Radiren

[941] Radiren. (Zeichnende Künste)

Mit diesem ursprünglich lateinischen Worte,1 das eigentlich auskrazen oder abkrazen bedeutet, drüket man die Arbeit aus, mit der ein Zeichner vermittelst einer stählernen Nadel eine Zeichnung auf eine kupferne Platte einreißt. Dieses geschiehet hauptsächlich auf eine, mit Firnisgrund überzogene Platte2, wo mit der Nadel der Firnisgrund, so wie es die Zeichnung erfodert, bis auf das Kupfer weggekrazt wird, damit das Aezwasser, das man hernach über die gegründete Platte gießt, die mit der Nadel gerissenen Striche auf dem Kupfer ausfressen, oder einäzen könne. Man radirt aber auch auf die bloße Platte, ohne Firnis: dieses nennen einige mit der kalten Nadel arbeiten; das ist mit der Nadel die Zeichnung in das Kupfer einreissen. Es geschieht in zweyerley Absicht. Gemeiniglich, wenn eine Platte schon geäzt, und ein Probedruk davon gemacht ist, um der Zeichnung hier und da nachzuhelfen, und noch fehlende Striche hereinzubringen; aber man radirt auch kleine Zeichnungen ganz mit der kalten Nadel, so wie man mit dem Grabstichel gleich auf das bloße Kupfer sticht. Weil aber der Zeichner auf diese Weise nicht tief in das Kupfer reissen kann, und mit mehr oder weniger Kraft auf die Nadel drüken muß, so können nur kleine und flüchtige Zeichnungen so radirt werden, die hernach auch nur sehr wenig Abdrüke geben. Also muß man das Radiren hauptsächlich betrachten, in so fern es auf den Firnisgrund zum Aezen vorgenommen wird; wobey es hinlänglich ist, daß der Firnis, so wie es das Aezen erfodert, mit der Nadel weggenommen werde.

Weil der Firnis sehr dünne aufgetragen, und weich ist, so hat man nicht nöthig, wie beym Radiren mit der kalten Nadel, sie stark aufzudrüken; man kann die Nadel bald eben mit der Leichtigkeit führen, wie die Feder, oder die Reißkohle. Mithin kann ein geübter Zeichner mit eben der Freyheit und Flüchtigkeit radiren, mit der er auf Papier zeichnet. Und hierin liegt der Grund, warum man in mehrern Absichten den radirten Kupferblättern, den Vorzug über die gestochenen geben muß, wovon schon anderswo gesprochen worden.3

Ueber die Handgriffe des Radirens und die Beschaffenheit der Nadeln, kann man in dem im Artikel Aezkunst angezeigten Werke des Abr. Boße die nöthigen Nachrichten finden. Was übrigens in diesem Artikel noch anzuführen wäre, findet sich bereits in den Artikeln Aezen, Firnis, Gründen und Kupferstecherkunst.

1Radere.
2S. Gründen, Firnis zum Aezen.
3S. Aezkunst.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
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