Leicht, Leichtigkeit

[691] Leicht, Leichtigkeit. (Schöne Künste)

Durch diese Wörter bezeichnet man eine schäzbare Eigenschaft in Werken der Kunst, die sich entweder in den Gedanken selbst, oder nur im Ausdruk derselben zeiget. Leichtigkeit in Gedanken rühmet man an den Werken, wo alle Vorstellungen in einem so natürlichen Zusammenhang neben einander sind, oder auf einander folgen, daß uns dünkt, jede habe sich dem Künstler von selbst dargebothen; darin jedes so ist, daß man denken sollte, es habe nicht anders seyn können. Daher geräth man nicht selten bey solchen Werken auf den Wahn, man würde alles eben so gemacht haben. Nirgend bemerkt man, daß der Künstler mit Mühe, oder durch Kunstgriffe die Gedanken gefunden, und an einander gekettet habe; keine Spuhr von Nebengedanken, die in andern Werken, als Gerüste gebraucht werden, um auf die Hauptsachen zu kommen. Diese Leichtigkeit macht also die Gedanken und ihren Zusammenhang höchst klar und natürlich. Deswegen vergißt man bey solchen Werken den Künstler, und seine gehabte Bemühung; nur das Werk beschäftiget uns; man glaubt die Stimme der Wahrheit [691] selbst zu hören, und die Würkung der Natur selbst zu empfinden.

Im Ausdruk ist Leichtigkeit, wenn in der Rede jeder Ausdruk genau bestimmt ist, und völlige Klarheit hat; wenn zu dem Gedanken weder zu viel noch zu wenig Worte gebraucht werden; wenn die einzelen Begriffe, die den Gedanken ausmachen, in einer Ordnung folgen, daß er ohne Müh und ohne Zweydeutigkeit gefaßt wird. In zeichnenden Künsten zeiget sich die Leichtigkeit in fließenden und sichern Umrissen, die nichts unbestimmt lassen; in dreisten Penselstrichen, denen nicht weiter nachgeholfen worden. Man sieht jede Kleinigkeit, wie man denkt, daß sie hat seyn müssen, und bildet sich ein, dabey zu fühlen, daß es dem Künstler nicht schweer worden, es so zu machen. Im Gesang und Tanz zeiget sich die Leichtigkeit der Ausübung darin, daß man auf das deutlichste bemerket, es mache dem Künstler keine Mühe, jedes vollkommen so zu machen, wie es seyn soll. Wenn die Schmeling singet, so höret man jeden Ton in der höchsten Reinigkeit, und fühlet, man sehe sie, oder sehe sie nicht, daß es ihr keine Mühe macht; man wird versucht zu glauben, die Natur und nicht eine menschliche Kehle habe diese Töne so vollkommen gebildet.

Es läßt sich begreifen, daß in jeder Kunst nur die dazu gebohrne Genie die höchste Leichtigkeit erreichen. Wer wie la Fontaine von der Natur zum Fabeldichter gebildet worden, wird auch seine Leichtigkeit darin haben. Der Künstler darf bey der Arbeit nur sich selbst beobachten, um zu wissen, ob sein Werk Leichtigkeit haben wird. Fühlt er, daß ihm die Arbeit schweer wird, daß er Gedanken und Ausdruk mit einiger Aengstlichkeit suchen muß; so kann er sich versichert halten, daß dem Werk die Leichtigkeit fehlen wird. Nur denn, wenn man sich seiner Materie völlig Meister gemacht hat; wenn man alles, was dazu gehöret, oder damit verbunden ist, mit gänzlicher Klarheit vor sich liegen sieht, kann man leicht wählen und ordnen. Eben so gänzlich muß man den Ausdruk in seiner Gewalt haben. Darum muß der Redner seine Sprache von Grundaus erlernt, der Zeichner die höchste Fertigkeit alle Formen darzustellen, der Tonkünstler eine völlige Kenntnis der Harmonie besizen, ehe die Leichtigkeit des Ausdruks bey seiner Arbeit erfolgen kann.

Man hat darum Ursache zu sagen, daß das, was am leichtesten scheinet, das schweerste sey. Nicht, als ob dem Künstler die Arbeit sauer geworden, sondern, weil es überhaupt schweer ist, wo nicht die Natur selbst fast alles gethan hat, jene völlige Herrschaft über seine Gedanken und über den Ausdruk zu erreichen. Nur der, der seine Zeit blos mit Nachdenken über die Gegenstände seiner Kunst zubringt, und dabey das gehörige Genie dazu hat, gelanget auf diese Stufe.

Selten aber wird man ohne sorgfältiges Ausarbeiten einem Werke die höchste Leichtigkeit geben können. Wenn man auch in der lebhaftesten Begeisterung arbeitet, wo alles leicht wird; so findet man hernach doch, daß noch manches fremdes, oder nicht völlig richtiges mit untergelaufen; weil man in dem Feuer der Arbeit bey der Menge der sich zudringenden Vorstellungen nicht gewählt hat. Darum dürfen auch die glüklichsten Genie die Ausarbeitung nicht versäumen. Ofte giebt erst die lezte Bearbeitung, da hier und da nur einzele Ausdrüke geändert, oder eingeschaltet, einzele ganz feine Penselstriche, durch ein feines Gefühl an die Hand gegeben, dem Werke die wahre Vollkommenheit. Erst nachdem man in der Rede jeden einzelen Begriff, jeden Gedanken, jeden Ausdruk gleichsam abgewogen hat, kann man die höchste Leichtigkeit in dieselbe bringen. Das Leichte ist allemal einfach, und das Einfache ist gemeiniglich das, worauf man zulezt fällt. Man erkennet es erst, nachdem man alle möglichen Arten dieselbe Sache darzustellen, vor sich hat, und gegen einander vergleichet.

Die Leichtigkeit ist überall eine gute Eigenschaft; aber gewissen Werken ist sie wesentlicher nöthig, als andern. Sie ist der Comödie wesentlicher, als dem Trauerspiel, und im Lied weit nothwendiger, als in der Ode. Ueberhaupt ist sie in Werken, die für ein ernstliches Nachdenken gemacht sind, weniger wichtig, als in denen, die schnell rühren, oder angenehm unterhalten sollen. Pindar hatte die Leichtigkeit des Anakreons nicht nöthig. Von unsern einheimischen Schriftstellern können Wieland, beydes in gebundener und ungebundener Rede, und Jacobi in dem Lied, als Meister des Leichten angepriesen werden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 691-692.
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