Die Muhamedaner

[189] Die Muhamedaner, die Anhänger der von Muhamed eingeführten Religion. Die Religion Muhameds, so wie sie im Koran steht (bei dessen [189] Abfassung dem Propheten ein entlaufener Mönch und verschiedene Juden geholfen haben sollen), ist aus der Lehre Christi, den Dogmen einiger verketzerten Irrlehrer und aus der jüdischen und heidnischen Religion zusammengesetzt, und bildet im Religionsbuche selbst ein verworrenes Chaos, ist aber, sobald man das Ganze derselben betrachtet, faßlich und zusammenhängend. Die Moral, die sie vorträgt, ist ziemlich rein; und die Glaubenslehren drängen sich alle in den Hauptsatz zusammen, der auch das Glaubensbekenntniß der Muhamedaner ausmacht: Es ist ein Gott, und Muhamed ist sein Prophet. Die vorzüglichsten Lehrsätze sind folgende: Die Gottheit ist einfach, unsichtbar, vollkommen; Christus ist weder Erlöser noch Gott, sondern er und Moses waren die vorzüglichsten göttlichen Gesandten vor Muhamed, der höher ist als beide, und dessen Koran das alte und neue Testament (welche beide Muhamed für göttliche, aber von den Menschen gleich anfangs verfälschte Bücher hält) aufhebt und alle andern Bücher entbehrlich macht; es giebt gute und böse Dämonen. Unter den Pflichten, die ihnen die Religion auflegt, sind die wichtigsten Gebet, Fasten, Reinigung, Almosen und Wallfahrten nach Mecca. Das Gebet muß täglich fünfmahl, oder doch nicht weniger als dreimahl geschehn; und die Zeit desselben wird (da die Türken keine Glokken haben) durch das Ezam, d. h. den Ruf des Imam vom Minnaret (oder dem Thurme der Moschee), bekannt gemacht. Der Haupt-Gottesdienst ist alle Freitage und an einigen Festen. Die Almosen sind außerordentlich reichlich; sie werden vom Gesetz nach dem Vermögen der Begüterten bestimmt und in Gelde oder Naturallieferungen entrichtet. Mönche und Einsiedler werden geduldet, ob sie gleich der Koran nicht als nothwendig verlangt. Das Gesetz befiehlt Enthaltung vom Wein, Spiel und Wucher, erlaubt aber die Vielweiberei; jede Mannsperson darf vier rechtmäßige Weiber haben, neben denen man jetzt noch einige Beischläferinnen duldet (ein Gesetz, das dem Staate in Rücksicht der Bevölkerung und häuslichen Glückseligkeit großen Nachtheil gebracht hat, aber von Muhamed eingeführt worden ist, um seine eignen Ausschweifungen in der Wollust zu entschuldigen). Der[190] Muhamedaner hält dafür, daß er seinem vorherbestimmten Tode nicht entgehen könne, glaubt aber eine Fortdauer nach diesem Leben, hält auch Christen und Juden für fähig zur Glückseligkeit; allein er stellt sich das zukünftige Leben bloß als einen Ueberfluß von sinnlichen Genüssen aller Art vor, durch welche Vorstellung Muhamed seinen Anhängern vorzüglich nach erlittenen Unfällen im Kriege wieder Muth einzuflößen suchte. Die Bilder von einem allgemeinen Weltgericht, von den Wohnungen der Seligen und dem Unterreiche hat Muhamed aus andern Religionen entlehnt und höchst sinnlich vorgetragen. Ueberhaupt suchte er, da er ein rohes Volk vor sich sah, durch seine Religion sehr auf die Sinne zu wirten. Uebrigens sicherte er derselben eine lange Dauer durch ein Gesetz, welches noch bis jetzt ziemlich beobachtet wird; er befahl, über seine Lehre weder zu streiten noch sich Aenderungen darin zu erlauben, weder schwere Stellen zu erklären noch scheinbare Widersprüche aufzusuchen, weil der Koran göttlichen Ursprungs sei. Die Schicksale der Muhamedanischen Religion sind kürzlich folgende. Nach Muhameds Tode glaubte Ali, der Gemahl seiner ältesten Tochter Fatima, das nächste Recht zur Nachfolge zu haben, wurde aber von des Propheten Schwiegervätern, Abubeker und Omar, und einem seiner Schwiegersohne, Osman (welche nach der Reihe regierten), von derselben ausgeschlossen. Diese, welche sich Chalifen, d. h. Nachfolger des Propheten, und ihre Regierung das Chalifat nannten, breiteten ihre Religion und größten Theils auch ihre Herrschaft über Palästina, Egypten, Syrien, Persien und die benachbarten Länder aus, und nahmen außer dem Koran noch mündliche Ueberlieferungen von Muhamed an, die sie Sunneth nannten; sie änderten auch einige Vorschriften ihres Lehrers, und gaben dadurch zu Streitigkeiten Anlaß, die, als Ali endlich das Chalifat erlangte, in helle Flammen ausbrachen. Ali erklärte sie, besonders den Omar, für Usurpateurs und Verfälscher der reinen Lehre: es entstanden Religionskriege; und die Moslemim theilten sich in zwei Secten, in die Sunnithen und Schiyten, welche letztere die mündlichen Ueberlieferungen nicht annehmen, und den Ali [191] für den ersten rechtmäßigen Nachfolger Muhameds halten, auch in vielen Ceremonien ihre eignen Meinungen haben. Letzterer Secte sind besonders die Perser und einige Muhamedaner in Hindustan, ersterer alle übrigen zugethan. Daher kommt es, daß die Perser von jeher geschworne Feinde der Türken waren, und daß sie ihre Gebete mit den Worten: »Verflucht sei Omar!« schließen. Ungeachtet das Chalifat nachher seine ungeheure (sogar bis nach Spanien durch die blutigsten Kriege verbreitete) Macht verlor, und endlich durch die Türken, und im 13. Jahrhundert durch die Mogolen ganz gestürzt wurde: so erhielt sich doch die Lehre des Propheten bis auf den heutigen Tag in der Asiatischen Türkei, in Persien, einem Theile von der großen Tatarei und Ostindien und in andern Landesstrichen Asiens, in einem großen Theile von Afrika, besonders an den nördlichen und östlichen Küsten, zum Theil auch im Innern dieses Welttheils; ja sie wurde selbst in der Europäischen Türkei verbreitet, als die Osmanen das Griechisch-Römische Kaiserthum zerstörten. Doch sind die Bekenner derselben, außer den beiden angegebenen Hauptsecten, noch in sehr viele kleinere getheilt, die unter sich wenig tolerant sind. – Daß die Muhamedaner ehedem gegen die Christen so intolerant waren, hatten sich letztere größten Theils selbst zuzuschreiben, da sie die Muhamedaner von den Zeiten der Kreuzzüge an unaufhörlich bekriegten, ohne die geringste Ursache in das gelobte Land einfielen, und nachher die Türken als den gemeinschaftlichen Feind des Christenthums verfolgten. Ja wir müssen zur Ehre der neuern Türken bekennen, daß sie, ungeachtet ihre Landsleute in christlichen Staaten kaum geduldet werden, den Europäern (die sie mit dem Namen Franken belegen) dennoch ihren Gottesdienst und manche große Vorrechte einräumen; und wenn bisweilen Unruhen gegen die Christen entstanden sind, so hatten sie meisten Theils in der Unklugheit dieser ihren Ursprung, wie z. B. die neuesten erst in diesem Jahre (1797) ausgebrochenen blutinen Händel zu Smyrna beweisen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 189-192.
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