Ganges [1]

[211] Ganges (Ind. M.), der heilige Fluss in Indien; er entspringt unmittelbar aus den Füssen des Brama, und wird daher für durchaus heilig gehalten (doch sind einige Secten, welche den eben dort entspringenden Brahmaputer für noch heiliger ansehen), und es ist ein Religionsgesetz, sich mit dem Wasser des G. an gewissen Tagen zu waschen und Almosen auszutheilen. So ist denn das Wasser dieses Flusses ein wichtiger Handelsartikel, und zwar wird es, wie leicht auch Betrügerei wäre, doch überall rein verkauft, weil man es für eine Sünde hält, damit Verfälschung zu treiben; auch besitzen die Braminen chemische Reagentien, welche vollkommen sicher stellen. Wer in diesem Flusse stirbt, oder nur vor seinem Tode noch davon trinkt, kommt unmittelbar zu Brama, und darf nicht wieder auf die Erde zurück. So besitzt denn Jedermann ein kupfernes, wohl verschlossenes Gefäss, in welchem für die Waschungen und für die Todesfälle das heilige Wasser bewahrt wird. Wer in der Nähe des G. wohnt, wird in der Todesstunde dahin getragen, es wird ihm Wasser eingeflösst, er wird in den Fluss getaucht, ja nicht selten darin ertränkt; viele Menschen sogar stürzen sich freiwillig hinein, um ihr Leben in seinen Wellen zu enden. Die Asche der verbrannten menschlichen Körper bewahren die Angehörigen sorgfältig, um dieselbe bei der nächsten Gelegenheit in den G. zu schütten, in welchem Falle auch der Gestorbene nicht zur Erde wiederzukehren braucht.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 211.
Lizenz:
Faksimiles: