Druiden und Druidismus

[173] Druiden und Druidismus (Rel. d. Gallier). Die D., die Männer der Eichenmistel, waren die Häupter der religiösen und gesellschaftlichen Hierarchie der Gallier. Verkündigung des göttlichen Willens, Priesterdienst, Gerechtigkeitspflege, öffentliche Erziehung, Gesetzgebung, Friedensschluss und Kriegserklärung gehörten zu ihrem Wirkungskreis. Sie waren zu der Zeit, wo die Theocratie ohne Nebenbuhler herrschte, die unumschränkten Gebieter der Nation; und auch später, als menschliche Einrichtungen auf das Ansehen der Orakel folgten, behielten sie noch grosse Vorrechte. Die Allmacht der Götter, die Seelenwanderung, die Ewigkeit des Weltalls und die Unsterblichkeit der Seele waren die Grundzüge dieser Lehre, an die sich auch die Vorstellung von einer andern Welt mit ihren Strafen und Belohnungen knüpfte. Aber die Wissenschaft der D. beschränkte sich nicht auf diese Begriffe; sie waren auch Metaphysiker, Naturforscher, Aerzte, Zauberer, und besonders Astronomen. Ihr Jahr bestand aus Mondswandelungen, was die Römer auf den Glauben brachte, dass die Gallier die Zeit nach Nächten und nicht nach Tagen mässen. Ihre Arzneikunst scheint ganz auf die Magie gegründet gewesen zu sein. Das allgemeine Heilmittel war die Eichenmistel, die man mit grosser Feierlichkeit in den Wäldern schnitt. Neben den seltsamen abergläubischen Meinungen, welche die Gewalt in den Händen der Priester erhielten, waren auch blutige Ceremonien im Gebrauch, selbst Menschenopfer wurden von den Galliern als nothwendig zur Besänftigung der Götter angesehen, und die D. unterstützten diesen schrecklichen Glauben. Jedoch waren diese Opfer zur Zeit der Ankunft der Römer in Gallien schon selten, und man ersetzte sie durch Opfergaben, bestehend aus Gold- und Silber-Barren, die man in die See warf oder in den Tempeln annagelte. Das Andenken an die grausamen Gebräuche des Druidismus hat sich nicht nur in den Zeugnissen, die uns die alten Schriftsteller überliefert haben, sondern auch in der Ueberlieferung verschiedener gälischer oder kimrischer Völker erhalten. Man wurde in den Stand der D., um den sich die Kinder selbst der mächtigsten Familien bewarben, erst nach einer mit strengen Prüfungen verbundenen Einweihung, die manchmal 20 Jahre dauerte, aufgenommen. Der Neueingeweihte musste die ganze Wissenschaft der Priester lernen und behalten. - Die neuesten Schriftsteller zählen in der[173] druidischen Hierarchie drei verschiedene Classen: der unterste Rang war der der Barden, deren Obliegenheit es war; die nationalen Ueberlieferungen im Gedächtniss zu bewahren und die Helden zu besingen. Hierauf kamen die Ovaten, die Vermittler zwischen den D. und dem Volke; sie waren zur Verrichtung der Opfer und der Ausübung der äusseren Gottesverehrung bestimmt. Endlich über allen standen die D., mit ihrer Wissenschaft und ihrer höchsten Gewalt. Durch ihre Kenntnisse über die Masse des Volkes emporgehoben, wählten sie sich aus ihrer Mitte ein allgewaltiges Oberhaupt; diese Wahl geschah wahrscheinlich in ihrer feierlichen Versammlung, die einmal des Jahrs auf dem Gebiete der Carnuten zusammenberufen wurde an einem geheiligten Orte, der für den Mittelpunkt Galliens galt; und es war nicht selten, dass ein Bürgerkrieg daraus entstand. Selbst wenn der Druidismus nicht durch diese Spaltungen geschwächt worden wäre, so musste sein Wahlprinzip selbst ihn in Streit mit dem der Geburt bringen, für welches die Aristocratie kämpfte. Endlich musste noch das einsiedlerische Leben, das die meisten seiner Mitglieder gewählt zu haben scheinen, dazu beitragen, sie allmälig ihren Einfluss auf die Bevölkerung verlieren zu machen. Zur Zeit, als die gallischen Stämme vom Joche des fremden Eroberers bedroht waren, herrschte der Druidismus, obgleich im übrigen Lande geschwächt, noch in den beiden Bretagnen und in den Becken der Seine und Loire. Die Aeduer befanden sich an der Spitze der Partei, welche das Wahlprincip vertheidigte, d.h. die D. und die zeitweiligen Häupter des Volks. Aber die Arverner, die Sequaner und alle iberischen Völkerschaften Aquitaniens waren der Erblichkeit treu, d.h. dem System der Clanhäupter. Die Grausamkeiten des Siegers konnten allein die Anhänger dieses Systems mit den D. gegen ihn vereinigen. Das Zeichen zum Aufstand, den der Arverner Vercingetorix leitete, ging von dem druidischen Gebiete der Carnuten von Genabum aus. Als Gallien zur Ruhe gebracht war, liess der Druidismus, indem er seine Herrschaft auf die Volksmasse beschränkte, die Ehrgeizigen aus den höheren Classen die Religion der Römer annehmen; aber er wurde der Herd, wo sich die Hoffnungen der Vaterlandsfreunde wieder belebten. Er selbst bewahrte seine Thatkraft und seinen Fanatismus; er wusste beständig dem römischen Einflusse zu widerstehen, und dorthin flüchtete sich die gallische Nationalität. Augustus versuchte vergebens die blutigen Gebräuche dieses Cultus zu mildern. Unter Tiber war es ein Aeduer, Julius Sacrovir, der sich an die Spitze der Empörung der Gallier stellte. Auch wollte der Kaiser, nachdem er diese Empörung erstickt hatte, die ganze Secte der D. vertilgen: wirklich starben fast alle den Kreuzestod. Unter seiner Regierung und unter der von Claudius und Nero verfolgte der römische Feldherr Suetonius Paulinus die noch übrigen D. bis in ihre letzte Zufluchtsstätte, die Insel Mona (Anglesey). Dort war seit mehreren Jahrhunderten der geheimste Sitz des druidischen Cultus. Die Eroberung der Bretagne schien nur durch seine Ausrottung vollendet werden zu können. Als die Römer sich anschickten zu landen, sahen sie am Ufer einen Wald von Waffen und Kriegern. In den Reihen liefen Weiber mit aufgelösten Haaren, Fackeln in der Hand, rings herum standen die D., welche mit stolzer, unbeweglicher Haltung und zum Himmel erhobenen Armen mit Feierlichkeit schreckliche Verwünschungen aussprachen. Zuerst von Schrecken ergriffen, ermunterten sich die Römer wieder bei der Stimme ihrer Anführer und überwältigten die Bretonen. D., Priesterinnen, Krieger, Alles wurde niedergemacht oder verbrannt (61 n. Chr.). - Als Civilis gegen Vespasian die Waffen ergriff, gingen diese so lange verfolgten Priester noch einmal aus ihren Zufluchtsstätten hervor, um zu verkünden, dass das Reich der Gallier sich auf den Trümmern des Capitols erheben werde; aber die römische Civilisation hatte schon die gallischen Städte ergriffen. Nur ausserhalb der Städte, auf dem Lande, und besonders gegen Norden, hatte sich noch ein Rest von Nationalität mit dem Druidismus erhalten, der sich dorthin geflüchtet hatte. Auch Pescennius Niger glaubte nichts Besseres thun zu können, um sich volksthümlich zu machen, als, wie es heisst, alte Geheimnisse zu erwecken, welche ohne Zweifel die des Druidismus waren. Druidische Frauen sagten Marcus Aurelius, Diocletian und Alexander Severus die Zukunft voraus. Die volksthümliche Religion war noch nicht untergegangen, sie schlief unter der römischen Bildung, das Christenthum erwartend. Dieses, welches gegen das Ende des vierten Jahrhunderts in Armorica gepredigt wurde, erwarb sich zuerst nur wenige Anhänger: der Druidismus war geächtet, aber er bestand noch in den wenig oder gar nicht veränderten Denkmälern des alten Cultus, welche dem neuen als Symbol dienen sollten. Es war desshalb beinahe erfolglos, dass das im Jahr 658 gehaltene Concil von Nantes, indem es sich gegen die Anbetungen des Volks vor gewissen Eichen und gewissen in der Tiefe der Wälder verborgenen Steinen, vor denen man Feuerbrände anzündete und Opfergaben niederlegte, erhob, den armoricanischen Priestern befahl, diese heiligen Bäume herausreissen zu lassen, sie zu verbrennen, die Steine zu sammeln und sie an so verborgenen Orten zu vergraben, dass die Landleute sie nie wieder finden könnten. Diese Beschlüsse konnten nur sehr unvollkommen ausgeführt werden. Im neunten Jahrhundert sieht man Karl den Grossen gegen den Aberglauben und die Gebräuche des Druidismus zwei Capitularien schleudern, die ebenso wenig Erfolg hatten. Die langsame Wirkung einer vorgeschrittenen Civilisation, welche der Barbarei von Tag zu Tag mehr Boden abgewann, konnte allein wirksame Ergebnisse herbeiführen. Noch im siebenzehnten Jahrhundert war die Küste von Armorica und die Insel Ouessant u.s.w. in dem gröbsten Heidenthum befangen und es füllte maschinenmässig abergläubische Gebräuche, deren Sinn damals beinahe verloren, aber mit dem innersten Leben der Gesellschaft zu eng verwachsen war, als dass seine Fortdauer sich nicht erklären liesse.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 173-174.
Lizenz:
Faksimiles:
173 | 174

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon