Geistreich

[444] Geistreich. (Redende Künste)

Man kann sich dieses Worts bedienen, wo das Wort witzig, wegen seiner Zweydeutigkeit, nicht bestimmt genug ist. Man hat den Witz in den redenden Künsten so oft übertrieben oder gemißbraucht, daß der Ausdruk witzig, wenn man ihn von der Schreibart brancht, bisweilen einen Tadel enthält. Das Wort Geistreich scheinet von diesem Fleken noch völlig frey zu seyn, und kann für witzig gebraucht werden, wenn man die gute Anwendung des Wizes anzeigen will.

Diesemnach wäre dasjenige Geistreich zu nennen, an dem man in einzeln kleinen Theilen viel scharfsinnige, feine Gedanken und Wendungen entdekt, wodurch die Aufmerksamkeit auch bey Betrachtung des Einzelen beständig gereitzt und angenehm unterhalten wird. Das Geistreiche macht einen besondern Charakter in den Werken der Kunst aus, so wie das Pathetische. Nicht jedes schöne Werk der Kunst ist Geistreich, so wie nicht jedes Pathetisch ist. Vorstellungen, die in ihrem Wesen groß sind, und stark auf die Vorstellungs- oder Empfindungskräfte würken, dürfen nicht geistreich seyn. Dieser Charakter schikt sich für Werke von gemäßigtem Inhalt, der mehr die Einbildungskraft und den Geist, als das Herz beschäftigen soll. Durch das Geistreiche bekommen sie einen mehrern Reiz. Eine Comödie, ein Lehrgedicht, eine Satyre, auch ein Lied, dem leichten Vergnügen gewiedmet, und andre Werke von dieser Art, können Geistreich seyn. Aber eine geistreiche Tragödie oder Elegie würde aus dem Charakter ihrer Art heraustreten.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 444.
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