Die Tragödie

[213] Die Tragödie – das Trauerspiel – ist bekannter Maßen ein Theil der unter dem allgemeinen Namen Schauspiel begriffenen Darstellungen (s. Th. V. S. 85.), und bezeichnet überhaupt jede theatralische Vorstellung einer wichtigen pathetischen Handlung. Es ist also nicht gerade erforderlich, den Charakter derselben auf Erweckung des Mitleids und Schreckens einzuschränken, obgleich die Arten des Trauerspiels wieder sehr verschieden unter einander sein können, so daß entweder ein tragischer Charakter oder eine tragische Leidenschaft, entweder eine tragische Unternehmung oder eine tragische Begebenheit darin den Hauptgegenstand oder den Grund der ganzen Handlung ausmacht.

Die Benennung Tragödie rührt aus dem Griechischen her. Nach dem Hyginus und Athenäus war sie ursprünglich nur ein gewisser Gesang dem Bacchus zu Ehren. Als Icarius zu Attica, welcher vom Bacchus die Kunst des Weinbaues gelernt hatte, in seinem Weinberge einen die Trauben fressenden und verderbenden Bock fand, opferte er ihn dem Bacchus, dem zu Ehren während der Ceremonie Loblieder gesungen wurden. Dieses Fest nun, welches man jährlich wiederhohlte, erhielt davon, oder auch überhaupt, weil die, welche die besten Gedichte auf den Bacchus verfertigten, einen Bock zur Prämie bekamen, den Namen, nehmlich von τραγοζ (ein Bock), und οδη (ein Gesang). Nachher fügte man Chöre und Tänze hinzu; und bekannter Maßen waren daher auch diese ein wesentlich er Theil der alten Tragödie. In der Folge stellte man wahrscheinlich bei dieser und andern heiligen Festen die Geschichte einiger Götter durch allegorische Handlungen vor; und so bildete sich nach und nach wahrscheinlich auch das tragische Schauspiel, dessen erster Keim, ohne hier einen besondern Erfinder (wie man mit Thespis und vielen andern gethan) aufzusuchen, wohl hauptsächlich in der natürlichen Begierde des Menschen liegt, Zeuge großer und ernsthafter Begebenheiten zu sein, und die Menschen bei denselben handeln und leiden zu sehen. Ohne übrigens hier auf eine Geschichte des Trauerspiels einzugehen – im [213] Allgemeinen ist schon davon in dem angeführten Artikel Schauspiel Erwähnung gethan – sei es genug, nur noch anzuführen, daß die Alten meistentheils eine in der Geschichte gegründete Begebenheit zum Gegenstande ihrer Tragödien hatten; der Chor, ein ununterbrochener Zeuge der Handlung, füllte durch Tanz und Gesang den Raum zwischen den Akten aus (denn das Theater wurde nie etwa durch einen Vorhang oder dergleichen verändert); die Schauspieler hatten Larven, und sangen vielmehr ihre Rollen, als daß sie sie declamirten etc.

Die berühmtesten Tragödienschreiber der Alten waren bei den Griechen: Aeschylus, Euripides, Sophokles; unter dem letztern, behauptet man, sei die Tragödie auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit gewesen. Die Römer waren wahrscheinlich hinter den Griechen sehr zurückgeblieben; wenigstens lassen die von ihnen einzig noch übrig gebliebenen Trauerspiele des Seneca (wie wir schon bei diesem Art. Th. V. S. 225. bemerkt haben) keinen vortheilhaften Schluß auf die tragische Kunst der Römer machen. In Ansehung der Neueren bildete man sich nach den Trauerspielen der Alten, und zwar besonders der Römer; und anfangs mußte alles in Lateinischer Sprache sein. (Wir beziehen uns nochmahls auf den schon angezogenen Artikel Schauspiel.) Was übrigens die neueren Tragödien-Dichter betrifft, so erlauben wir uns bloß – mit Nennung von Frankreichs erstem guten Trauerspieldichter, P. Corneille, ferner Racine, Crebillon, Voltaire; dann von Englands erstem großen tragischen Dichter, Shakespear – hier nur, in Ansehung der Dichter unsers Deutschen Vaterlandes, an die bereits a. a. O. S. 83. aufgeführten Dichter und an ihrer Spitze mit tiefer Verehrung an den Stolz unsrer Nation, an einen Lessing, an einen Schiller und Göthe, zu erinnern.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 213-214.
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