Tief

[600] Tief, -er, -ste, adj. & adv. welches einen relativen Begriff bezeichnet, und in verschiedenem Verstande gebraucht wird. 1. Eigentlich, unter der angenommenen oder doch gewöhnlichen Horizontal-Linie, oder näher nach dem Mittelpuncte der Erde befindlich, im Gegensatze des hoch; wo es theils absolute gebraucht wird, das Maß dieser Entfernung zu bestimmen, in welchem Falle das Hauptwort des Maßes am gewöhnlichsten in der vierten Endung stehet, wie bey den Wörtern hoch, lang, breit, weit u.s.f. Der Brunnen ist zwanzig Ellen tief. Wie tief ist der Schacht? Antw. Funfzig Klaster. Drey Fuß, sechs Zoll tief. Wofür im Oberdeutschen auch die zweyte Endung üblich ist. Vieler Ellen tief. Ingleichen ohne Beysatz des Maßes, wo tief weit von der Horizontal-Fläche, oder doch weiter als gewöhnlich von derselben entfernt, bedeutet. Ist die gewöhnliche Horizontal-Fläche der Begriff, worauf sich tief beziehet, so stehet es dem hoch entgegen, in andern Fällen aber auch dem flach, seicht u.s.f. Eine tiefe Gegend, welche unter der Horizontal-Linie liegt. Das Land liegt tief, im Gegensatze des hoch. Ein tiefer Graben, tiefer als gewöhnlich. Der Graben ist nicht tief. Ein tiefer Fluß. Das Meer ist hier sehr tief. Ein tiefer Abgrund. Eine tiefe Wunde. Die Wurzeln gehen tief. Tief graben. Eine tiefe Schüssel, im Gegensatze einer flachen. Es liegt ein tiefer Schnee, d.i. hoher, vieler Schnee; wegen der weiten Entfernung von seiner Oberfläche bis zum Grunde. So auch tiefer Koth, in welchen man tief einsinkt. Tiefe Wege oder Straßen, wo vieler und tiefer Koth liegt.

2. In weiterer Bedeutung wird es in vielen Fällen auch von der horizontalen Entfernung gebraucht, und zwar sowohl absolute mit Bestimmung des Maßes. Das Haus ist zwanzig Ellen tief, d.i. von der Vorderseite bis zur hintersten Mauer. Als auch ohne Bestimmung des Maßes, für weit, weit von einem angenommenen Puncte in horizontaler Richtung entfernt. Tief in das Land hinein gehen. Sich tief in den Wald hinein wagen. Er ging tief in das Gebirge. Tief in die Höhle hinein gehen. Wie tief in der Feldschlacht sterbend ein Gottesleugner sich wälzt, Klopst. Es ist hier zwar als ein Nebenwort am üblichsten, doch ist das Beywort auch nicht ganz ungewöhnlich. Ein tiefes Haus, welches von der Vorderwand bis zur Hinterwand einen beträchtlichen Raum einnimmt. Und sahe ungesehn in die tiefe Versammlung, Klopst.

3. Figürlich. (1) Sich tief vor jemanden neigen. Eine tiefe Verbeugung machen. Und nach einer noch weitern Figur. Sich sehr tief erniedrigen. Die tiefste Erniedrigung. Tiefe Demuth. Die zügellose Liebe wird zur Brunst, die den Menschen tief unter das Thier erniedrigt, Gell. (2) Tiefe Farben, dunkle, im Gegensatz der hohen. Tief trauren, mit sehr dunkeln Farben, oder auch als eine Figur der vorigen Bedeutung (3) Von den Tönen; ein tiefer Ton, derjenige, welchen eine dickere, längere oder schwächer gespannte Saite hervor bringt; im Gegensatze des höhern. Ein Instrument tiefer stimmen. Die tiefe Baßstimme. (4) Bis in die tiefe Nacht hinein, weit in die Nacht hinein, von der zweyten engern Bedeutung. Die tiefste Mitternacht ist durch dich helle, Weiße.


Denn tiefe Nacht deckt vor uns her die Tage,

Die jeder noch durchwandern wird,

Uz.


Wo sich auch der vorige zweyte Begriff der Dunkelheit mit hinzu gesellet. (5) Ein tiefer Schlaf, aus welchem man schwer zu erwecken ist. Im tiefsten Schlafe hegen. So auch in tiefen Gedanken sitzen, stehen, begriffen seyn, wofür man auch wohl sagt, tief in Gedanken sitzen, u.s.f. In tiefer Betrachtung versunken. Tief in Schulden stecken, viele Schulden haben, wofür man im gemeinen Leben nur sagt, tief stecken, sehr tief[600] stecken. (6) Verborgen, unergründlich. Ein tiefes Geheimniß. Die tiefe Weisheit Gottes. Tiefe mystische Beweise ergrübeln. Noch häufiger, (7) Gründlich, subjective, deutliche Begriff von allen Merkmahlen eines Dinges habend, und darin gegründet. Eine tiefe Erkenntniß. Ein tiefer Verstand. Tief denken. Ein tief denkender Mann. Gesetzt, ich sähe hier nicht tief genug.


Wir sehn nicht tief genug, was dieses Herz empfand.

Weiße.


(8) Tief Athem hohlen, gleichsam von den untersten Theilen der Brusthöhle heraus. Einen tiefen Seufzer lassen. Tief seufzen. (9) In machen Fällen ist es ein Zeichen einer Intension, eines hohen Grades. Ein tiefes Stillschweigen beobachten. Es herrscht hier eine tiefe, die tiefste Stille. Wo man aber nicht mit dem Nebenworte sagen kann, tief stillschweigen. Sich etwas tief einprägen, tief in das Gedächtniß prägen. Es bleibt im tiefen Andenken. Ein tiefer Schmerz, der nicht nur stark, sondern auch dauerhaft ist, und in der Stille empfunden wird. Der Schmerz eines Weisen ist tief, aber ohne Geräusch und mit Majestät bekleidet. Du scheinst einen tiefen Gram zu verbergen.

Anm. Bey dem Ulphilas diup, bey dem Ottfried diuf, im Nieders. deep, im Angels. deop, im Engl. deep, im Schwed. diup, im Wallischen dwfa. Es mit taufen nahe verwandt, S. dasselbe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 600-601.
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