Don Carlos

[232] Don Carlos, dessen tragisches Lebensende durch Schillers bekanntes Meisterstück neues Interesse erregt [232] hat, und über dessen Geschichte noch immer ein dichter Schleier gezogen ist, war der einzige Sohn Philipps II. Königs von Spanien, aus dessen erster Ehe mit Marien von Portugal. Seine Lebhaftigkeit und sein glückliches Genie berechtigten zu großen Erwartungen; aber sein jugendlicher Jähzorn und Leichtsinn, so wie sein Hang zu Ausschweifungen machten ihn dem Vater sehr früh verhaßt. Allein noch wichtigere Gründe erzürnten denselben; denn der Prinz war nicht nur ein heimlicher Freund der Protestanten und der unruhigen Niederländer, sondern auch der heftigste Gegner des niederträchtigen und durch seine Grausamkeiten berüchtigten Herzogs von Alba, des Günstlings des Monarchen. Noch mehr, der junge vierzehnjährige Carlos warb 1559 um die Hand der Isabella von Valois, Tochter Heinrichs II. von Frankreich; und Philipp nahm diese ganz junge Prinzessin zu seiner eigenen Gemahlin, merkte aber bald ein geheimes Liebesverständniß zwischen ihr und Carlos. Ein neuer Vorfall vermehrte seinen Groll. Carlos bat ihn nehmlich, ihn selbst in die Niederlande zu Dämpfung der Unruhen zu schicken; dieser sandte aber den Herzog von Alba dahin. Carlos zog, als Alba von ihm Abschied nehmen wollte, gegen ihn den Degen, und beschloß nun selbst eine heimliche Reise nach den Niederlanden; allein seine Pläne wurden verrathen und er in seinem Wohnzimmer auf Befehl und in Gegenwart seines Vaters gefangen gesetzt. Dieser ließ ihn, aller Bitten Isabellens ungeachtet, in geheimnißvollster Stille den Prozeß machen, und der 24. Julius 1568 war der Todestag des unglücklichen 24jährigen Prinzen. Man gab zwar ein heftiges Fieber als die Ursache des Todes an; allein niemand gab der Sage Gehör. Auch entdeckte es sich nachher, daß er auf Philipps Befehl hingerichtet worden sei, und zwar stimmen die wahrscheinlichsten Zeugnisse für dessen Enthauptung; denn dieß versichert nicht nur sein Biograph Saint Reel, sondern man fand auch, als die jetzt lebende Königin von Spanien sich den Sarg des Prinzen öffnen ließ, den abgeschlagenen Kopf ihm zu Füßen. Ob die Beschuldigungen, daß er mit den aufrührerischen Moriskos in Unterhandlung gestanden, und seinem Vater nach dem Leben getrachtet habe, gegründet sind, ist nicht ganz erwiesen. Die wahrscheinlichste Ursache seiner Ermordung war die Liebe zu Isabellen. Die junge Königin, [233] die gerade damals schwanger war, starb nach drei Monaten plötzlich; und man vermuthet, daß sie entweder auch ein Opfer der Rache ihres erzürnten Gemahls geworden sei, oder daß der Gram über den Tod des Geliebten ihre Lebenstage verkürzt habe.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 232-234.
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