List, die

[2079] Die List, plur. die -en, ein Wort, welches heut zu Tage einen großen Theil von dem ehemahligen Umfange seiner Bedeutung verloren hat. Es bezeichnete nehmlich,

1. * Ehedem. 1) Kunst, d.i. Fertigkeit etwas zur Wirklichkeit zu bringen, besonders so fern dasselbe auf eine andern unbekannte oder verborgene Art geschiehet. In diesem Verstande kommen List, Listi und Liste seit des Kero Zeiten bey allen alten Oberdeutschen Schriftstellern sehr häufig für Kunst, Erfahrenheit, ja auch nicht selten in noch weiterer Bedeutung für Wissenschaft vor; daher auch Kero einen Künstler Listar, Willeram aber Listmester nennet. Im Schwedischen und Isländischen wird List noch in dieser Bedeutung gebraucht. Saunglist ist daselbst die Singekunst, Bokare List die freyen Künste, Gotes List die Wissenschaft oder Allwissenheit Gottes u.s.f. Dahin gehöret auch das in Boxhorns Glossen befindliche List, argumentum, Schluß, welches letztere Wort so wie schließen in dieser Bedeutung ohne Zweifel mit zu dessen Geschlechte gehöret. 2) Weisheit, von welcher Bedeutung Frisch einige Beyspiele anführet.

2. In engerer und jetzt gewöhnlicher Bedeutung, die Fertigkeit, sich dem andern verborgener Umstände zur Erreichung seiner Absicht vortheilhaft zu bedienen, und das dazu gebrauchte Mittel. 1) Von der Fertigkeit; in welchem Falle es keinen Plural hat. Seine List gehet über alles. 2) Das dem andern verborgene Mittel selbst, seine Absicht zu erreichen. Jemanden eine List spielen, einen listigen Streich. Etwas durch List von einem andern erfahren. Jemanden mit List zu etwas bereden. List gebrauchen. Eine List erdenken, ersinnen. Dein Bruder ist kommen mit List, und hat den Segen hinweg, 1 Mos. 27, 35.

Obgleich der Plural in dieser Bedeutung der Sache und Analogie völlig gemäß ist, auch häufige Beyspiele des Alterthums vor sich hat, so kommt er doch seltener vor, und klingt auch da, wo er gebraucht wird, wirklich fremd. Mich helfen nit all meine List, Theuerd. Kap. 17.


Wachter liebe hilf mir in (minen Holde) fristen

Mit dinen kluogen wol verholnen listen,

Heinrich von Frauenberg.


Vor diebschen Hinterlisten, Logau. Die mir übel wollen – gehen mit eitel Lüsten (Listen) um, Ps. 39, 13.


Giftig sieht es der Neid, sieht seine Listen vereitelt,

Zach.


Ach, was kann ich dafür, daß einer Furie Listen

Mich auf den Vogel erhitzt?

Zach.


Auf eure Listen

Und Punischen Betrug entbrannt,

Raml.


Es scheinet, daß List ehedem auf eine doppelte Art üblich gewesen. Die List, oder vielmehr die Liste, bedeutete das Abstractum, die Kunst, Fertigkeit, der List aber, ein listiges Mittel, einen listigen Anschlag; wenigstens kommt das männliche Geschlecht in dieser Bedeutung oft vor. Unfallo der wolt seinen List offnen, (offenbaren,) Theuerd. Kap. 42. Mit bösen List, in dem 1514 gedruckten Deutschen Livio. Voll Mords, Haders, Lists, Röm. 1, 29. Alsdann müßte der Plural Liste heißen. Da jetzt beyde Formen in einander geschmolzen sind, so kann ein Theil des Ungewöhnlichen, welches den Plural Listen begleitet, daher rühren.

Das Wort List wird in der Moral unstreitig zu sehr eingeschränket, wenn man allein böse Absichten dabey zum voraus, und Klugheit und List einander entgegen setzet. Die[2079] Klugheit ist die Fertigkeit, alle Umstände zu seinen Absichten vortheilhaft zu gebrauchen. Die List ist ihr untergeordnet, ist eine Art der Klugheit, und setzet voraus, daß die Umstände welche man zu Erreichung seiner Absicht gebraucht, zuweilen auch die Absicht selbst, dem andern verborgen sind. Und in dieser unschuldigen Bedeutung kommt es täglich im gesellschaftlichen Leben vor. Da aber die Verbergung seiner Absicht und Mittel sehr oft eine böse Absicht, oder doch den Schaden des andern voraus setzt, weil sonst kein Grund der Verheimlichung vorhanden seyn würde, so wird es freylich auch häufig genug in diesem Falle und anstatt des Wortes Arglist gebraucht, welches eigentlich eine auf den Schaden eines andern abzielende List bedeutet. Der Begriff des Bösen, des Schädlichen, liegt nicht in dem Worte selbst, wohl aber der Begriff der Verheimlichung, welcher das eigentliche Unterscheidungsmerkmahl dieses Wortes zu seyn scheinet.

Anm. In dieser zweyten Bedeutung lautet es, selbst im nachtheiligen Verstande für Arglist, bey dem Willeram List, im Schwed. und Dän. List, im Böhm. Lest, bey dem Ulphilas mit der sehr gewöhnlichen Verwechselung des s und t Liutei, im Angels. Lytignes, wo auch lytig listig ist. Die Abstammung ist so ausgemacht noch nicht. Wachter nahm für die zwey Hauptbedeutungen auf eine sehr unbequeme Art auch zwey verschiedene Stämme an. In der ersten Bedeutung leitete er es von leisten, thun, in der zweyten aber von lassen, scheinen, das Ansehen haben, her, Schwed. låtas, wovon daselbst låtsa sich stellen, verstellen, bedeutet. Ihre leitet es in beyden von laesa, lesen, ab, weil das Lesen ehedem zugleich alle gelehrte Erkenntniß mit in sich begriff. Allein, da bey allen diesen der Begriff der Verborgenheit, der diesem Worte doch wesentlich anklebt, unerklärlich bleibt, so ist Frischens Ableitung immer noch die wahrscheinlichste, der es von lauschen, ehedem losen, Griech. λευσσειν, abstammen lässet. Nur muß man diese Zeitwörter nicht in der engern Bedeutung für lauern nehmen, sondern so fern sie überhaupt scharf, genau sehen, mehr sehen als ein anderer, bedeuten. Auf ähnliche Art stammet klug von dem veralteten lugen, sehen, ab; und für das niedrige belugsen ist in der anständigen Sprechart belisten, im Mecklenburg. aber belitzen üblich. Indessen könnte auch leise eine erträgliche Ableitung an die Hand geben.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 2079-2080.
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