Mistel

[338] Mistel (Druid. M.), eine Pflanze, welche auf mehreren Bäumen, auf der Buche, der Weide, der Birke wächst, doch vorzugsweise hoch geehrt wurde, wenn sie auf einer Eiche sich zeigte, in diesem Falle schrieb man ihr besondere Heilkräfte zu, ja es war nach der Lehre der Druiden nicht nur die heilsamste Pflanze, welche gegen alle Krankheiten wirkte, es war auch die heiligste, von Gott selbst erkorene, ohne welche kein Gottesdienst gehalten werden konnte. Sobald ein Druide eine auf einer Eiche wachsende M. entdeckt hatte, versammelte er alle in der Nähe wohnenden Brüder seines Ordens; sie legten ihre vielfarbigen Gewänder ab und kleideten sich weiss, als Zeichen der Demuth gegen die göttliche Pflanze; der Oberdruide ging mit einer goldenen Sichel bewaffnet zu dem Baume, beugte seine Kniee vor demselben und liess sich nun von Anderen so hoch emporheben, bis er die Pflanze erreichen konnte, diese ward mit der goldenen Sichel abgeschnitten und zu heiligen Gebräuchen bewahrt. Konnte man sie sechs Tage nach dem Neumond schneiden, so hatte sie die grösste Heilkraft, ward sogleich gekocht, mit dem Opferblut unter der Eiche geschlachteter, noch nicht zur Arbeit gebrauchter Stiere geweiht und in einen Trank verwandelt, welcher Fruchtbarkeit und Gedeihen Allen verschaffte, die sich seiner bedienen konnten.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 338.
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