirtschaftlicher »Solidarität« würde den Geist, der in diesem ungeheuren Gehäuse heute lebt, grundstürzend ändern, und niemand kann auch nur ahnen, mit welchen Konsequenzen. Für die vorliegende Erhebung kommen solche Perspektiven nicht in Betracht, – sie darf sich zu ihrer Rechtfertigung mit der Tatsache begnügen, daß der »Apparat«, so wie er heute ist, und mit den Wirkungen, die er ausübt und deren Untersuchung hier in Angriff genommen werden soll, das geistige Antlitz des Menschengeschlechts fast bis zur Unkenntlichkeit verändert hat und weiter verändern wird.[60]


Fußnoten

1 Dieser Gefahr ist z.B. auch das hübsch geschriebene Essay von Gerson im X. Bande der »Zeitschr. f. Sozialwissenschaft« nicht überall, am wenigsten in den beiden Schlußartikeln, entgangen.


2 Eine Zusammenstellung der Probleme mit Literaturübersicht wird von mir im Archiv f. Sozialwiss.u. Sozialpol. (November- und Januarheft) versucht werden und steht, soweit der Vorrat der Separatabzüge reicht, zur Verfügung.


3 Zu diesen Fragen sind namentlich die Ausführungen von H. Herkner, Die Bedeutung der Arbeitsfreude (Dresden 1901) und Die Arbeiterfrage (5. Aufl. 1908, bes. S. 27 ff.) zu vergleichen.


4 Die Frage, inwieweit Konversation bei der Arbeit möglich ist oder (und warum) nicht, die Frage: welche Qualitäten (berufliche und andere) im Kreise der Arbeitsgenossen Geltung verschaffen, die Richtung ethischer Werturteile innerhalb der Arbeiterschaft, – alle solche und ähnliche Fragen wollen in der Art ihrer Bedingtheit durch die Werkstatt-»Gemeinschaft« (welche eben im Grunde keine »Gemeinschaft« ist) und durch das (auf seinen Grad hin zu untersuchende) Vorwiegen rein pekuniärer Beziehungen zur Arbeit studiert sein.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitk. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988.
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