D. Jonathan Swift

[466] D. Jonathan Swift, dieser berühmte so genannte Englische Rabelais, zu Dublin 1667 geb., wurde mehr bei seinem Onkel erzogen, und legte sich auf die schönen Wissenschaften, besonders auf Dichtkunst und Geschichte. Da man ihm auf der Universität zu Dublin viel Schwierigkeiten machte, weil er sich aus[466] Haß gegen das System der Logik, auf gar keine Disputation einlassen wollte; so ging er nach Oxford, wo er denn auch 1701 das Doctorat erlangte. Von dem König Wilhelm, mit dem er durch den Ritter Temple, seinen zweiten Vater, oft sich zu unterhalten Gelegenheit hatte, wurde ihm eine Capitainstelle angetragen, die er aber verbat, weil er gern in den geistlichen Stand treten wollte. Er erhielt endlich eine Pfründe in Irland; allein da ihn diese zu sehr von England und seinen Lieblingsgesellschaften entfernte, so trat er sie wieder an einen Freund ab, und kam zu seinem Beschützer, dem Ritter Temple, zurück. Hier lernte er die Tochter von dem Intendanten des Ritters kennen, welche in seinen Werken immer unter dem Namen Stella vorkommt, und auch 1716 seine Gattin ward; allein aus Stolz wollte er sie nie öffentlich dafür bekannt werden lassen, und sie starb 1727 in einer schwarzen Melancholie. Schon vor diesem traurigen Schicksal hatte Swift auch seinen Beschützer verloren, und, aller Unterstützung beraubt, ging er nach London, und suchte bei König Wilhelm um eine neue Präbende an; allein es glückte ihm nicht, und so entstanden die bittern Ausfälle gegen König und Hofleute, die man oft in seinen Schriften trifft. Nach einiger Zeit erhielt er aber doch mehrere Präbenden, unter andern auch das einträgliche Dekanat zu S. Patrik in Irland, und hier widmete er sich nun ganz den Wissenschaften. Auch die Liebe des Volks wußte er sich in einem hohen Grade durch seine Briefe zur Vertheidigung der Manufacturen gegen Wood zu erwerben. Ein heftiges Fieber stürzte ihn 1735 in einen Tiefsinn, der ihn nach und nach gar zum Wahnsinn brachte, worin er bis an sein Ende (1745) – mit Ausnahme einiger hellen Augenblicke vor seinem Tode, in denen er sein Testament und einen Theil seines Vermögens zur Stiftung eines Hospitals für Narren vermachte – blieb.

Mit Unrecht nennt man Swift bloß als Satyriker. Ihm war es um genaue Untersuchung und Schilderung jeder Thorheiten und Laster zu thun, und mit treffendem Witz und scharfem Verstande wußte er auch seine [467] Gegenstände zu umfassen. Allein, um ihn ganz richtig zu beurtheilen, ist schlechterdings Kenntniß der Englischen Verfassung überhaupt, und dann insbesondere der Gegenstände nöthig, über welche Swift schrieb. So muß man, wenn er am Ende die menschliche Natur fade und oft abscheulich fand, dieß in seinen Verhältnissen suchen, da er sich von Großen getäuscht und verfolgt, von seinen Freunden vergessen, um seine liebsten Freuden (z. B. um seine Stella, die mit verhaltenem Schmerz dahinwelkte) gebracht sah, wodurch ihm denn natürlich alle Erinnerungen an das Loos der Menschheit zuwider gemacht wurden. – In seinen blühenden Jahren war Sw. großmüthig, menschenfreundlich, wohlthätig. Er war z. B. das Haupt und die Seele der berühmten Gesellschaft von Sechzehen, die sich so sehr durch Wohlthun auszeichnete. Auch als er seine Dechanei hatte, wandte er den dritten Theil seiner Einnahme an Arme und Unglückliche. Die ungewöhnlich heitere, frohe Laune, die er besaß, machte, daß Jedermann seine Gesellschaft suchte. Wegen seiner Klugheit und Rechtschaffenheit wurde er oft um Rath gefragt, und überhaupt hatte er bei seinen Landsleuten ein Ansehen ohne Gleichen. Unter dem Namen: der Dechant, war er allgemein als großer und kluger Mann im Lande bekannt, verehrt, ja von den untern Ständen fast angebetet. Die Stadt Dublin ließ ihm in der S. Patrikskirche ein Ehrendenkmahl errichten. – Seine bekanntesten Schriften sind: Cadenus und Vanessa (worin er selbst einen Theil seines Verhältnisses mit einer gewissen Dame, die, wiewohl vergebens, für ihn brannte, zum Gegenstand macht), Gullivers Reisen, das Mährchen von der Tonne etc.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 466-468.
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